10-Punkte Gesundheitsprogramm für das Fleisch
Ernährung
Seehofer im grünen Fahrwasser
>Im Januar 2005 forderte Renate Künast angesichts von Dioxin in Eiern: „Die Länder müssen kontrollieren, kontrollieren, kontrollieren. Und wenn sie erhöhte Werte feststellen, müssen sie das Produkt vom Markt nehmen. So klar ist das.“Etwas weniger energisch, aber mit vergleichbarem Inhalt legte Horst Seehofer gestern in Berlin sein 10-Punkteprogramm als Konsequenz aus den Fleischskandalen in diesem Jahr vor. Auch er beginnt, wie Künast zu BSE-Zeiten, sein Amt im Verbraucherministerium in einer Krise. Bis jetzt rückte nur dem Namen nach der Verbraucherschutz an das Ende des Ministeriums, das fortan Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz heißt (BMELV statt BMVEL).
20 Punkte für besseres Fleisch
Seehofer verkündete ein 10-Punkte Sofortprogramm nach der gestrigen Bund-Länder Krisensitzung. Für die Ministerebene wurden weitere 10 Punkte zur Diskussion gestellt. Mehr und bessere Kontrollen sollen das Mittel der Wahl sein. Neben der fast abgeschlossenen zusätzlichen Kühlhausüberprüfung, sollen die Kontrollen auf weitere Kühl- und Lagerräume ausgeweitet werden, die an Lebensmittelverarbeitende Betriebe angeschlossen sind. Der Minister appellierte an die Eigenkontrolle der Wirtschaft, was der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde in seinem Memorandum „Verbraucherpolitische Erwartungen der Lebensmittelwirtschaft an die künftige Bundespolitik“ bereits im Sommer vorstellte. Des weiteren sollen die Lebensmittelkontrollen der Länder allgemein verstärkt werden. Dazu soll es im Januar Gespräche mit den Landesministern geben, wobei vor allem die Kapazitätsausstattung der Behörden auf dem Prüfstand steht.
Damit Kontrollen auch wirksam sind, soll das Strafmaß bei Verstößen gegen lebensmittel- und futtermittelrechtliche Bestimmungen „konsequenter als in der Vergangenheit“ ausgeschöpft werden. Dann könnte in Zukunft auch die Zuverlässigkeit, die als Voraussetzung zur Erteilung einer Gewerbeerlaubnis gilt, „in Zweifel gezogen werden“. Parallel zum existierenden Schnellwarnsystem in der EU will Seehofer prüfen, ob entdeckte Verstöße künftig zwischen Bund und Länder ähnlich kommuniziert werden könnten. Für Informanten aus der Lebensmittelwirtschaft soll „eine Anlaufstelle für vertrauliche Informationen“ eingerichtet werden.
Der bayrische Minister Schnappauf forderte angesichts des Deggendorfer Skandals, Schlachtabfälle mit Lebensmittelfarbe zu kennzeichnen, um sie nicht als Lebensmittel verkaufen zu können. Zudem sollten nur noch zugelassene Spediteure Fleischabfälle mit einem Begleitschein transportieren dürfen. Seehofer hat den Vorschlag in sein Programm aufgenommen.
Dumping und Verbraucherinformationsgesetz
Zwei weitere Punkte aus der Amtszeit seiner Vorgängerin finden sich in der Liste. Zum einen erhält überraschenderweise das Verbraucherinformationsgesetz eine neue Chance. „Baldmöglichst“ soll ein neuer Entwurf vorgelegt werden, der den Informationsanspruch der Verbraucher gegenüber den Behörden genügt. Die Namensnennung der Firmen soll bei Verstößen erleichtert werden. Allerdings scheiterte dieser Versuch bisher immer an der Fraktion der CDU/CSU und der FDP. Hier hat der prominente Querdenker Seehofer eine echte Profilierungschance.
Auch beim Dumping muss er sich auf harte Gegner einstellen. Um den Preisdruck in der Lebensmittelproduktion zu mindern, soll es nicht mehr gestattet sein, Waren unter dem Einkaufspreis anzubieten. Der Lebensmittelhandel wird im Rahmen seiner Werbeaktionen darauf aber nicht verzichten wollen. Ausgang offen.
Lob vom DBV
Der Deutsche Bauernverband (DBV) fand gestern Abend in einer ersten Reaktion lobende Worte für Seehofers Programm. „Es stellt sich jedoch die Frage, warum dies trotz intensiver politischer Diskussion in den vergangenen Jahren noch nicht geschehen ist“, so er DBV.
Offensichtlich gibt es so etwas wie ein pathologisches Lernen: Die Skandale haben vor allem den Landwirten und den sich korrekt verhaltenden Unternehmen geschadet. Jetzt gelangt der Druck aus der Standesvertretung in die Parteien, die sich bislang gegen vergleichbare Vorschläge zu wehren wussten.
Offen wird jedoch auch bleiben, was das Programm bewirkt, würde es vollständig umgesetzt: Nur das Verbot des Preisdumpings ist eine Maßnahme, die strukturverändernd wirkt.
roRo