Billiger geht nicht mehr
Ernährung
Der Ausweg aus der Billigfalle
Die Tagespresse hatte gut schmunzeln. Die Fruit Logistica in Berlin wartete mit Produkten auf, die seltsam schienen. Kubisch geformte Auberginen sind gut stapelbar und fallen Kunden sofort auf. Sie wecken die Neugierde und landen im Einkaufskorb. Auch die Rispentomaten haben es in sich. Ganz in Gelb locken sie den Blick auf sich und mit einem frischen Zitronengeschmack überraschen sie manchen Gaumen. Das Produkt erreichte beim Fruit Logistica Innovation Award den zweiten Platz.
Haben die Züchter nichts Besseres zu tun? Was soll das Ganze?
Billig ist auch gut
Im Jahr 2001 bekam Georg Akerlof den Nobelpreis für Wirtschaft für eine Arbeit, die er bereits 30 Jahre früher geschrieben hatte: „The Market for Lemons“. Lemons bezeichnet umgangssprachlich schlechte Gebrauchtwagenautos, die sich äußerlich kaum von guter Qualität unterscheiden lassen. Erst an der übernächsten Ecke merkt der Kunde, dass er besser ein teureres Modell gekauft hätte. Dennoch treibt der Billighandel kontinuierlich die Qualitätsmarken aus dem Markt. Wofür sich anstrengen, wenn die Kunden am Ende doch den Preis entscheiden lassen?
Im Lebensmittelmarkt kennt kaum ein Kunde noch den wahren Preis eines Produktes; ständig ist immer alles billiger. Was die Lebensmittel von den Gebrauchtwagen unterscheidet sind die Lebensmittelkontrollen, Skandale und immer umfangreichere Vorschriften: Billig ist nicht mehr unbedingt schlecht. Austauschstoffe machen aus einem Markenprodukt ein Angebot, die Handelsmarke, und der Preisdruck durch große Abnahmemengen sorgt für günstige Einstandspreise. Qualitativ ist die Lücke zwischen Angebot und Premiumware kleiner geworden, wie zahlreiche Produkttests belegen.
Der Handel leidet
Die Bauern beklagen den Billigwahn bei Lebensmitteln. Aber gesetzlich ist dem Handel nicht vorzuschreiben, wie teuer Produkte verkauft werden müssen. Der Handel kommt aus seiner selbstgestellten Falle nicht mehr heraus. Die Marktforscher der Düsseldorfer Information Resources GmbH (IRI) haben im letzten Jahr festgestellt, dass fast jedes Dritte Produkt im Lebensmittelhandel im Angebot ist [1]. Mittlerweile erwarten die Kunden Sonderaktionen, aber die „Preiskampf-Kultur“ erzielt keine Erfolge mehr. Die Händler riskieren ihre letzten Margen.
Die Rechnung „Preise runter – Menge hoch“ stimmt nicht mehr. 2014 hat die Gesellschaft für Konsumforschung die Sinnlosigkeit des Preiskampfes festgestellt. Zwar zocken die Lebensmittelhändler noch, aber die Kunden ziehen nicht mehr mit. So lag der Preis für Frischmilch 2014 fast durchgehend um sieben Prozent über dem Vorjahresniveau. Die eingekauften Mengen allerdings sanken nur um ein Prozent. Als Discounter im November Frischmilch um fünf Prozent preiswerter anboten reagierten zwar die Kunden, aber der Konsum stieg nur um 0,5 Prozent.
Zweites Beispiel Butter: Zwei Preisrunden haben Butter 2014 sieben Prozent günstiger gemacht. Der Kunde belohnte das aber nur mit einem Abverkaufsplus von 0,5 Prozent. Drittes Beispiel Äpfel. Das Angebot durch das Russlandembargo lies den Preis um fast zehn Prozent sinken, aber die Kunden hielten noch nicht einmal das Vorjahresniveau. Der Abverkauf sank um 0,4 Prozent.
Pappesatt
Nicht nur die Märkte und Regale sind gesättigt. Auch die Kunden. Wie viel Milch, Fleisch oder Obst und Gemüse sollen noch auf den Teller? Der Handel und das Sortiment bewerben nicht mehr einen ganzen Kunden, sondern nur noch einen Zehntel-Kunden, der sich sein Sortiment schon längst selbst zusammenstellt hat. Wer wächst, so erklärte Dr. Mirjam Hauser vom Schweizer Gottlieb Duttweiler Institute, setzt Schrumpfung in einem anderen Segment voraus.
Zudem ist die Zahl der Kunden wegen des demografischen Wandels nicht mehr gestiegen. In Frankreich hat IRI im letzten Jahr einen Trend ausgemacht, der in Europa mittlerweile auch Spanien, Italien und die Niederlande erreicht hat. Demnächst wird Deutschland wohl folgen. Die preiswerteren Handelsmarken nutzten Konsumenten in der Vergangenheit zur Reduzierung ihrer Einkaufskosten. Platzierte der Handel seine eigenen Marken konnte er auf steigende Margen hoffen. Doch haben nach Einschätzung von IRI-Autor Tim Eales [2] Handelsmarken ihren Zenit erreicht: „Handelsmarken befinden sich inzwischen in der Reifephase und die Einzelhändler verabschieden sich von aggressiven Werbeaktionen und Niedrigpreisen. Faktisch ist das Preisniveau gestiegen, um die steigenden Ansprüche der Konsumenten an höhere Qualität und Premiumprodukte zu decken.“
Neue Sehnsuchtsfelder
„Langsam leben ist der neue Luxus“, erklärte Dr. Mirjam Hauser auf dem Frische Forum der Fruit Logistica. Bei gut verdienenden Haushalten haben sich nach Einschätzung der Expertin vier neue Sehnsuchtsfelder aus immateriellen Werten nach oben geschoben: „Ursprung, investieren, gemütlich und vertraut sowie unbeschwert und bewährt“. Hintergrund ist die dramatische Veränderung der Haushaltsformen. 40 Prozent der deutschen Haushalte sind Single-Haushalte, für die aus „Fast Food“ „Good Food Fast“ geworden ist. Essen wird zum Ereignis, zum Status-Symbol, das mit Wissen angereichert wird. Ob das immer richtig ist, bleibt offen, aber der Trend geht hin zu Smartphone und digitalen Armbändern, die zum persönlichen Ernährungsberater werden. Mehr Menschen leben in Städten. Ihnen folgen Natur und Lebensmittelproduktion. Urban Farming entlässt die Bauern aus dem Monopol der Nahrungserzeugung. Aber was die urbane Gesellschaft nicht selbst produzieren kann, wird der Landwirt liefern. „Die Farmer werden die neuen Stars“, prognostiziert Dr. Hauser, weil sie den Sehnsuchtsfeldern ein Gesicht geben können.
Das lässt sich sogar ökonomisch erklären. Obst und Gemüse werden superiore Güter werden. Sie sind teurer, werden aber bei steigendem Einkommen dennoch vermehrt eingekauft. Falls aus dem Apfel mehr als Kernobst und aus Rosenkohl mehr als ein Gemüse wird.
Ernährungspolitik
So funktioniert es: Rob Baan verkauft aus den Niederlanden 64 verschiedene Kressesorten. Allesamt individuell mit spezifischen Zubereitungstipps. Für den Holländer ist „Gesundheit“ die Motivation für neue Produkte. Obst und Gemüse sind Vertreter dieses Trends par excellence. Die Japaner machen es vor. Sie kaufen sich mit angereicherten Produkten, veränderten Rezepten vermeintliche Gesundheit ein. Die Landwirtschaft alleine wird das nicht bewerkstelligen können, sagte Baan. Die Politik müsse den Trend über eine Ernährungspolitik forcieren. Schon alleine, um die jährlichen 70 Milliarden Euro für ernährungsbedingte Krankheiten in den Griff zu bekommen.
In Italien sind es sogar 117 Milliarden, ergänzt Prof. Dr. Roberto Della Casa von der Universität Bologna. Weil die Italiener traditionell viel Obst und Gemüse verzehren, glaubten sie, sich im Konsum nicht mehr anstrengen zu müssen. Doch sinkt der Verzehr um jährlich zehn Prozent und würde 2050 bei gerade noch 250 Gramm pro Kopf und Tag liegen. Ein Verhaltensfehler liege darin, dass die Italiener zur Verringerung von Lebensmittelabfällen beginnen, weniger einzukaufen. Ohne den Prozentsatz des Abfalls zu reduzieren. Prof. Della Casa plädiert für einen hohen Etat für gesunde Lebensmittelprodukte. Für jeden einzelnen Joghurt gäben die Unternehmen mehr Werbegelder aus als für Obst und Gemüse insgesamt.
Lange Reaktionszeit
Jetzt tauchen die kubischen Auberginen und die gelben Tomaten mit Zitronenaroma wieder auf. Sie sind keine Laune der Züchter, aus Langeweile entstanden, um neue Spielchen auf den Markt zu bringen. Sie sind der Ausweg für den Obst und Gemüsemarkt aus der Konsum- und Margenkrise. Sie passen in die „Landschaft“ der Luxuskonsumenten, die Tomaten mit einer geschmacklichen Erlebniswelt verbinden wollen und kantigen Auberginen, die Neugier wecken.
Weniger spektakulär funktioniert es bereits. Der Drei-Kilo-Sack Äpfel ist für den Single-Haushalt out. Für einen Club-Apfel mit erotischem Image und „to go“ legt der Kunde mehr Geld auf die Ladentheke.
Züchter haben allerdings ein Problem. Sie brauchen eine lange Vorlaufzeit von bis zu zehn Jahren, erklärte Pieter Gabriels vom deutschen Unternehmen Bejo Samen GmbH. Mit konventioneller Züchtung lassen sich neue Kohlsorten züchten, die einem Ein-Personenhaushalt angepasst sind und das gesunde Wintergemüse wieder zurück in die Küchen bringen kann.
Frischer Wind
Der Handel muss bei den Hausaufgaben mitmachen. Obst und Gemüse wird zwar mittlerweile meist in Marktatmosphäre beim Eintritt präsentiert, aber, so beklagt Dr. Hauser, meist als Abholstation. Obst und Gemüse, und nicht nur die exotischen Früchte, müssen präsentiert und erklärt werden. Verkäufer könnten die Ware im Zusammenhang mit Gerichten anbieten und gleich ein passendes Früchtedessert empfehlen. Das bestätigt Hans-Jürgen Kirsch von der Handelskette Globus. „Der Kunde lässt sich am Point of Sale von Innovationen erwärmen.“ So könnte der Handel Kiwis mit verschiedenen Images ausstatten, glaubt Della Casa: Die grüne für morgens, die gelbe für mittags und abends eine rotfleischige Kiwi.
Ein Problem aber bleibt bestehen. Die „Veredlung“ von Obst und Gemüse findet meist hinten in der Verarbeitungskette statt. Ob am Ende aller Anstrengungen die Landwirte als Erzeuger von dem Mehrwert wirklich profitieren, bleibt offen. Ist der Käse noch so teuer und selten: Der Bauer liefert nur die Milch.
Lesestoff:
[1] Sonderaktionen führen nicht zu mehr Abverkauf
[2] IRI-Studie „Private Label in Western Economies“ Januar 2014 www.iriworldwide.eu
Roland Krieg