Bio-Brotboxen: Symbol für CSR

Ernährung

Prominenz packt für ABC-Schützen

Vor genau einem Monat startete in Gießen die mittlerweile fast bundesweiten Bio-Brotboxen-Aktion: Gesundes Frühstück in einer wiederverwendbaren Frühstücksbox für Erstklässler.
Dr Burkhardt SonnenstuhlAm Sonntag opferten 600 Freiwillige ihren freien Tag und packten 53.000 Bio-Brotboxen für Berlin und Brandenburg. Erstmals waren Vertreter der Brandenburger Verbraucherzentrale und der Wohnungsbaugesellschaft degewo beim Packen in der Lagerhalle der Neuköllner terra Naturkost dabei und legten eine regional erzeugte Möhre zu Vollkornbrot, Früchtemüsli und einen Brotaufstrich in die Box. Dazu kommen ein Sojadrink und eine Informationsbroschüre.
Dr. Burkhardt Sonnenstuhl, der die Initiative 2002 erstmals durchführte, konnte in diesem Jahr eine werbefreie Bio-Brotbox präsentieren. 600 Freiwillige Helfer, über 47 Unternehmen und 300.000 Euro Aufwand – das sind die harten Zahlen.

„Die Politik anfeuern“
Sieben Jahre Bio-Brotboxen sind auch sieben Jahre Vorfreude, sagte Renate Künast, die einst als Bundeslandwirtschaftsministerin die Aktion politisch umsetzen half. Die erfahrenen Helfer zeigen den Neuen, wie es geht und belohnen sich mit Applaus, wenn Dr. Marion KrachtSonnenstuhl die Zahl der fertig gepackten Boxen über Lautsprecher durchgibt und neue Firmen sowie deren Helfer vorstellt.
Weil aber mit Bremen immer noch ein Bundesland fehlt und die Boxen nicht flächendeckend verteilt werden, „steht die Aktion immer noch am Anfang“, sagte Künast in Berlin. Jedoch habe die Aktion bereits geholfen, das Thema Kinder und Ernährung in die breite Öffentlichkeit zu tragen. Die Aktion könne und solle „die Politik anfeuern“.
So beteiligt sich auch Schauspielerin Marion Kracht am Packtisch und beim Stapeln der Pakete. Am Samstag hat die Berlinerin ihr zweites Kind eingeschult und weiß um den Impuls der Frühstücksbox. Viele Eltern wüssten nicht so recht, was sie den Kindern einpacken sollten. Die ABC-Schützen bringen das Wissen dann mit nach Hause.

Brotbox Giessen 2008In Gießen hat sich Gerrit Terdenge bei der Verteilaktion engagiert. Der ehemalige Spieler der Basketball-Nationalmannschaft und Spieler in der ersten Liga vermittelt den Kindern, wie wichtig ein gesundes Frühstück für die Leistungsfähigkeit ist. Ohne tägliches Frühstück würde das Training schwerer fallen und weniger Spaß bereiten, sagte er. Den Start in den Morgen brauche der Mensch auch, wenn er noch zur Schule geht und lernen will.

Überhaupt steht und fällt die Aktion mit dem stillen Engagement der Lehrerinnen und Lehrer. Oftmals sind es Einzelpersonen, die diese Aktion in die Schule bringen und während des Schuljahrs auch schon mal eigene Stullen für die Kinder mitbringen, die beim gemeinsamen Frühstück mit leeren Händen am Tisch sitzen, so Dr. Sonnenstuhl.

Brandenburg:
Der Paketservice UPS hat es im Flächenland Brandenburg nicht einfach: Rund 19.000 Bio-Brotboxen werden in Brandenburg verteilt. In den nächsten beiden Tagen sind Agrarminister Dr. Dietmar Woidke und Bildungsminister Holger Rupprecht unterwegs, um einige davon gleich vor Ort an die jungen Schüler zu verteilen. Insgesamt sind 449 Grundschulen rechtzeitig mit den gesunden Leckereien zu versorgen. „Ein gesundes und ausgewogenes Pausenbrot ist eine wichtige Grundlage, damit die Kinder in der Schule gute Leistungen bringen“, begründet Dr. Woidke das bereits dritte Engagement des Landes.
Ein Viertel der Berlin-Brandenburger UPS-Belegschaft half am Sonntag, die 3.200 Brotboxenpakete zu adressieren, zu scannen und wird sie heute und morgen verteilen.

Im siebten Aktionsjahr steht das „gesellschaftliche Engagement“ im Vordergrund. Für Hans-Peter Teufers, Direktor für Öffentlichkeitsarbeit bei UPS, spiegelt die Corporate Social Responsibility (CSR) die Grundwerte der Gesellschaft und die des Unternehmens wider. Es ist das Engagement der Mitarbeiter, was die Firma unterstützt.
Brotboxen 2008In den USA ist CSR in ihrer praktischen Umsetzung weiter verbreitet als in Deutschland, so Joachim Weckmann vom Märkischen Landbrot zu Herd-und-Hof.de. Über 50.000 Brotboxen zu befüllen, ist nicht nur eine logistische Meisterleistung in der Packhalle, wo die einzelnen Arbeitsschritte aufeinander abgestimmt werden müssen, sondern auch ein Beschaffungsproblem. Kleine Betriebe können nicht alle Lebensmittel aufbringen und selbst das Märkische Landbrot teilt sein Engagement mit sieben anderen Bäckereien. In Süddeutschland hingegen habe eine große Bäckerei sich den alleinigen Versorgungsstatus gesichert – nicht im Sinne der Erfinder.
Denn Teufers differenziert, um was es den Firmen geht. Sie wollen keine Werbung für ihr Engagement, sondern Aufmerksamkeit für ihre Mitarbeiter. „Ich war beim packen dabei“, ist den Ehrenamtlichen Motivation genug.

CSR: Hilfe, aber kein Notnagel
Dr. Michael Bürsch, Vorsitzender des Bundestagsausschusses „Bürgerschaftliches Engagement“, nutzte die Gelegenheit, auf die 23 Millionen Bundesbürger hinzuweisen, die sich in einem Ehrenamt engagieren. Die Bio-Brotbox ist ein deutliches und wachsendes Beispiel für gelungene Mitarbeit. Die neuerliche Ausdehnung der Aktion zeige, was die Vielzahl Einzelner im Zusammenspiel zu leisten vermag. Effektiver, als manche Politik. Die Wirtschaft könne, so Dr. Bürsch, manches einfacher realisieren, ohne dass die Politik sich aus der Verantwortung stiehlt. Sie kann dem Ehrenamt beispielsweise mit einem verbesserten Unfallschutz und einer Anerkennungskultur einen Rahmen geben.

Brotbox Leverkusen 2008Auch in Leverkusen haben rund 1.700 Kinder ein gesundes Frühstück zum Schulstart erhalten. Erstmalig wurden auch fast 4.000 Schüler im Rheinisch-Bergischen Kreis versorgt. Marianne Ackermann, Vorsitzende des Naturgut Ophoven stellte zufrieden fest, dass zu den 40 Unternehmen, die bereits im letzten Jahr teilnahmen, neue hinzugekommen sind. Rolf Menzel, Landrat des Rheinisch-Bergischen Kreises: „Diese Initiative ist genial, weil sie Ernährung, Gesundheit, Umwelt und Bildung in einem Projekt vereint.“

Allerdings ersetzt CSR keinen Lehrplan und zuletzt hatte die Deutsche Gesellschaft für Ernährung in Schwerin noch einmal resigniert, dass es wohl unrealistisch bleibt, einen bundesweiten Ansatz für die Erlangung von Ernährungs- und Haushaltskompetenz zu erwarten. Herd-und-Hof.de wollte daher wissen, ob CSR der Politik nicht ein Alibi gebe, untätig zu bleiben?
Für Dr. Bürsch ist das eine Frage der „Verantwortungsteilung“. Der Grundgedanke der staatlichen Aufgabe müsse erhalten bleiben, kann aber im Zusammenspiel mit bürgerlichem Engagement „Neues entdecken“. Gerade die Frühstücksboxenaktion zeige, wie zielgerichtet eine Aufgabenstellung gelöst werden kann. Die Hilfe ist dabei nicht sektorgebunden und effektiver.
Für den Berliner Landesschulrat Hans-Jürgen Pokall ist ein eigenes Schulfach viel zu eng ausgelegt. Er favorisiert die fächerübergreifende Lösung, wie sie in allen Bundesländern verschieden umgesetzt würde. Man könne diese Lerninhalte nicht täglich unterrichten. Er wolle bei der Kultusministerkonferenz durchsetzen, dass die Frühstücksboxenaktion „fester Bestandteil“ an den Schulen wird.

Brotbox Hannover 2008In Hannover erhielten rund 11.000 Erstklässler an 192 Grundschulen die begehrte Frühstücksbox. Wie überall kommt die Aktion völlig ohne Steuergelder aus. In der Grundschule auf dem Loh überreichten Journalistin Doris Schröder-Köpf zusammen mit Oberbürgermeister Stephan Weil die Frühstückspakete. „Mit knurrendem Magen oder gar Süßigkeiten im Bauch kann ein Kind nicht konzentriert lernen“, sagte sie. Mit dabei war auch das Team der Adipositasprävention an Grundschulen der Region Hannover. Es arbeitet mit Schulen und Eltern langfristig zusammen.
Beim Packen unterhielt Musiker Kürsche die Helfer: „Schon irre, vor Leuten zu spielen, die keine Hand zum Klatschen freihaben.“

Renate Künast hingegen grenzte das gesellschaftliche Engagement dennoch ein. In Berlin können 15 Grundschulen nur deshalb ein gemeinsames Frühstück gewährleisten, weil sie die Lebensmittel von der Berliner Tafel erhalten. Das passe nicht zu einer Hauptstadt eines hochindustrialisierten Landes, meinte Künast. CSR könne keine Nothilfe sein. Die Schulen bräuchten vor allem Geld, um sich mit Küchen auszustatten, damit die Kinder auch Kochen können. Hier müsse, so Künast, die Politik ihr Engagement zeigen.

Lesestoff:
Wer beim nächsten Schulstart dabei sein will, der kann sich Tipps und Informationen unter www.bio-brotbox.de holen. Hier weiß man Rat, welche Betriebe Lieferkapazitäten haben und was beim Verpacken und Verteilen alles zu beachten ist.

Roland Krieg; Fotos: Berlin: roRo; andere: Informationsstelle Bio-Brotbox

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