Das Hüten der Lebensmittelsicherheit
Ernährung
Lebensmittelsicherheit ist weltumspannend
Gammelfleisch, Nitrofen,
BSE. Ereignisse, die zu der Frage geführt hat: „Was kann ich eigentlich noch
essen?“. Doch schlechte Lebensmittel sind keine Erfindung der heutigen Zeit.
Als das Berliner Lokal
„Britzer Laube“ im Jahr 1879 seine Buletten mit Sägespäne versetzte und
Hunderte von Gäste krank wurden, setzte Kaiser Wilhelm I innerhalb kurzer Zeit
das „Gesetz, betreffend den Verkehr mit Lebensmitteln, Genussmitteln und
Gebrauchsgegenständen“ durch. Die Polizei durfte ohne Ankündigung Lokale und
Lebensmittelgeschäfte auf Hygiene und Betrug kontrollieren. Es ist auch kein
Geheimnis, dass das Reinheitsgebot des Bieres quasi eine Art von Notwehr
darstellte, da vor 1516 landauf und landab die merkwürdigsten Sachen mit
gebraut wurden.
Und in der globalisierten
Welt? Im Jahr 2050 werden 9,1 Milliarden Menschen auf der Erde leben, die sich
von immer weniger landwirtschaftlicher Nutzfläche ernähren müssen. Dr. Helmut
Tschiersky-Schöneburg, Leiter des Amtes für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit (BVL) prognostiziert ein Wachstum der globalen
Warenströme, der internationalen Lebensmittelhandels.
Risikoorientierte Prüfung
Die Flugananas ist en Symbol
des globalen Warenaustausches geworden. Trotz ökologischer Bedenken bereichert
exotisches Obst und Gemüse die Küche und stärkt die Neugier, andere Esskulturen
kennen zu lernen, sagte Bernhard Kühnle
aus dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz (BMELV)
auf dem Symposiums des BVL „Globalisierte Warenströme – sichere Lebensmittel“
in Berlin.
Das zurückliegende Lebensmittel-Monitoring des BVL hat erneut gezeigt, dass die
meisten Beanstandungen derzeit aus Drittstaaten stammen. Im Jahr 2009 wurden
1.456 Proben an den Außengrenzen wieder zurückgesendet. Das ist ein neuer
Rekord, so Kühnle. Aber: Alleine in Rotterdam kommen jede Woche 15 Millionen
Tonnen Güter in Containern an. Lebensmittel und andere Waren. Über den
Flughafen Frankfurt wurden nach Dr. Doris Gerlach von der Importkontrolle
pflanzlicher Lebensmittel alleine 2009 in 9.447 Sendungen mehr als 10.000
Tonnen Frischobst und -gemüse eingeführt. Seit Januar 2010 wurden mit Inkrafttreten der EU-Verordnung
669/2009 zur verstärkten amtlichen Kontrolle bestimmter Futter- und
Lebensmittel nochmals 3.000 Sendungen abgefertigt und beprobt.
Das kann nicht bei allen
Warensendungen gemacht werden. Ein bis zwei Prozent der Ware werden im
Regelfall beprobt, erklärt Patrick Deboyser von der Generaldirektion Gesundheit
der EU. Wer allerdings auffällt, der wird zwischen 50 und 100 Prozent
kontrolliert – bis er wieder unauffällig und regelkonform geworden ist. Dagegen
findet die Dokumentenprüfung immer bei allen Waren statt. Noch vor Weihnachten
wird die EU für das Europäische Parlament einen Sonderbericht vorlegen, der
über die Effizienz dieser Kontrollen Auskunft gibt.
Rechtliche Grundlagen
Deutschland importiert für
57 Milliarden Euro Lebens- und Futtermittel. Noch vor den USA ist die EU der
weltgrößte Importeur von Agrargütern. Vor allem bei Fisch: 60 Prozent des
Bedarfes werden nach Deboyser nach Europa importiert, denn Fisch gehört zur
gesunden Nahrung auf den Speiseplan der Gesundheitsempfehlungen.
Fleisch kann jedoch Vektor
für Krankheitserreger sein, Pflanzen und deren Produkte können neue Krankheiten
nach Europa bringen und bei Nüssen werden Aflatoxine immer wieder gefunden. Dem
hat die EU ein komplexes Regelwerk entgegengesetzt, das auf den Erfahrungen
durch BSE resultiert. Die Verordnung 178/2002 ist das generelle
Lebensmittelgesetz, der auch die Europäische Lebensmittelbehörde (EFSA) ihre
Entstehung verdankt. In der Verordnung 852/2004 werden allgemeine
Hygienestandards festgelegt, die Verordnung 882/2004 beschreibt die amtlichen
Kontrollen und 854/2004 bezieht sich vor allem auf tierische Lebensmittel.
Auch international gibt es
Regeln. Rechtlich zwar nicht bindend, aber vor allem von der WTO sind die
folgenden Standards als nicht handelsverzerrend anerkannt: darunter zählen nach
Dr. Christoph Meyer aus dem BMELV die internationale Pflanzenschutzkommission,
die Weltorganisation für Tiergesundheit und vor allem der 1963 von der FAO und
WHO erstmals festgeschriebene Codex Alimantarius, dem mittlerweile 180 Länder
angehören. Dort wurde beispielsweise im Jahr 2009 festgelegt, welche
Qualitätsmerkmale getrockneter Ginseng haben sollte.
Das Meldesystem
Jan Baele brachte es auf den
Punkt: Im Hintergrund läuft für den Verbraucher ein System, von dem er nur die
schlechten Meldungen mitbekommt. Baele arbeitet in der EU beim RASFF-System,
auf dessen Portal die Schnellwarnungen der EU vor Rückständen und unerwünschten
Inhaltsstoffen aufarbeitet. Und das bereits im 31. Jahr.
Warnungen werden derzeit
hauptsächlich von Italien und Deutschland eingestellt. Jedes Mitgliedsland hat
eine nationale Schnittstelle, deren Aufgabe die Übersetzung und Weitergabe der
Warnungen und nachträglichen Informationen verantwortlich ist. In Deutschland
ist es das BVL. Bei großen Ereignissen erstellt das BVL zudem eine Chronologie.
In Bayern ist das Landesamt
für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit die zentrale Fachbehörde mit guten
Kontakten zu Polizei, Zoll und Staatsanwalt, beschreibt Dr. Peter Wallner, die
Behörde, die dem Verbraucher im Land am nächsten ist. Die sucht die Betriebe
auf und erstellt Warenstromanalyse, die aufzeigen, wohin das Lebensmittel geliefert
wurde. Die Zeiten, dass Erzeuger A an Händler B verkauft, bevor die Ware beim Kunden
ankommt sei schon lange vorbei. Heute werden Produkte zu Chargen zusammengestellt
und diese können wiederum an verschiedene Händler gegangen sein. Die
Warenanalysen sind meist nur so gut, wie Unterlagen der Betriebe vor Ort. Als
vor einigen Jahren Schlachtmaterial, das nicht für den Lebensmittelverzehr
vorgesehen war, in den Handel gebracht wurde, folgten der Warnung weitere 27
nachgereichte Informationen, bevor die Behörden das Puzzle zusammen gesetzt
hatten.
Künftige Herausforderung
Firmen haben Handbücher,
Risiken zu erkennen und zu vermeiden. Es gibt immer mehr internationale
Standards, die von den Firmen eingefordert werden. Das BVL ist dabei die Prüfregeln
und -kapazitäten schon vor Ort einzurichten und auszubilden, so dass die Ware
bereits Standards entspricht, bevor sie in den Handel kommt.
So hat Marokko kürzlich erst
mit der Onssa eine nationale Lebensmittelbehörde eingerichtet, die zunähst die
lokalen Standards überprüfen wird. Das dient nach Dr. Mohamer El Belkacemi
nicht nur der Vertrauensbildung für die heimische Bevölkerung. Die Onssa soll
auch die Schnittstelle für internationale Behörden werden. Der Hintergrund ist
der, dass Onssa die marokkanische Volkswirtschaft vor Schaden bewehren soll,
der durch ein Lieferverbot entstehen könnte, entspräche die Ware nicht
gewünschten Standards.
Die EU ist gerade dabei im
asiatischen Raum ein dem RASFF vergleichbares System aufzubauen. Mit einer
Schnittstelle zum europäischen Warnsystem wäre dann einer der wichtigsten
Exportmärkte für Lebensmittel nach Europa transparenter – auch für den europäischen
Kunden.
Doch auch der Online-Handel
stellt nach Bernhard Kühnle neue Herausforderungen. Vitamindrinks, Schlankmacher
und „Brain Food“ werden bevorzugt online angeboten. „Nicht alles ist
Teufelszeug“, so Kühnle, aber die Händler sind sich nicht immer bewusst, dass
sie als Lebensmittelhändler auftreten. Das BVL hatte im April dieses Jahres eine zentrale Koordinierungsstelle für den
digitalen Handel mit Lebensmitteln vorgeschlagen.
Lesestoff:
www.bvl.bund.de
www.codexalimentarius.net
http://ec.europa.eu/rasff