Chefsache Schulverpflegung

Ernährung

Erster Bundeskongress Schulverpflegung

„Schulen haben die Aufgabe und die große Chance die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu fördern. Aktuelle Studien zeigen, dass ein deutlicher Zusammenhang zwischen den Lebensbedingungen, dem Gesundheitszustand und Bildungsgrad besteht.“ Das sind die ersten Sätze des Editorials der vier Mal im Jahr erscheinenden Zeitung der Vernetzungsstelle Schulverpflegung in Nordrhein-Westfalen. Diese ist bei der Verbraucherzentrale angesiedelt.

Schüler in Deutschland waren schon immer Versuchskaninchen. Die Liste der Folterinstrumente reicht von der Mengenlehre in den 70er Jahren bis zum „G8“-Abitur heutiger Zeit. Doch eine heimliche Erfolgsgeschichte gibt es auch: Schulübergreifend, parteiübergreifend und auch verbindend zwischen Bund, Länder und Kommunen: Die Schulverpflegung.

Bestand sie in den 1960er Jahren nur aus Schulmilch und Schulkakao, so bekommen kleine und große Schüler heute warme Menüs in die Schule geliefert oder kochen gleich selbst. Essen und Ernährungsbildung, die es in die Curricula der Bundesländer geschafft hat, lassen die Bauern erblassen, die heute über die Unwissenheit der Jugendlichen über die Landwirtschaft klagen. Beim Thema Essen hat sich die Wissenslücke verkleinert. Das bestätigt auch die Studie für den ersten Bundeskongress Schulverpflegung in Berlin, die am Dienstag vorgestellt wurde. Es gibt immer Luft nach oben – doch mit der Gründung der Plattform Ernährung und Bewegung zu Beginn der 2000er Jahre [1] über In Form [2] bis zum Leistungskongress, der zahllose Projekte aufzeigt, ist in verhältnismäßig kurzer Zeit sehr viel entstanden. Das wusste auch Bundesernährungsminister Christian Schmidt zu würdigen, der zusammen mit seinem Kollegen Hermann Gröhe aus dem Gesundheitsministerium die Dualität Ernährung und Gesundheit präsentierte. Das hat auch die Medien erreicht. Noch vor einigen Jahren kamen fast nur die Fachmedien – diesmal platzte zur Vorstellung der Studie zur Schulverpflegung der Raum für die Pressekonferenz aus allen Nähten.


Präventionsgesetz

„Die Vermittlung einer gesunden Ernährung ist von großer Bedeutung“, betonte Gröhe. Ein gesundes Aufwachsen steht großen Herausforderungen durch Medien und Freunden gegenüber und beginnt bereits mit einem gut gestalteten Schulhof, erklärt Gröhe weiter. Dennoch: 15 Prozent der drei- bis 17jährigen ist übergewichtig und sechs Prozent der älteren adipös [3]. Ernährungsbedingte Erkrankungen wie Diabetes und Herz-Kreislauferkrankungen können mit Ausbildung und gesunder Schulernährung vorgebeugt werden. In Form hat dazu seit 2008 mehr als 100 Projekte gestartet. Doch während die Umsetzung der Schulverpflegung läuft, bleibt das Präventionsgesetz weit zurück. Die ersten Eckpunkte wurden bereits 2004 verabschiedet, doch erst jetzt will sich das Bundeskabinett über einen Entwurf einigen [4].

Während die Schulverpflegung nahezu flächendeckend eingeführt ist, steckt das Präventionsgesetz noch in den Kinderschuhen. Dabei soll es, wie Hermann Gröhe betont, von der Kita-Zeit über den Arbeitsplatz bis zur Altenpflege die Früherkennung von Krankheiten und eines ungesunden Lebensstils, wie den Genuss von Alkohol, nutzen, um die Krankheitskosten zu senken. Und den Menschen gesund halten.

DGE-Qualitätsstandards

Die Ergebnisse der Studie zur Schulverpflegung sind „Kein Anlass für großen Frust oder Klassenkeile“, so Gröhe, zeigen aber wo noch Luft nach oben ist. „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“, ergänzte Schmidt. Schon auf dem Welternährungskongress wurden die ersten 1.000 Tage eines Kindes als bedeutend für die Gesundheit ausgemacht und die nächsten 1.000 Tage als prägend für den Lebensstil. International hat die Weltgemeinschaft den Kampf gegen den Hunger aufgenommen, doch „haben wir und mit der Fehlernährung ein neues Problem hinzugenommen“. Übergewicht sei in Deutschland schon ein wichtiges Thema. Schmidt schränkt ein: „Ein Ministerium allein kann das Problem nicht lösen.“

Die Vorarbeit der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) durch die Formulierung von Qualitätsstandards [5] hat Basisarbeit geleistet. Schmidt will diese Standards für die Ausschreibung von Caterern verbindlich machen. Zudem soll die DGE zu einem nationalen Qualitätsstandard ausgebaut werden. Schmidt plant auch „Verpflegungsausschüsse“ mit Eltern, Lehrern und Schülern und stellt den Vernetzungsstellen Schulverpflegung neue Gelder nach 2016 in Aussicht. Noch in diesem Jahr will er einen Wettbewerb ausrufen, der die besten Umsetzungen prämieren soll. Auch von einem Schulverpflegungs-TÜV ist die Rede, ohne das Schmidt das Wort als rechtlich verbindliche Überprüfung verstanden wissen will.

Die Ergebnisse

Prof. Ulrike Arens-Azevedo hat die umfangreichen Ergebnisse kurz dargestellt. 5.018 Schulen wurden befragt. Davon waren 53 Prozent Ganztagsschulen. Kostenfreie Getränke sind meist in der Verpflegung enthalten oder werden über Trinkbrunnen angeboten. Nur 5,2 Prozent der Schulen haben eine Zubereitungsküche gebaut, die meisten (35 Prozent) haben eine Verteilerküche. Bei den Auswahlkriterien steht die Qualität noch vor dem Preis, gefolgt von Bestell- und Abrechnungsmodalitäten. Gleichauf sind Empfehlungen und Referenzen über den Caterer. Die Bundesländer richten sich in ganzer Bandbreite nach den überall bekannten DGE-Qualitätsstandards. In Hamburg und Bremen zu 100 Prozent, in Schleswig-Holstein nur zu 14 Prozent.

Die Kinder sind mit der Mittagspause von 25 bis 30 Minuten durchaus zufrieden, obwohl die Erwachsenen sie gerne länger hätten. Bei den ersten vier Lieblingsgerichten unterscheiden sich Mädchen und Jungen nicht voneinander: Nudeln, Pizza und Pfannkuchen, abgeschlagen die Pommes. Erst dann greifen die Mädchen zu Salat, die Jungen zu Fleisch. Lange Lieferzeiten geben vor allem Spinat und Blumenkohl eigenen Geruch und Geschmack, der von den meisten Schülern abgelehnt wird. Alternativen wie Rotkohl sind nur bei wenigen Essen dabei.

Überhaupt bemängelt die Ernährungswissenschaftlerin die Phantasielosigkeit. Saisonalität und Regionalität sind bei den Speisen kaum vorhanden. Von Ost bis West und Nord nach Süd sind sich die ausgelieferten Speisen „sehr ähnlich“.

Das Geld

Die Kosten der Schulverpflegung spielten vor allem in den ersten Jahren eine große Rolle. Da haben Eltern um jeden Euro gefeilscht und die Politik in Verantwortung nehmen wollen, mehr für die Kinder, das Humankapital der Zukunft, zu tun. Geld spielt tatsächlich eine Rolle, aber anders als gedacht. Das Mittagessen in der Grundschule kostet im Bundesdurchschnitt 2,70 Euro, bei den weiterführenden Schulen 2,95. Die Unterschiede zwischen den Bundesländern waren nicht so groß wie erwartet. Für die Speisenauswahl und der des Caterers spielt das Geld ebenfalls eine untergeordnete Rolle. Die wichtigsten Etatpositionen sind Ausstattung der Schule, der Energieaufwand und die Raumnutzung. Meist muss im Bestand umgebaut werden – und das kostet, erklärte Arens-Azevedo.

Da fließen auch die staatlichen Subventionen rein, erklärte Bundesernährungsminister Schmidt gegenüber Herd-und-Hof.de. Er verweist auf das Teilhabepaket zwischen Bund und Länder und sortiert sorgfältig um die Länderhoheit Schule herum. Die Schulträger müssen ihre Verpflegung selbst finanzieren. Für Problemfälle in einer Familie mit und ohne Transferkosten müssten sowieso die Sozialsysteme aushelfen und sind keine Aufgabe des Landwirtschaftsministeriums.

Berlin: Arm, aber warme Küche

Schmidt verweist gerne auf Berlin. Die Hauptstadt mit chronisch knapper Kasse hat ihr Schulverpflegungssystem umgestellt und ist damit flächendeckend erfolgreich, wie Jugendsenatorin Sandra Scheeres berichtete. Die Stadt hat fast flächendeckend die Ganztagsschule eingeführt und ihr Ausschreibesystem von einem Preiswettbewerb auf einen Festpreis umgestellt. Wer Essen an die Schule liefert, der muss das für 3,25 Euro schaffen. Die Auswahl der Anlieferer erfolgt nach Qualität: Wer macht das Beste aus der Vorgabe. Fünf Jahre laufen die Verträge und können bei Beschwerden vorfristig gekündigt werden. Eine Landeskontrolle stellt sicher, dass die Qualität nach Auftragserteilung nicht nachlässt. Das Ergebnis ist erstaunlich. Der Bioanteil war mit 15 Prozent des wertmäßigen Anteils ausgeschrieben, doch die Caterer punkten mit bis zu 40 Prozent. Eine Härtefallregelung hilft den Schülern, bei denen die Eltern das Geld nicht aufbringen können.

Organisation ist alles

Hamburg-Wilhelmsburg ist alles andere als Blankenese. Doch auf den Elbinseln hat sich eine norddeutsche Mustermensa entwickelt, die zeigt, was mit guter Organisation alles erreicht werden kann. Die Erfahrung aus vielen Projekten zeigt, was zur Planung einer Schulverpflegung alles dazugehört.

„Die Grundschüler essen in Tischgemeinschaften“, erklärt Christina Zurek vom Hamburger Ökomarktverein. Sie mögen das und stärken mit dem gemeinsamen Tisch eindecken die sozialen Kontakte. Bei den Fünftklässlern lässt das nach. Für sie gibt es ein reichhaltiges Buffet. Sie können sich auch mit „Süßem“ eindecken. Die Kleinen müssen noch warten und bekommen ihren Nachtisch erst ab 15:00 Uhr. Dadurch essen sie sich am Hauptgericht satt und verlassend die Schule gegen 16:00 Uhr nicht hungrig. Es gibt eine Essenstaktung von sechs Halbstundenbändern. Um das Anstehen zu verkürzen gibt es für die Vor- und Grundschüler Klassenchips zum Einloggen. Tausend Essen werden täglich ausgegeben. 90 Prozent der Produkte sind Bio, bei einer Kostenvorgabe der Stadt von 3,50 Euro.

Das ist das Gegenteil der meisten Mensen. Die Studie ergab, dass für 80 Prozent der Schulträger Bioprodukte nicht auf dem Plan stehen.

Verbesserungsbedarf

Der wichtigste Verbesserungsbedarf ist sicherlich die Teilnahme an dem Essen. Bei den Grundschülern sind es 50 und bei den älteren Schülern nur noch 30 Prozent, die an der Schulverpflegung teilnehmen. Eine höhere Prozentzahl würde den Kosten noch einmal einen Schub nach unten geben. Ursache könnte an der mangelnden Phantasie der Essenszubereitung sein, glaubt Arens-Azevedo.

Probleme in der Warmverpflegung

Heute stellt das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) die neuesten Ergebnisse der Lebensmittelüberwachung vor. Ein Schwerpunktthema ist die Warmverpflegung in der Schule. Bei 13 Prozent der überprüften Proben wurden die geforderten Temperaturen nicht eingehalten. Das zieht nicht nur sensorische Probleme wie welken Blumenkohl oder Spinat nach sich, sondern auch die Gefahr des mikrobiellen Verderbs.

Lesestoff:

Die Studie finden Sie unter www.in-form.de

[1] Gründungskongress „Plattform Ernährung und Bewegung“

[2] In Form: Vernetzung statt Erlass

[3] Spielt Übergewicht keine Rolle mehr in der Prävention?

[4] Referentenentwurf zum Präventionsgesetz (PDF): Bearbeitungsstand 20.10.2014

[5] DGE-Rahmenkriterien für die Schulverpflegung

Die DGE hat im letzten Jahr auch den Lückenschluss für die Kinderernährung geschafft und Leitlinien für die Ernährung von Kindern zwischen einem und drei Jahren vorgestellt

Roland Krieg, Fotos. roRo

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