Breast is Best

Ernährung

Stillen ohne wenn und aber

>Chemierückstände in der Muttermilch machen sie nicht weniger wertvoll, bestätigt das Bundesinstitut für Risikoforschung (BfR). Muttermilch ist die beste, die praktischste und die preiswerteste Nahrung für das Neugeborene. Gestillte Säuglinge erkranken im ersten Lebensjahr seltener an Infektionen und neigen im späteren Alter weniger zu Übergewicht - so das Fazit der BfR.

PBDE in Deutschland
PBDE sind polybromierte Diphenylether, die als Flammschutzmittel in Polstereien oder als Kunststoffpolymere in elektronischen Geräten Verwendung finden: Im Computer oder Fernseher. Die Wissenschaft sieht in den PBDE persistente und bioakkumulierende Stoffe, die sich also dauerhaft in Fettgewebe anreichern können. Die Verbindungen haben neuronale und hormonelle Effekte und sind kanzerogen. Sie können über die Plazenta an das Embryo weitergegeben werden. Einige Flammschutzmittel, wie das penta- und okta-BDE sind in der EU seit dem 15. August 2004 verboten, während für das deca-BDE noch nicht alle Daten zur Verfügung stehen. Die Gehalte an anderen „persistent organic pollutants“ (POPs) gehen zurück, aber der Anteil PBDE in schwedischer Muttermilch und deutschen Blutproben zwischen 1985 und 1999 steigt an, wie Olaf Päpke von der Hamburger ERGO Forschungsgemeinschaft mbh in Zusammenarbeit mit dem BfR auf dem Dioxin Kongress der Technischen Universität Berlin im September 2004 berichtete. Aufgenommen werden die Stoffe über tierische Lebensmittel oder durch das Einatmen von belastetem Staub. In einer Forschungsanalyse stellten die Experten Werte für Deutschland fest, die vergleichbar mit anderen europäischen Ländern und insgesamt um den Faktor 10 bis 100 niedriger als in den USA sind. Der Mittelwert beträgt 2,2 Nanogramm PBDE pro Gramm Fett. Untersucht wurden Mütter, die keine besondere Exposition zu PBDE hatten und daher einen guten repräsentativen Durchschnitt darstellten.
Zwei bemerkenswerte Ergebnisse wurden vorgestellt: Vegetarierinnen wiesen weniger PBDE auf, als Fleischesserinnen und gegenüber dem ersten gestillten Kind bekommen das zweite und dritte wesentlich weniger PBDE über die Muttermilch.

Trotzdem Stillen
Das BfR führt weiter an, dass Stillen auch auf das Allergierisiko einen positiven Einfluss hat und neben der Gesundheit des Säuglings auch die der Mutter fördert. Die Nationale Stillkommission am BfR setzt sich deshalb dafür ein, dass Mütter ihre Kinder möglichst sechs Monate lang ausschließlich stillen.
„Dass in Muttermilch auch ein breites Spektrum an Chemikalien nachgewiesen werden kann, sollte keine Mutter vom stillen abhalten“, empfiehlt die Professorin Hildegard Przyrembel. „Die Gehalte vieler Chemikalien sind rückläufig, sie stellen, nach allem was wir heute wissen, für den gestillten Säugling kein Risiko dar.“
Viele Stoffe, mit denen die Mütter in Kontakt gekommen sind, finden sich in der Muttermilch wieder. Dazu gehören Alkohol, Nikotin oder Koffein ebenso wie Substanzen aus der Umwelt. Chemiefreie Muttermilch kann und wird es nicht geben, sagt das BfR, weil alle Produkte, die Luft, der Boden und die Nahrung Chemikalien enthalten.

Bioindikator Muttermilch
Schon Mitte der 1980er Jahre haben die Bundesländer die Muttermilch systematisch untersucht und führen das Programm noch heute fort. Die Abnahme der Belastung von Dioxin ist ein Beleg dafür, dass emissionsmindernde Maßnahmen und Verwendungsverbote gegriffen haben, betont das BfR.
Die Mengen PBDE, die der Säugling über die Muttermilch aufnimmt, liegen um das zehntausendfache unter den Dosierungen, die im Tierversuch noch keine gesundheitsschädigende Wirkung auslösen.
Der Abschlussbericht „Rückstände von Flammschutzmitteln in Frauenmilch aus Deutschland unter besonderer Berücksichtigung von polybromierten Diphenylethern (PBDE)“ steht demnächst auf der Internetseite www.apug.de, Stichwort „Neuigkeiten“ im PDF-Format zur Verfügung.

Unpopuläres Stillen
Kampagnen, die das Stillen empfehlen, hinterlassen bei anderen Müttern ein schlechtes Gefühl. Forscher der Universität Kent in Großbritannien finden heraus, dass jede zehnte Mutter, die Flaschennahrung gibt, verunsichert ist und das Gefühl hat zu versagen. Eine Mutter, die nicht stillen konnte, sagte sogar: „Ich fühlte mich wie ein Versager, beschämt, miserabel. Ich dachte, dass mich jeder anschaut und ich mich jederzeit rechtfertigen müsste. Rückblickend fühlte ich mich sogar depressiv. Ich glaube, dass ich die ersten Monate im Leben des Babys „verloren“ habe. Ich konnte sie nicht genießen und fühlte mich unglücklich.“
Die Soziologen Professor Frank Furedi und Dr. Ellie Lee von der Universität Kentergründeten, warum Mütter eine ambivalente Haltung zum Stillen haben, obwohl die Mehrheit das englische „Breast is Best“ kennen. Tatsächlich aber geben drei Viertel der Mütter die Flasche. Für die allermeisten Mütter sind die Gründe pragmatischer Natur. Sie tarieren die Bedürfnisse des kleinen Babys mit denen der anderen Kinder oder den Erfordernissen der Alltagsarbeit aus. Andere Mütter folgen dem Trend, den Vätern eine größere Rolle in der Baby-Fürsorge zu spielen: Der Vater kann auch die Flasche geben. Die wenigste Kritik an der Flaschennahrung kam von Männern und Familienmitglieder.
Dr. Lee: „Diejenigen, die Ratschläge für die Ernährung von Babys geben, stehen auch in der Verantwortung, Schwangeren und jungen Müttern Informationen bereit zu stellen. Die Notwendigkeit über gesundheitliche Aspekte zu informieren kann mit einer moralisierenden Ethik gegenüber der Flaschennahrung koexistieren – aber genau dieses gewinnt öfters die Oberhand. Deshalb fühlen sich Mütter mit Flaschennahrung verurteilt und als Problem, das gelöst werden muss. Einige meinen, dass die Stillempfehlungen der professionellen Gesundheitsberatung wichtiger gehandhabt werden, als die Nöte und Erfahrungen der jungen Mütter.“

roRo

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