Allergietest auf molekularer Ebene
Ernährung
Molekularer Allergietest kann das Leben erleichtern
40 Prozent der Bevölkerung hatten einmal eine Allergie, 36 Prozent leiden unter Inhalationsallergenen, 12 Prozent der Bevölkerung leidet unter Heuschnupfen, zehn Prozent kennen eine Arzneimittelallergie und fünf bis sieben Prozent reagieren auf abwehrend auf ein Nahrungsmittel. In 60 Prozent aller Schulen befindet sich jeweils ein Kind mit dem Risiko, einen lebensbedrohenden anaphylaktischen Schock zu erleiden, und 20 Prozent der allergischen Reaktionen treten in Schulen auf.
Trotz dieser erschreckenden Zahlen reden meist nur die Betroffenen über ihre Allergien. Über Birkenpollen ist mehr zu lesen als über Nahrungsmittelallergien, was Prof. Dr. Ulrich Wahn, Immunologe an der Berliner Charité, vor allem als Kommunikationsproblem bezeichnet.
Euro Prevall
EuroPrevall ist ein EU-finanziertes Projekt über Vorbeugung und Grundlagen der Allergien. Neben 17 EU-Ländern sind auch Ghana, Island und die Schweiz eingebunden. Partner des Projektes kommen selbst aus Neuseeland und China.
Prof. Wahn stellte am Donnerstag in Berlin Ergebnisse aus einem der zahlreichen Projekte vor. Von Island bis Griechenland, von Litauen bis Spanien werden 12.000 Neugeborene seit 20 Jahren zum Thema Allergien begleitet. In Deutschland ist die Furcht vor Allergien besonders hoch. Fast 30 Prozent der Mütter glauben, sie seien gegen etwas allergisch, 19 Prozent der Väter und 15 Prozent der Kinder.
Tests werden immer feiner
Glauben ist aber nicht Wissen. Für Wissenschaftler ist der Beleg der Ansatzpunkt für eine Therapie oder Kur. Das Unwissen verführt die Menschen zu Experimenten mit den vielen Tests, die angeboten werden. Vieles ist „Voodoo“, so Prof. Wahn, auch wenn sie in den „Igel“-Leistungen der Ärzte angeboten werden. Manche Tests erzielen kein relevantes Ergebnis, sind teuer und werden von der Krankenkasse nicht bezahlt [1].
Die ersten „richtigen Tests“ wurden in den 1960er Jahren von der finnischen Firma Phadia erstellt. Sie untersuchten das Blut auf Immunglobulin-E (IgE), das als Antikörper gegen ein unverträgliches Eiweiß gebildet wird. Diese Tests waren jedoch dem wissenschaftlichen Wissen entsprechend noch recht grobkörnig, erklärt Dr. Johannes Huss-Marp, Medizinischer Direktor von Thermo Fisher Scientific.
Die heutigen IgE-Tests sind viel feiner und haben die „Hitlisten“ der Nahrungsmittelallergien herausgearbeitet. An erster Stelle steht das Hühnereiweiß, gefolgt von Kuhmilch und der Erdnuss. Wird heute die Erdnussallergie auch von manchen Ärzten noch immer in die USA verortet, zeigt die Praxis von Prof. Wahn eine ganz andere Realität. „Die Erdnussallergie ist auf dem Vormarsch!“
Auf molekularen Spuren
Die neueste Generation der IgE-Tests stößt mittlerweile auf molekulare Ebene vor. Die Erdnuss ist nicht als Ganzes das Problem, erläutert Dr. Huss-Marp. Sie besteht wie die Kuhmilch oder Fisch aus einem bunten Gemisch an Molekülen und Proteinen. Die einen rufen Allergien hervor, die andern nicht.
Der von Thermo Fisher entwickelte ImmunoCAP – Test hat eine Bandbreite von 100 identifizierten Molekülstrukturen, die Allergien hervorrufen können. Damit kann der Arzt die Allergenkomponenten identifizieren, die in der Erdnuss, dem Fisch oder der Milch gleich sind und welche „nur“ als Nebenmolekül auftreten. „Wir machen nicht mehr, wir sind aber spezifischer“, so Dr. Huss-Marp.
Last und Erleichterung
Die Befragung von Allergikern ergab, dass sich ihr Leben erheblich geändert hat. Mehr als 60 Prozent widmet sich intensiver um die Vorbereitung des Essens, 41 Prozent haben erhöhten Stress, weil vor allem bei der Außer-Haus-Verpflegung die Nahrungsbestandteile nicht immer bekannt sind, und 70 Prozent der Eltern gab an, dass die Lebensqualität ihrer allergischen Kinder eingeschränkt ist.
Wer nicht oder falsch testet unterliegt Irrtümern. So wird häufig die Laktose-Intoleranz mit einer Lebensmittelallergie verwechselt. Anders sind auch Zöliakie und die Histamin-Intoleranz einzuordnen. Wer nur so ungefähr weiß, steht unter unnötigem Stress.
Der molekulare Bluttest hat daher Vorteile für die Verbraucher. Heute müssen zehn Menschen, die auf bestimmte Nahrungsmittel allergisch reagieren eine strikte Vermeidungsstrategie fahren und auf das Lebensmittel verzichten, erklärt Prof. Wahn. Wenn jedoch mit Hilfe der molekularen Untersuchung die einzelnen Komponenten erfasst wurden, dann müssen nur zwei bis drei dieser Personen eine strenge Diät halten. Die anderen wissen, dass sie versteckte Spuren von Erdnüssen verzehren können. Die umfassenden Ergebnisse unterscheiden zwischen einer echten und einer Kreuzallergie. Auch Provokationstests bleiben den Patienten erspart.
Lebensmittelallergie als Allergie-Marker
Untersuchungen haben gezeigt, dass frühzeitige Allergie-Tests auch frühe Gewissheit bringen. Kinder, die mit dem Antikörper IgE auf Lebensmittel im ersten Jahr reagieren können zwar aus dieser wieder herauswachsen, zeigen ein paar Jahre später jedoch Allergien anderer Art. Damit ist der frühe Test auf Lebensmittelallergien ein Bio-Marker für spätere weitere Erkrankungen, so Prof. Wahn.
Der Allergologe spricht sich für einen Test zwischen dem vierten und 12. Monat aus. Aber nicht jedes Neugeborene muss getestet werden. Sinn mache der frühzeitige Test, wenn es eine elterliche Disposition für ein Allergien gebe.
Nationale Kampagne gefordert
Die Fachärzte sind über Fortbildungen auch über den molekularen Bluttests informiert, der ebenfalls von der Krankenkasse getragen wird. Aber auch dort gibt es noch Aufklärungsbedarf. Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat zwar vor Jahren ein Allergie-Portal eingeführt, doch das Thema werde noch immer unterschätzt. Prof. Wahn fordert daher eine nationale Aufklärungskampagne, die mit vorhandenen Budgetmitteln finanziert werden könnte.
Lesestoff:
Die Organisation der Europäischen Akademie für Allergie und klinische Immunologie finden Sie unter http://eaaci.net
Hier geht es zum deutschen: www.aktionsplan-allergien.de
Mehr über den molekularen Bluttest ImmunoCAPfinden Sie bei www.thermoscientific.com
[1] Auch die Deutsche Gesellschaft für Ernährung warnt regelmäßig vor unsinnigen Allergietests
Erste Allergiekonferenz in Berlin
Roland Krieg