Acrylamid: Das Risiko kommunizieren

Ernährung

BfR zwischen Expertisen und Verbraucherverständnis

Schwer ist es zur Zeit über die Wertschöpfungskette „Essen und Trinken“ zu schreiben. Manche Gesichter und Namen tauchen in den Medien nur in Verbindung mit Lebensmittelskandalen auf. Verbraucher nehmen Landwirtschaft, Ernährung und Handel nur noch risikoorientiert wahr und in so einer Abwärtsspirale wächst die Entfremdung zwischen den Verbrauchern und der Lebensmittelverarbeitung sowie der Nahrungsproduktion.
Aber es gibt auch ein gelungenes Beispiel in der Risikokommunikation, das vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in den letzten sechs Monaten in einer Studie untersucht wurde: Änderung des Verbraucherverhaltens durch Risikokommunikation zu Acrylamid in Lebensmitteln. Einige Ergebnisse wurden gestern auf einem Abschlussworkshop in Berlin vorgestellt.

Offensive Information
„Verbraucher wurden offensiv informiert“, lobte Heidrun Franke von der Brandenburger Verbraucherzentrale. Zum einen lag das an der konzertierten Abstimmung zwischen Wissenschaft, Politik, Verbraucherorganisationen und Industrie, die Informationen über Acrylamidgehalte zur Verfügung gestellt hat. Verbraucher bekamen auf diese Weise umsetzungsgerechte Informationen, auf andere Produkte ausweichen zu können, oder den Temperaturregler an der heimischen Friteuse herunter zu drehen. Auch Gesa Maschkowski vom aid infodienst war mit den Informationen über Acrylamid zufrieden und verwies auf das permanente Interesse der Verbraucher, die noch immer rund 20.000 Mal im Monat das Acrylamid-Forum beim aid besuchen. Etwa ein Viertel aller Verbraucher müsse man gar nicht erreichen wollen, weil das diejenigen sind, die gar nicht erst Fragen stellen. Die anderen drei Viertel hingegen habe ein sehr persönliches Informationsbedürfnis. Sie fragen „Was kann ich tun?“, „Was ist wie schlimm?“ und „Wer ist schuld und wo liegen die Ursachen?“.
Das BfR stellt wissenschaftliche Expertisen für die Risikobewertung zusammen und positioniert sich daher in Richtung Verbraucherschutz. Der detaillierte Wissenshintergrund allerdings generiert einen vielfältigeren Anspruch: „Medien sehen im BfR mehr den Ansprechpartner im Bereich der Wissenschaft“, sagte Wirtschaftspsychologe Carl Vierboom, der zusammen mit seinem Partner Ingo Härlen die Studie durchgeführt hat. Einen kompetenten Ansprechpartner findet man beim BfR immer, betonte Heidrun Franke, aber Verbraucher stellen einfachere fragen: „Wie viel Tassen Kaffee darf ich am Tag trinken?“ Oder „Ich esse eine Tüte Chips in der Woche und rauche. Bin ich dann höher mit Acrylamid belastet?“ Gesa Maschkowski hätte für den täglichen Umgang mit den Verbraucherfragen gerne praxisnähere Berechnungen über Belastungen.

Wer etwa weiß, kann handeln
Durchgeführt wurde die Studie von der Universität Bonn und Dr. Johannes Simons stellte einige Ergebnisse vor.
Verbraucher haben mittlerweile gängige Klischees für ihr Misstrauen gegenüber Belastungen bei Lebensmitteln. So werden Zusatzstoffe, Pestizidrückstände und gentechnische Verunreinigungen immer wieder als erste genannt, wobei das noch keiner Wertung entspricht. Diese ist schon detaillierter und Verbraucher schätzen dann die Gefahr durch Salmonellen als viel realer ein. Acrylamid spielt keine übergeordnete Rolle.
Verbraucher können zu mindestens 70 Prozent mit Chips, Pommes und Bratkartoffeln die Produkte sicher benennen, die durch die Bräunungsreaktion stark mit Acrylamid belastet sein können. Dr. Simons führt das darauf zurück, dass kartoffelhaltige Produkte in der „ersten Welle“ der Berichterstattung ständig genannt wurden. Überraschenerweise wurde zur Hälfte auch Fleisch als Risikolebensmittel für Acrylamid genannt, obwohl Acrylamid nur aus Stärke gebildet werden kann, die im Fleisch nicht vorkommt.
So wissen die meisten Menschen aber auch, was zur persönlichen Risikominimierung beitragen kann: Mit dem griffigen Slogan „Vergolden und nicht verkohlen“ wissen Verbraucher, dass stärkehaltige Lebensmittel nicht zu braun zubereitet werden sollen (89 Prozent) und dass frittierte und geröstete Produkte weniger oft verzehrt werden sollten (82 Prozent). Allerdings meinten auch 42 Prozent, dass Waschen eine Möglichkeit sei, Acrylamid zu verhindern. Dieser Aspekt wird besonders interessant, weil Dr. Simons aufzeigte, dass 80 Prozent der Verbraucher meinten, die „Ausgewogene Ernährung“ sei ebenfalls ein probates Hilfsmittel, obwohl die Begriffsbestimmung meist diffus bliebe. Hier manifestiert sich bei Verbrauchern „eine goldene Regel“, das eigene Verhalten nicht jede Woche ändern zu müssen, wenn wieder negative Schlagzeilen in den Medien erscheinen. Dr. Simons sieht darin eine „übergeordnete Strategie“ zur „allgemeinen Risikominimierung, weitestgehend das Meiste zu vermindern“.
Die Studie hat auch herausgefunden, was die Menschen am meisten wissen wollen. Angaben zum Acrylamidgehalt in Lebensmitteln und die Aufklärung über die Risiken stehen dabei an erster Stelle. Nachdem Verbraucher zunächst einmal so viel Wissen wie möglich zusammen tragen, fokussieren sie das erfahrene auf ihre Alltagsrealität und suchen nach Vermeidungsstrategien in den Bereichen Einkaufsverhalten, Ernährungsverhalten und Zubereitungsverhalten. Daher sind Tipps und Zubereitungsregeln in der Risikokommunikation mit 20 Prozent als sehr wichtig und zu 55 Prozent als wichtig benannt worden. Bei den Informationsquellen für die Gehaltsangaben, die Risikobewertung und Tipps haben die Berufe aus dem Gesundheitswesen und Verbraucherschutzorganisationen einen „Nachfragevorsprung“ vor staatlichen Institutionen, den Medien und dem Internet.
Bei dem Thema Acrylamid haben rund ein Drittel der Verbraucher ihr Verhalten verändert. Das kann aber auch damit zusammen hängen, dass bei der Änderung der Zubereitung ein leichter Einstieg vorgeben ist. Änderungen bei der Ernährungsweise und beim Einkaufen sind daher mit höheren Aufwänden verbunden. Generell sei aus der Studie abzuleiten, dass diejenigen, die am ehesten etwas in ihrem Verhalten geändert haben, auch die meisten Informationen hatten. Dr. Simons leitet daraus ab, dass Verbraucher, die den Druck verspüren ihr Verhalten ändern zu müssen, sich dann auch auf die Suche nach Informationen machen.

Die Vertreibung aus dem Paradies
„Man muss gedankenlos essen, um es genießen zu können“, beschreibt Dr. Simons eine Maximalforderung an die Wertschöpfungskette Nahrungsmittel. Das „Essen wie bei Mutter“ sei der Wunsch, unbelastet der Nahrung zu vertrauen, obwohl die Menschen schon wissen, dass „irgendetwas immer dabei ist“. Verbraucher zeigen eine „Wut“, dass ihre Idealvorstellung in der Realität nicht gegeben ist und müssen bei „uneindeutiger und komplexer Informationslage“ den Aufwand betreiben, sich einer Informationsquelle anzuvertrauen. Verbraucher betrieben ein persönliches „Risk-Benefit-Management mit bordeigenen Mitteln bei unklarer Wissenslage“ und suchen Informationen, aus denen sie persönliche Handlungsanweisungen ableiten können. Verbraucherschutzorganisationen haben die Reputation, das nötige Hintergrundwissen zu vermitteln, und Dr. Simons sieht keinen Grund, dass staatliche Stellen dieses nicht leisten könnten. Carl Vierboom sieht in veröffentlichten FAQs „integre Ansätze“ Informationen in kleinen Portionen zusammen zu stellen, Beherrschbarkeit zu vermitteln und gleichzeitig auch zuzugeben, dass man noch nicht alles weiß.

Übertragbares Modell?
Acrylamid hat allerdings besondere „Eigenschaften“ für eine Sonderrolle. Acrylamid entsteht bei allen Bräunungsreaktionen, seit dem der Mensch begonnen hat stärkehaltige Lebensmittel zu erhitzen. Es wird den Stoff auch immer geben, wenn auch Strategien vorhanden sind, den Gehalt bereist im Vorfeld zu minimieren. Es gibt keine „Schuldzuweisungen“, weil die Risikokommunikation Acrylamid den ubiquitären Charakter des Stoffes von vorn herein betont hat und alle beteiligten Partner ein Interesse hatten, gemeinsam darüber zu sprechen.
Daher sind die Ergebnisse nicht direkt auf aktuelle Ereignisse zu übertragen. Zu Herd-und-Hof.de sagte Dr. Astrid Epp vom BfR, dass „Gammelfleisch“ ein anderes Wirkgefüge ist, andere Interessen vorhanden sind und vor allem, dass es einen Schuldigen gibt. Das BfR ist tätig im Bereich der Haltbarkeit von Fleisch, Salmonellenbelastung oder Keimgehalten. Größere Zusammenhänge wie das Thema Rückverfolgbarkeit sind im Aufbau.
Wie unterschiedlich die Interessen sein können, zeigte die Stellungnahme von Michael Welsch vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL). Sein Verband hatte bereits vorzeitig bei dem Thema Acrylamid mitgearbeitet und Daten aus den Herstellungsprozessen zur Verfügung gestellt. Unzufrieden war er allerdings als Nordrhein-Westfalen begann, Produkte mit Gehaltsangaben und Firmennamen in das Internet zu stellen. Mit Blick auf das beschlossene Verbraucherinformationsgesetz verwies Welsch darauf, dass Verbraucher die bereit gestellten Informationen auch verstehen müssen. Was wäre, wenn der Verbraucher sein Lieblingsprodukt in der Liste nicht findet und dieses aber nur deswegen nicht auftaucht, weil es noch gar nicht getestet wurde? Informationen müssen nachvollziehbar sein und er forderte „Informationen statt Irritationen“.

Lesestoff:
Informationen über Acrylamid gibt es bei:
aid infodienst: www.aid.de
Verbraucherzentrale Brandenburg: www.vzb.de
Bundesinstitut für Risikobewertung: www.bfr.bund.de
Bei Herd-und-Hof.de: Minimierung des Acrylamidgehaltes, Signalwertberechnungen des BVL und aktuelle Forschungsergebnisse in der Züchtung können das Bildungspotenzial im Vorfeld verringern.

Roland Krieg

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