Das Leben von Probiotika verlängern
Ernährung
Umweltfreundliches Verfahren zur Stabilisierung von Probiotika
Sie stecken in Joghurts, Müslimischungen und Babymilchpulver – probiotische Bakterien sind als gesundheitsfördernde Zusätze im Lebensmittelregal auf dem Vormarsch. Doch die Herstellung dieses „Functional Foods“ hat Tücken: Nur wenige probiotische Bakterienstämme sind so robust, dass sie herkömmliche Produktionsmethoden überleben. Verfahrenstechniker und Mikrobiologen der Technischen Universität München (TUM) haben nun zusammen ein besonders schonendes Verfahren entwickelt, um in Zukunft auch bisher ungenutzte Probiotika einsetzen zu können. Das Ergebnis hilft Firmen wie Verbrauchern: Es ist energie- und kostensparend in der Herstellung und macht die Probiotika gleichzeitig länger haltbar.
Vor dem Kältetod bewahren
Probiotika fördern als funktionelle Zusätze das
Immunsystem und die Darmgesundheit. Doch wie kommen sie in die
Lebensmittelpackung? Bisher werden probiotische Bakterien meist
gefriergetrocknet, um sie dann in konzentrierter Form als Lebensmittelzusatz
nutzen zu können. Doch die Gefriertrocknung ist problematisch - sie bedeutet
für manche Probiotika den sicheren Kältetod und ist außerdem sehr
energieintensiv. Denn bei dem Verfahren müssen die Probiotika zunächst
eingefroren werden. Im tiefgekühlten Zustand wird ihnen dann zum Trocknen Wärme
zugeführt. Dadurch wird das Eis direkt in Wasserdampf umgewandelt, der dem
Bakterienpräparat entzogen wird. Diesen „Umweg“ wollten TUM-Forscher vom
Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und Molkereitechnologie abkürzen:
Sie haben sich daher auf die Suche nach einem schonenderen,
umweltfreundlicheren Trocknungsverfahren gemacht.
Die TUM-Forscher sind dabei auf die
Niedertemperatur-Vakuumtrocknung (NTVT) gestoßen, da diese ebenfalls bei milden
Bedingungen arbeitet. Bei diesem Verfahren bleibt das Produkt jedoch flüssig:
Unter Vakuum kann Flüssigkeit bei schonenden Temperaturen verdampft werden –
bei einem Luftdruck von 10mbar siedet Wasser etwa schon bei 8°C. Im Vergleich
zur Gefriertrocknung kann man auf diese Weise 40 % Energie einsparen. Das Team
um Dr. Petra Först vom Lehrstuhl für Lebensmittelverfahrenstechnik und
Molkereitechnologie hat dieses Verfahren im Experiment bei drei probiotischen
Bakterienstämmen untersucht: Die TUM-Forscher ermittelten zunächst die optimalen
NTVT-Bedingungen und haben die Ergebnisse im zweiten Schritt mit der
klassischen Gefriertrocknung verglichen.
Neue Probiotika möglich
Mit überraschendem Ergebnis: Teilweise führte die Niedertemperatur-Vakuumtrocknung zu einem verbesserten Überleben als die herkömmliche Gefriertrocknung. Die Joghurtkultur Lactobacillus bulgaricus, die die Gefriertrocknung kaum überlebt, zeigt etwa eine zehnfach verbesserte Ausbeute nach der NTVT. Somit ermöglicht die Entwicklung des neuen Verfahrens auch, probiotische „Kandidaten“ mit gesundheitsfördernden Eigenschaften einzusetzen, die für den bisherigen Herstellprozess in der Lebensmittelindustrie zu empfindlich sind. Umgekehrt hat sich aber auch gezeigt, dass Probiotika, die die Gefriertrocknung sehr gut überstehen, bei der Niedertemperatur-Vakuumtrocknung schlechter abschneiden. Kurz: Das geeignetste Trocknungsverfahren ist abhängig vom jeweiligen Bakterienstamm.
Fit für den Einsatz im Joghurt
An den molekularen Hintergründen dieses Phänomens
arbeitete das Forscherteam um Dr. Jürgen Behr vom Lehrstuhl für Technische
Mikrobiologie der TUM. Sie haben die Bakterienstämme auf mögliche Unterschiede
untersucht, die das ungleiche Verhalten in den Trocknungsprozessen erklären
könnten: Das Geheimnis könnte demnach in der bakteriellen Zellmembran liegen,
die das Bakterium vor Umwelteinflüssen schützt. Es zeigte sich, dass dieser
anpassungsfähige „Schutzschild“ der Probiotika bei jedem Bakterienstamm eine
andere Zusammensetzung an Fettsäuren aufweist. Die Forscher können diese
Zusammensetzung durch eine Änderung der Kultivierungsbedingungen vor dem
Trocknungsprozess jetzt sogar gezielt steuern – im Praxistest konnten sie durch
diese Optimierung der Anzuchtbedingungen die Überlebensrate eines
Bakterienstamms nach der Trocknung um rund 50% erhöhen.
Das Verfahren der Niedertemperatur-Vakuumtrocknung ist
übrigens nicht nur energiesparender, sondern beeinflusst auch die
Lagerstabilität positiv: Probiotika in Pulverform, die mittels NTVT hergestellt
wurden, halten sich in Müslis oder Babymilchpulver nach dem Öffnen der
Verpackung deutlich länger als solche aus herkömmlicher Gefriertrocknung. Somit
bleibt eine höhere Zahl aktiver Bakterien auch nach einer Lagerung unter
ungünstigen Bedingungen bis zum Verzehr im Produkt.
Lesestoff:
Foerst, P.; Kulozik, U.; Schmitt, M.; Bauer, S.;
Santivarangkna, Ch: Storage stability of vacuum-dried probiotic bacterium
Lactobacillus paracasei F19. Food and Bioproducts processing, Online-Vorabpublikation unter www.sciencedirect.com/science/article/pii/S096030851100054X (doi: 10.1016/j.fbp.2011.06.004)
Bauer, S.A.W.; Schneider, S.; Behr, J.; Kulozik, U.; Foerst, P.: Combined influence of fermentation and drying conditions on survival and metabolic activity of starter and probiotic cultures after low-temperature vacuum drying. J. Biotechnology, Online-Vorabpublikation unter www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0168165611003099 (doi: 10.1016/j.jbiotec.2011.06.010)
Dr. Ulrich Marsch; TUM