Abschlussbericht der Nanokommission
Ernährung
Nanotechnik: Neue Technik sicher machen
Nanopartikel werden bei jedem
Verbrennungsprozess frei und entstehen daher auch in der Natur jeden Tag. Die
Höhlenkünstler der Steinzeit haben die kleinsten Teilchen bei ihren Malereien
mit Ruß eingeatmet, die rot gefärbten Kirchenfenster des Mittelalters leuchten noch
heute durch Nano-Goldpartikel.
Heute allerdings kennen Chemiker und Physiker die kleinen Teilchen und sind bereit,
sie bewusst zu nutzen. Durch die Zunahme an Anwendungen nimmt auch die
Exposition zu, der die Menschen ausgesetzt sind, schreiben Prof. Dr. Harald
Krug und Dr. Peter Wick von Schweizer Materialforschungsinstitut EMPA in ihrem
Aufsatz „Nanotoxikologie – eine interdisziplinäre Herausforderung“.
Nano und Lebensmittel
Gerade der Fleischsektor zeichne sich
innerhalb des Lebensmittelsektors als innovationsschwach aus, stellte Prof. Dr. Stefan Drusch von der Berliner Beuth Hochschule fest. Im Bereich des
Functional Foods sind die Fleischunternehmen nur unterdurchschnittlich
vertreten. Doch gerade hier gibt es Marktchancen, wenn mit Hilfe der
Nanotechnologie Omega-3-Fettsäuren über das Fleisch mitgeliefert werden.
Auf der anderen Seite warnte im letzten
Jahr das Bundesinstitut für Risikobewertung vor Nanosilber, dessen Verwendung keinen wirklichen Zusatznutzen hervorbringt.
Titanoxid ist ein anderes Beispiel.
Titanoxid in Sonnenschutzmitteln erhöht den Lichtschutzfaktor. Durch das
eincremen setzt sich der Mensch einer hohen Exposition aus. Da aber nach Krug
und Wick das 25 Nanometer (nm) große Molekül nicht durch die Haut eindringt,
fällt die generelle biologische Wirkung eher gering aus.
Das gleiche Molekül ist seit 20 Jahren
auch als Lebensmittelzusatzstoff E171 zugelassen und könnte über den Magen-Darm-Trakt
in andere Teile des Körpers gelangen. Eine Studie hat negative Effekte
herausgearbeitet – aber man müsse genauer hinschauen. Kleine Effekte wurden nur
durch eine sehr hohe Dosis erzielt. Ein Normalgewichtiger Mensch müsste 300
Gramm zu sich nehmen, um den Effekt zu erzielen.
Ist Nanotechnologie jetzt gefährlich
oder nicht?
Nanokommission
In zwei Arbeitsphasen saß die beim
Umweltministerium (BMU) angesiedelte Nanokommission zusammen, um über Risiko
und Chancen zu beraten. Die erste Arbeitsphase von 2006 bis 2008 arbeitete fünf
Prinzipien aus, die ein verantwortungsvolles Arbeiten mit Nanoteilchen
beinhalten soll:
1 Verantwortung und Management
definieren und offen legen (Good Governance)
2 Transparenz hinsichtlich
Nanotechnologie-relevanten Informationen, Daten und Prozessen
3 Bereitschaft zum Dialog mit
Interessengruppen
4 Risikomanagement etablieren
5 Verantwortung in der
Wertschöpfungskette übernehmen
Die zweite Arbeitsphase von 2009 bis
2011 wollte die fünf Prinzipien überprüfen und ein Umsetzungsmonitoring
entwickeln. Dieser Abschlussbericht wurde am Mittwoch in Berlin vorgestellt.
Gesamtziel: Eine angemessene Kommunikation
für den verantwortungsvollen Umgang mit der neuen Technologie finden.
Der Lebensmittelbereich ist nur eine der
Sektoren, in denen Nanotechnologie angewandt werden kann. Zellen in Lithium-Ionen-Batterien
werden beispielsweise durch Wände getrennt, in denen Nanotechnik steckt. Auch
moderne Computer kommen ohne Nanotechnik kaum noch aus. Nach Wolf-Michael
Catenhusen, Vorsitzender der Nanokommission, ist sie eine der
Schlüsseltechnologien des 21. Jahrhunderts. Deutschland hat dabei die Nase ganz
vorne. Weltweit die Nummer drei, ist Deutschland innerhalb von Europa
Technologieführer. Mehr als 900 Betriebe arbeiten an und mit der
Nanotechnologie und sichern 60.000 Arbeitsplätze.
Kommissonsergebnisse
Insgesamt fünf Arbeitsgruppen haben eine Vielzahl an Empfehlungen erarbeitet, die in einer Kurzfassung von 70 Seiten und in der Langfassung des Berichtes mit allen widersprüchlichen Standpunkten seitens Nichtregierungsorganisationen und Industrie 230 Seiten umfasst. Einige Beispiele:
Definition
Derzeit fehlt immer noch eine Definition, was genau „Nano“ ist. Für den Verband der chemischen Industrie (VCI) und dem Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL) sind Nanoteilchen bis zu 100 nm groß. Aggregate und Agglomerate aus Molekülen sollen ebenfalls dazugehören. Das Ökoinstitut definiert die primären Nanoteilchen zwischen 0,5 und 200 nm Größe, der BUND zwischen 0,3 und 300 nm. Dem schließt sich der Verbraucherzentrale Bundesverband an. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) plädiert für eine klare Primärdefinition und einer für Aggregate, die größenabhängig mit einbezogen werden soll. Krug und Wick schreiben in ihrem Aufsatz, dass es zwischen Biologen und Toxikologen ein stilles Übereinkommen gibt, dass alle Partikel, die kleiner als 250 nm sind und „noch nicht definierte Wege in Organismen gehen können“ unter „Nano“ zusammengefasst werden.
Lebensmittel
Als Konservierungsmittel oder Farbstoff sind Nanoteilchen in Lebensmitteln vorstellbar. Sollten sie angewendet werden, müssten sie mit den EU-Verordnungen über Lebensmittelzusatzstoffe ((EG 1333/2008 und 1331/2008) geprüft und zugelassen werden. Allerdings fehlen oft noch Testverfahren für die Teilchen. Im Rahmen der Novel Food Verordnung EG 258/1997 ist die Nanotechnologie noch nicht einmal erwähnt. Bei der gegenwärtigen Überarbeitung der Verordnung könne das Thema Nanotechnologie mit aufgenommen werden.
Kosmetik
Vorbildlich ist die neue Kosmetik-Verordnung der EU (1223/2009), die für Hersteller, Importeure und Händler bestimmte Informationspflichten auferlegt. Sechs Monate vor Inverkehrbringen müssen die Angaben über verwendete Nanomaterialien der EU mitgeteilt werden. Dazu gehören chemische Spezifikationen des Teilchens, die Anteilsmenge im Produkt, das toxikologische Profil, Sicherheitsdaten und die Exposition gegenüber dem Verbraucher.
Kennzeichnung
Unterschiedlich wurde die Kennzeichnung
von Produkten diskutiert. Neben der freiwilligen oder verpflichtenden
Kennzeichnung ist auch die Aufmachung wichtig - ob sie die Menschen warnt oder
informiert.
Der BLL will keine verpflichtende
Kennzeichnung, weil die allgemeinen Vorgaben zur Produktsicherheit alleine
ausreichen würden. Der BUND plädiert hingegen für eine Verpflichtung bei
verbrauchernahen und umweltoffenen Anwendungen. Patricia Cameron vom BUND und Mitglied
der Nanokommission erklärt gegenüber Herd-und-Hof.de, dass Lacke, die
Nanomaterialien enthalten und für Schiffsrümpfe vorgesehen sind, auch nicht
gekennzeichnet werden müssen.
Vorsorgeraster
Anfang des Jahres titelten alle Zeitungen in der Schweiz, dass Zahnpasta mit Titandioxid gefährlich wie Asbest sei. Hintergrund war eine Studie, die bei Tieren vergleichbare Lungenerkrankungen durch das Nanoteilchen ausgelöst haben. Die Schweiz hat mit dem Vorsorgeraster eine Methode entwickelt, bei der Rahmenbedingungen, Wirkungspotenzial und Expositionspotenzial über eine Formel verknüpft werden können, um eine „Nanorelevanz“ festzustellen. Eine Analyse des Bundesamtes für Gesundheit (BAG) konnte in einigen Tagen Entwarnung geben. Die Studienergebnisse seien vorhersehbar gewesen, weil die Lungenzellen „massiv überladen“ waren und auch Normalteilchen die Erkrankung ausgelöst hätten.
Röttgen sorgt für Überraschung
Überrascht hat Bundesumweltminister Dr.
Nobert Röttgen die Nanokommission, weil er sich eindeutig für ein
Produktregister aussprach, dass in der Kommission durchaus unterschiedlich diskutiert
wurde. So lehnt der VCI ein Produktregister ab. Das führe zu
Doppelregulierungen, weil es bereist eine Datenbank bei der europäischen
Chemikalienagentur gibt, erklärte Dr. Gerd Romanowski, Geschäftsführer für
Wissenschaft im VCI und Mitglied der Nanokommission. Nach Röttgen soll das
Produktregister die Rückverfolgbarkeit im Schadensfall für die Behörden
erleichtern.
Röttgen sprach auch über eine neue Form
des Wirtschaftens. Die Nanotechnologie sichere das Wachstum, ohne das der
bisherige Leistungsstand der Gesellschaft nicht gehalten werden könne. Das alte
Wachstum der Industrialisierung aber finde durch Aufbrauchen der Ressourcen ein
Ende. Und ohne Ressourcen habe die Erde keine Zukunft. Daher gelte es, das Wachstum
vom Ressourcenverbrauch zu entkoppeln, um es menschen- und umweltgerecht zu
gestalten. Künftig werden sich die Konsumenten und Produzenten daran messen
lassen müssen, wie effizient sie mit Ressourcen umgehen. Die Nanotechnologie kann
helfen, sauberes Trinkwasser zu gewinnen oder die Energiegewinnung effizienter
gestalten. Daher gehöre sie zum neuen ressourceneffizienten Wachstum.
Die Einführung der Nanotechnologie muss
gesellschaftlich akzeptiert sein, wobei die Risikoforschung und Aufbringung der
Fördergelder eine „Bringschuld der Politik“ seien. Die von ihm unterstützte
Datenbank fördere die Transparenz der neuen Technologie.
Der Nanodialog
Neue Techniken sind immer mit Risiken
verbunden. Heute wird selbstverständlich genutzt, was bei seiner Erfindung, wie
Eisenbahn und Automobil, umstritten war und oft bedrohlich wirkte. So auch die
Gentechnik. Im Bereich der grünen Gentechnik stehen sich Befürworter und Gegner
heute unversöhnlicher gegenüber denn je, aber im Bereich der Humanmedizin gibt
es zugelassene 144 Medikamente mit 108 gentechnisch hergestellten Wirkstoffen, ohne
dass dagegen demonstriert wird.
Herd-und-Hof.de wollte wissen, welche
Chance die Nanotechnologie hat. Nach Wolf-Michael Catenhusen, die besseren,
denn die Wissenschaftler haben vom „Frankensteinfood-GAU“ gelernt. Solange
keine Glaubenskriege und Heilsversprechen mit der Nanotechnologie verbunden
werden, ist der Dialog sachlich. Dr. Gerd Romanowski vom VCI sagt, es hänge vom
Kommunikationswillen der Beteiligten ab und hofft, dass die Markteinführung
nicht den gleichen Verlauf wie bei der grünen Gentechnik nimmt. Auch, wenn noch
nicht alles „in trockenen Tüchern“ ist, wie der Nanodialog zeigt. Patricia
Cameron möchte die Anwendungen unterscheiden und glaubt, dass das auch den
Verbrauchern gelingt. Lacke für Schiffsrümpfe sind Verbrauchern nicht so nah
wie Lebensmittel oder Kosmetika. Daher sollen Kennzeichnungen und
Produktregister vor allem für verbrauchernahe und umweltoffene Produkte gelten.
Entscheidend für ein Produkt wird letztlich
der individuelle Nutzen sein, den ein Konsument durch die Verwendung von Nanotechnologie
erkennt. In der Lebensmittelbranche scheint der Nutzen nur gering zu sein. Die
bisherige öffentliche Diskussion habe bei diesen Unternehmen zu einer Art
stillschweigendem Moratorium geführt, ergänzt Dr. Romanowski.
Insgesamt hat der Nanodialog, der mit
dem Abschlussbericht nicht beendet ist, viel mehr Chancen aufgezeigt,
verantwortlich mit der Technik umzugehen. Während Europa bei den chemischen
Altlasten über REACh diese langfristig beseitigen muss, hat der Dialog so früh
angefangen, dass nach Catenhusen erst gar keine Altlasten entstehen müssen.
Dr. Romanowski fürchtet nur einzelne
Studien, die unredlich oder mit schlechtem Design für Irritationen sorgen
können. Krug und Wick haben in ihrem Aufsatz Bedingungen aufgestellt, anhand
deren Studien seriös und nachvollziehbar durchgeführt werden können. Die
Wissenschaftler im Bereich der grünen Gentechnik fordern für politische
Entscheidungen, dass nur noch Metastudien herangezogen werden. Die ziehen ein
Resümee aus allen vorliegenden Studien.
Wie geht es weiter?
Die EU wird in diesem Jahr einen neuen Nanoaktionsplan bis 2016 herausbringen. Darin sollen die Innovationsprozesse gestärkt, Verbraucher und Umwelt geschützt und die gesellschaftliche Dimension der Nanotechnologie herausgestellt werden, so Astrid Schomaker von der EU-Generaldirektion Umwelt. Die Themen Kennzeichnungspflicht und Produktregister seien auch auf europäischer Ebene umstritten. Die Empfehlungen der Nanokommission sind für die internationale Arbeit relevant, lobt sie.
Lesestoff:
Abschlussbericht der Nanokommission: www.bmu.bund.de
-> Chemikalien -> Nanotechnologie
Krug H. Wick P: Nanotoxikologie – eine interdisziplinäre
Herausforderung; Angewandte Chemie 2011, 123, 2-23 (in Druck) DOI:
10.1002/ange.201001037
Vorsorgeraster Schweiz: www.bag.admin.ch
-> Chemikalien von A-Z -> Nanotechnologie
Tagung der Verbraucherzentrale zur
Nanotechnologie: 07.05.08
Roland Krieg