Der gesunde Dicke und der kranke Dicke
Ernährung
Wessen Stoffwechsel profitiert von einem gesunden Lebensstil?
Neueste Daten aus der Wissenschaft belegen, dass die Fettleibigkeit weltweit ungebremst voranschreitet. Damit steigt auch das Risiko für die beiden häufigsten Stoffwechselstörungen, Typ 2 Diabetes und Herz- Kreislauferkrankungen. Parallel wachsen die Kosten für die Behandlung der Fettsucht (Adipositas) und ihrer Folgen, Präventionsmaßnahmen sind oft durch die geringen Ressourcen nur begrenzt durchführbar. Aber welcher Teil der Übergewichtigen ist besonders behandlungsbedürftig?
Unterschiedlich gefährdet
Wissenschaftler am Tübinger
Universitätsklinikum untersuchen seit mehreren Jahren, in welchem Umfang
Adipositas Stoffwechselerkrankungen zur Folge hat. Professor Norbert Stefan und
seine Kollegen konnten erstmals 2008 zeigen, dass 25 bis 30 Prozent der
Menschen mit Fettleibigkeit eine „gutartige“ Adipositas hinsichtlich der
Stoffwechselveränderungen aufweisen. Sie sind weniger gefährdet, eine
Insulinresistenz und damit später auch einen Diabetes zu entwickeln. Dieses
Ergebnis wurde mittlerweile von vielen Studien bestätigt
Die Gruppe in Tübingen hat
inzwischen untersucht inwieweit Menschen mit beiden Formen der Adipositas auf
eine Änderung des Lebensstils ansprechen1). Dabei zeigte sich, dass
Übergewichtige unterschiedlich auf die Lebensstiländerungen ansprechen: Die
gefährdeten Dicken nahmen zwar ab, wiesen aber trotzdem ein wesentlich höheres
Risiko für eine Insulinresistenz, d.h. eine Vorstufe des Diabetes auf. Diese
besonders gefährdeten Patienten konnten von den gesunden Dicken am besten am Vorliegen
einer Fettleber unterschieden werden und sollten in der Zukunft intensiver
betreut werden.
Gegenmaßnahmen oft ohne Erfolg
In einer kürzlich erschienenen
Arbeit2) im renommierten Journal The Lancet berichteten
Wissenschaftler der Harvard Medical School (USA), der WHO und des Imperial
College (England) anhand von Daten, die bei mehr als neun Millionen Menschen
weltweit über einen Zeitraum von 28 Jahren erhoben wurden, über die
alarmierende Zunahme der Adipositas. Dabei sprechen sie auch die von der
Fettleibigkeit induzierten Folgeerkrankungen an und die Tatsache, dass
Maßnahmen zur Verringerung der Adipositas und der Stoffwechselerkrankungen oft wenig Erfolg mit sich bringen.
In einem Kommentar3)
vom Juni 2011 zu dieser Arbeit weisen der Tübinger Wissenschaftler Professor
Norbert Stefan und seine Kollegen in The Lancet auf einen wichtigen
Gesichtspunkt hin: Bei zukünftigen Strategien zur Bekämpfung
Adipositas-bedingter Stoffwechselerkrankungen muss die Tatsache berücksichtigt
werden, dass es im Hinblick auf den Stoffwechsel gesunde und kranke Dicke gibt.
Diese benötigen unterschiedlich intensive Interventionsmaßnahmen und sind am
besten am Vorliegen oder am Fehlen einer Fettleber zu erkennen.
Dazu hat die Tübinger Gruppe
kürzlich zeigen können1), dass während einer neunmonatigen
Lebensstilumstellung (Tübinger Lebensstil Interventionsprogramm – TULIP) die
gesunden Dicken nicht wesentlich von einer Umstellung des Lebensstils (u.a.
drei Stunden körperliche Aktivität im Ausdauerbereich pro Woche, mehr
Ballaststoff- und weniger Fettaufnahme mit der Nahrung) profitieren konnten. Im
Gegensatz dazu verbesserten sich die kranken Dicken hinsichtlich des
Fettgehalts in der Leber und im Bauch und bei der Insulinresistenz, die den
Hauptbestandteil der Stoffwechselerkrankungen ausmacht.
Allerdings hatten die kranken
Dicken trotz dieser Verbesserungen nach der Lebensstilumstellung und einer
geringeren Gesamtfettmasse weiterhin etwa doppelt so viel Fett in der Leber und
im Bauch und waren entsprechend annähernd doppelt so insulinresistent wie die
gesunden Dicken. Die Autoren zogen daraus die Schlussfolgerung, dass man vor
einer Lebensstilintervention die Teilnehmer hinsichtlich der Körperfettverteilung
und Stoffwechselveränderungen genau charakterisieren sollte, um dann - bei den
oft limitierten Ressourcen – jene Patienten mit dem höchsten Risiko für
Stoffwechselerkrankungen intensiver betreuen zu können und ihnen gegebenenfalls
eine medikamentöse Unterstützung anzubieten.
Lesestoff:
1) Effects of a lifestyle intervention in metabolically benign and malign obesity.
Kantartzis K, Machann J, Schick F, Rittig K, Machicao F, Fritsche A, Häring HU,
Stefan N. Diabetologia 2011 Apr;54(4):864-8; doi: 10.1007/s00125-010-2006-3
2) National, regional, and global trends in body-mass index since 1980: systematic
analysis of health examination surveys and epidemiological studies with 960
country-years and 9•1 million participants. Finucane MM, Stevens GA, Cowan MJ,
Danaei G, Lin JK, Paciorek CJ, Singh GM, Gutierrez HR, Lu Y, Bahalim AN, F<arzadfar
F, Riley LM, Ezzati M; Global Burden of Metabolic Risk <Factors of Chronic
Diseases Collaborating Group (Body Mass Index). Lancet 2011 Feb
12;377(9765):557-67; doi:10.1016/S0140-6736(10)62037-5
3) Global trends in body-mass index. Stefan
N, Kantartzis K, Machann J, Schick F, Häring HU. Lancet 2011 Jun
4;377(9781):1917; doi:10.1016/S0140-6736(11)60805-2
Dr. Ellen Katz, Universitätsklinikum Tübingen; Grafik: Uniklinikum Tübingen