Der Flächenrucksack wird größer
Ernährung
Wie viel Fläche wollen wir uns wo leisten?
Die Weltbevölkerung steigt auf zehn Milliarden Menschen, die Ackerfläche zur Ernährung mit pflanzlichen und tierischen Produkten hingegen nimmt ab. Die Welt steuert auf ein Produktivitätsdilemma zu, bei dem der Konsum nicht die einfachste Steuerungsmöglichkeit ist.
Was die Deutschen essen und trinken wird nicht nur auf heimischen Äckern produziert, sonodern auch importiert. Daher beansprucht der Konsum Flächen im Ausland, die als „Flächenrucksack“ mitgetragen werden müssen. Was die EU als weltgrößter Importeur an Agrargütern beansprucht beziffert Agrarökonom Prof. Dr. Dr. Harald von Witzke mit 35 Millionen Hektar Land, die für den europäischen Konsum und Reexport belegt sind [1]. Das entspricht ungefähr der dreifachen Ackerfläche Deutschlands.
Belastbare Zahlen hat das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie in einem Papier aus dem Jahr 2005 herausgearbeitet. Da wurde noch mit den EU15-Ländern gerechnet. Die Inanspruchnahme dieser Fläche auf den pro-Kopf-Verbrauch herunter gerechnet bedeutet einen „Auslandsverbrauch“ von 0,07 Hektar pro Jahr. Das ist 20 Prozent mehr als die in der EU15 zur Verfügung stehende pro-Kopf-Fläche von 0,37 Hektar.
Einen Großteil der Importe stammen aus dem Futteranbau in Nord- und Südamerika.
Zahlen für Konsum und Export
Am Montag hat das Statistische Bundesamt (Destatis) den Bericht über die Flächenbelegung deutscher Ernährungsgüter vorgestellt. Der Bedarf ausländischer Flächen für die deutsche Küche ist zwischen 2000 und 2010 um 38 Prozent auf 18,2 Millionen Hektar angestiegen. Gleichzeitig ist die Nutzung eigener Flächen um fünf Prozent auf 14,7 Millionen Hektar zurückgegangen. Werden davon Flächen für Energiepflanzen und Exportwaren abgezogen, dann sind die Inlandsflächen für den Inlandskonsum seit 2000 sogar um 21 Prozent gesunken.
Destatis hat zusätzlich zwischen Inlands- und Exportverbrauch unterschieden. Für den Inlandsverbrauch wurden Ernährungsgüter konsumiert, für die eine Fläche von 20,1 Millionen Hektar nötig sind. Nur 35 Prozent liegen dabei im Inland, der Rest von 13,1 Millionen Hektar liegt im Ausland.
Deutschlands Ernährungsindustrie hat in den letzten Jahren einen starken Fuß im Exportgeschäft gewonnen [2]. Für die Waren werden sowohl inländische als auch ausländische Flächen in Anspruch genommen. Zusammen sind das 12,7 Millionen Hektar, von denen 5,1 Millionen im Ausland liegen. Das entspricht einem Zuwachs von 75 Prozent.
Der Vergleich zwischen Import und Export zeigt, dass Deutschland mittlerweile abhängig von Nahrungsmittelimporten ist. Der Saldo Nettoimporte hat sich von 2000 bis 2010 von 3,8 auf 5,5 Millionen Hektar erhöht.
Destatis fasst das Ergebnis so zusammen: „Die industrielle Landwirtschaft in Deutschland führt zu einer verstärkten Flächenbelegung im Ausland durch einen erhöhten Importbedarf an Futtermitteln.“ Die aktuelle Studie wiederholt das Fazit des Wuppertal Instituts: Die Mastbetriebe und die Milchwirtschaft sind in hohem Maße auf Eiweißfuttermittelimporte angewiesen, die vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern angebaut werden.
Destatis hat auch eine Bewertung auf den Flächenverbrauch zwischen pflanzlichen und tierischen Produkten gezogen. Die tierische Produktion ist dabei der größte Flächenräuber:
Die zweite Spalte lässt eine Interpretation auf den Ernährungsstil zu. Würde sich eine Frau mittleren Alters mit einem Kalorienbedarf von 2.300 kcal ein Jahr lang ausschließlich von Schweinefleisch ernähren beanspruchte sie eine Fläche von 3.000 Quadratmetern. Würde sie ihren Verzehr auf Kartoffeln umstellen, kommt sie mit 220 qm aus. Weniger als ein Zehntel. Das zeigt, dass der Ernährungsstil einen erheblichen Einfluss auf den Flächenbedarf hat.
Länderherkunft
Nicht alles kommt aus den Nachbarländern oder der EU. Bei den Importen von pflanzlichen Erzeugnissen liegt Brasilien mit einem Flächenaufwand für Deutschland mit 1,7 Millionen Hektar ganz vorne. Es folgen Frankreich und die Niederlande mit rund 640.000 Hektar. So weit Destatis.
Das Wuppertal Institut hatte auch die Herkünfte der Importe bei den EU15-Ländern nach Verschuldungs- und Einkommenskategorien aufgeschlüsselt. So ist der Anteil der am wenigsten entwickelten Länder bei den Importen von Agrarrohstoffen mit zwei Prozent nur „marginal“. Auch die Länder, die als „low income countries“ geführt werden stellen lediglich 12 Prozent des Importbedarfes. Es werden zwar zwei Drittel aller Länder in diese beiden Einkommenskategorien eingeordnet, aber die EU importiert nur ein Drittel ihres Bedarfes aus ihnen. Ein Blick in die Verschuldungsstatistik zeigte, dass auch dann die meisten Importe aus brasilianischem Soja und argentinischem Mais resultieren. Beide Länder hatten während des Untersuchungszeitraums zwar eine prekäre Verschuldungssituation, aber ein hohes Einkommen [3].
Dennoch sind die aktuellen Zahlen nach Angaben von Destatis bedenklich. Die Lieferländer gewinnen die benötigten Flächen oft durch Brandrodung, was den Regenwald zerstört und klimaschädliche Treibhausgase frei setzt. Die Ausrichtung auf eine „Exportwirtschaft“ habe auch eine Vielzahl von sozialen Problemen zur Folge. Bäuerliche Kleinbetriebe werden verdrängt und der starke Einsatz von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln ist „oftmals mit erheblichen Gesundheitsproblemen verbunden“.
Lesestoff:
Flächenbelegung von Ernährungsgütern 2010: www.destatis.de -> Publikationen -> Thematische Veröffentlichungen -> Umwelt ->Umweltökonomische Gesamtrechnungen
[1] Landwirtschaft zwischen Klima, Produktion und Gesellschaft
[2] Außenwirtschaftstag 2013
[3] Steger, S: Der Flächenrucksack des europäischen Außenhandels mit Agrarprodukten, Wuppertal papers 152, 2005, Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie www.econstor.eu/handle/10419/21839
Roland Krieg