Als aus dem Genever Gin wurde

Ernährung

Gin boomt in Europa

Gin-Produktion von 2007 bis 2017

Wacholder-Tee fördert die Verdauung und wirkt gegen Sodbrennen. Pflanzliche Heilmittel wurden auch in Europa immer wieder genutzt. Die Wacholderbeeren wurden Salben gegen Gelenkerkrankungen zugesetzt. Alles was gärt wurde auch immer schon auch als Alkohol getrunken. Der Wacholderschnaps ist heute noch als Steinhäger und Genever bekannt. Der Arzt Francisus Sylvius hat sich mit dem Genever in die Geschichte gebrannt. Der 1614 in Hanau geborene Hesse wirkte vor allem in den damaligen Niederlanden als Doktor. Sein Herrscher hieß Wilhelm III von Oranien-Nassau. Als Gegenpol zum französischen Sonnenkönig gab er Englands Rufen nach und setzte über den Ärmelkanal, um die Insel gegen Frankreich zu schützen. Kraft eigenen Rechtes ließ er sich in der Westminster Abbey 1689 zum englischen König krönen.

Aus Genever wird Gin

Neben komplizierten Familienzwistigkeiten bis nach Süddeutschland hinunter steht der protestantische König Wilhelm III mit dem Massaker von Glencoe in Schottland und Aufständen im katholischen Irland in Verbindung. Wilhelm III hatte zur Beruhigung wohl immer eine Flasche Genever dabei. Zumindest hat er den Wacholderschnaps nach England gebracht und französische Ware erst einmal mit hohen Steuern auf dem Kontinent gehalten. Aus dem Genever wurde in London sprachlich der Gin und schon 1690 wurde ein Reinheitsgebot erlassen, das für das Bennen von Gin ausschließlich englischer Weizen genutzt werden darf.

London ist das Herz britischen Gins

Die politische Geschichte des Gin zeichnet sich noch heute auf der Landkarte ab. Die Engländer haben mit „The Gin Guild“ der traditionellen Distillers Company aus dem Jahr 1638 ein eigenes Kapitel hinzugefügt. Die Gin-Traditionalisten halten jährlich ihr bedeutsames „Ginposium“ in London ab. Im Gegensatz zum Whiskey, der traditionell aus Schottland kommt, und bei einem Verbleib der Schotten in der EU den Briten als Exportschlager verloren geht, bleibt der Gin den Leavern treu. Fast alle Whiskey-Destillen liegen in Schottland, beim Gin sind sie flächendeckend über das UK verstreut. Das Herz des Gins schlägt aber nach wie vor in London. Dort stehen die ältesten Gin-Destillen auf dem Nordufer der Themse gebündelt zwischen Hyde Park und Whitechapel.

Die britische Gin-Dominanz auf dem alten Kontinent konnten die Briten sogar ausweiten. Wurden 2007 europaweit noch 72 Millionen Liter Alkohol für den Gin gebrannt, waren es 2017 stattliche 116 Millionen Liter und gaben dem Gin ein Wachstumsplus von 62 Prozent. Fast zwei Drittel des Gins werden in Großbritannien gebrannt. Mit Abstand folgt Spanien mit einem Anteil von neun Prozent. In Deutschland sind es gerade einmal 3,5 Millionen Liter und drei Prozent Anteil am europäischen Gin-Markt.

Neue Destillen

Die Jahrhunderte alte Geschichte des Gin in England darf nicht darüber hinwegtäuschen, es gäbe keine neuen Destillen. Katherine Smart hat 2017 erst „The Suprey Copper Distellery“ gegründet. Familiengeführte Destillen sind auf den britischen Inseln weit verbreitet. Der erste Schritt ist immer die Legalisierung mit der „Licence to Distil“. Heute haben die sozialen Netzwerke die Verbreitung von Gin das königliche Verbeiten durch Wilhelm III von Oranien-Nassau übernommen.

Justin Hicklin von „The Gin Guild“ beklagte auf dem Ginposium 2018, dass mit der Ausdehnung der Ginproduktion auch die Verschiedenheit der Geschmacksrichtungen zunehmen. Für das richtige Produkt mit dem richtigen Geschmack hat die Gin-Zunft sogar eine Aroma-Datenbank zusammengestellt.

Alte Rezepturen

Was Gin wirklich zu Gin macht ist in der Richtlinie 110/2008 EG eindeutig festgehalten. So ist Gin eine Spirituose mit Wacholdergeschmack aus Beeren von Juniper communis gewonnen. Letzterer Hinweis ist wichtig, da es auch giftige Wacholderbeeren gibt. Der Mindestalkoholgehalt beträgt 37,5 Volumenprozente.

Destillierter Gin entsteht durch erneute Destillation von ausschließlich landwirtschaftlich erzeugtem Ethylalkohol. Gin, der durch einfaches Zusetzen von Essenzen und Aromastoffen hergestellt wird, darf den Namen Destillierter Gin nicht tragen. Die höchste Weihe trägt der London Gin. Der Ethylalkohol aus der landwirtschaftlichen Produktion ist die Basis für den Gin und weist einen Methanolgehalt von maximal 5 Gramm auf einen Hektoliter auf. Er darf nicht mehr als 0,1 Gramm Zucker pro Liter enthalten, keine zugesetzten Farbstoffe und kann in der Bezeichnung den Zusatz „dry“ führen.

Die Briten möchten gerne schärfere Regeln haben, damit viele ähnliche Produkte wie „Death´s Door“ aus den Regalen vertrieben werden. Vor allem  geht es um den Alkoholgehalt der Ausgangsdestille (96 Prozent). Die USA erlauben beispielsweise auch Ausgangsdestillen von nur 95 Prozent. „The Gin Guild“ wehrt sich auch gegen die Ausweitung des Begriffes „craft“. Nach dem Brexit kann das Königreich eigene Regeln aufstellen – wird diese aber im Handel mit der EU gegenseitig anerkennen lassen müssen.

Die Briten setzen seit 1690 auf englischen Weizen als Ausgangspunkt für Gin. Gin-ähnliche Produkte sind in Deutschland auf Apfel- und Birnengrundlage unterwegs. Die Polen setzen auf Kartoffeln. Die Basis ist neben dem Geschmacksgeber Wacholder für die für die Gin-Destille. „It´s all about the base, the base“, betonte Joanne Moore auf dem Ginposium 2018.

Britischer Gin erobert zweimal die USA

Natürlich haben die Briten auf dem Weg nach Nordamerika auch Fässer voller Gin dabei gehabt. Als aber die erste Gallone Gin 1862 nach Amerika kam, war der Import von Genever fünf bis sechsmal höher. Die US-Cocktailbücher basierten damals auf  Genever. Der Gin setzte aber bald auf die Überholspur.  1870 kam die Destille der Fleischmann Brothers mit dem ersten eigenen American Dry Gin auf den Markt. Gin galt in den 1880er Jahren als der „Geist“ der aufkommenden Cocktail-Kultur. In Manhattan wurde in dieser Zeit der Grundstein für den Martini gelegt. 1895 schrieb die New Yorker Zeitung „The World“ von einem Gin-Boom am Broadway. Während der Prohibition und des Zweiten Weltkrieges schien Gin seine Dominanz zu verlieren.  Erst mit den Beatles gewann er als „Lifestyle“ sein Comeback jenseits des Atlantiks.

Zwischendurch gab es sehr dunkle Zeichen am Gin-Horizont. Den Höhepunkt setzte ausgerechnet das britische Symbol für „britishness“, Bond, James Bond. Im Buch von Ian Fleming wurde fatalerweise Gin mit Wodka gemixt. Deswegen rechnet „The Gin Guild“ Bond der Wodka-Fraktion zu.

Bonds Original-Cocktail mit einem dritten Teil Kina Lillet lässt sich heute nicht mehr herzustellen. Dieser chininhaltige Zusatz wurde speziell für die französische Fremdenlegion gegen die Malaria gebraut. Kina Lillet wurde Ende der 1980er Jahre vom Markt genommen.

Die Amerikaner gaben nie wirklich auf, Gin selbst herzustellen. So ist beispielsweise „Fords Gin“ erst seit September 2012 auf dem Markt und hat mengenmäßig die kleine Gruppe von Premium-Gin erreicht. Die Spirituosen-Marktforscher von IWSR aus London zeigten, dass Premium-Gin bei den Millennials im Zug der Cocktail-Bewegung hoch im Kurs steht. Der Absatz von Cocktails auf Gin-Basis hat zwischen 2016 und 2017 um 17 Prozent zugenommen.

Big Business

Wollte William III mit einer Flasche Genever möglicherweise lediglich durch die Wirren seiner Zeit kommen, ist Gin 330 Jahre später ein Big Business. Die Glazer-Brüder starteten 1933 gleich mit dem Ende der Prohibition in Texas. 1946 gründete der New Yorker Harvey Chaplin „Southern Wine & Spirits“ in Manhattan. Glazer´s und Southern eroberten nach und nach US-Bundesstaaten, was in seiner Rasanz dem transkontinentalen Eisenbahnbau fast gleichkommt. Seit 2016 sind sie als Southern Glazer´s Wine & Spirits in Miami zusammen auf dem Markt. Einer der wichtigsten Gin-Hersteller vertreibt mittlerweile mehr als 5.000 Marken in 44 US-Bundesstaaten, beschäftigt 22.000 Angestellte und erzielte 2017 einen Umsatz in Höhe von 16,5 Milliarden US-Dollar.

Roland Krieg; Grafik: Eurostat

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