Der mühevolle Weg vom Alltags- zum Sonntagsbraten
Ernährung
„Fleischatlas“
„Fleisch ist ein Stück Lebenskraft!“. Fleisch ist vor allem Image. Männlich, mächtig und heute auch ein Symbol für eine Agrarpolitik, die weltweit die Kleinbauern im Griff hält. Galt in den 1950er Jahren Fleisch noch als Wohlstandssymbol, das dampfend auf dem Mittagstisch stand und den Weg in einen neuen Wohlstand begleitete, ist Fleisch heute so ubiquitär und billig geworden, dass es oftmals nur noch zu schaurigen Schlagzeilen über Tierqual und Geldgier taugt. Der Weg zurück, vom Alltags- zum Sonntagsbraten ist beschwerlich. Nicht nur, weil auf den Hamburger und Döner als Fast Food Snack schwer zu verzichten, sondern vor allem, weil die Geschichte hinter dem Steak so schwer zu durchschauen ist. Der am Donnerstag vor der Internationalen Grünen Woche in Berlin vorgestellte Fleischatlas will mit 20 Themen und 60 Grafiken eine Übersicht über die globalen Verwicklungen der Fleischproduktion geben.
Die Heinrich-Böll-Stiftung, der BUND und Le Monde Diplomatique wollen über Aufklärung einen Sachstand vermitteln, bei dem Verbraucher selbst entscheiden können, ob und wie viel Fleisch sie noch essen wollen. Die Tendenz ist aber auch klar: So wenig wie möglich.
Fleischweltmeister
Die Deutschen sind Fleischweltmeister. Über 60 Kilogramm Fleisch verzehrt der Durchschnittsdeutsche. Damit liegt der Fleischkonsum pro Kopf nach Barbara Unmüßig, Vorsitzende der Böll-Stiftung, über dem Verzehr der Amerikaner und anderen Industrieländer. In den Entwicklungsländern liegt der Fleischverzehr gerade einmal bei zehn Kilogramm – Tendenz aber steigend. Fleisch ist dabei das Lebensmittel par excellence für eine Fehlallokation der globalen Landwirtschaft. Weltweit wird ein Drittel der landwirtschaftlichen Nutzfläche für Futtermittel gebraucht und ist nach Unmüßig damit deutlich verzerrender als der Energiepflanzenanbau. Die EU muss jährlich rund 35 Millionen Tonnen Sojafuttermittel importieren und nimmt mit elf Prozent des Sojawelthandels Platz zwei hinter China ein. Argentinien hat gerade zwei Millionen Hektar Land für den Sojaanbau für den Export neu vorgesehen und produziert den Schmetterlingsblütler dann auf 19,7 Millionen Hektar Land. Das ist mehr als die 12 Millionen Hektar Ackerfläche in Deutschland.
Davon profitieren nicht die südamerikanischen Kleinbauern, sondern die großen Konzerne, die das argentinische Rind schon lange nicht mehr auf extensiven Weiden, sondern in intensiven Feedlots mit Getreidekraftfutter mästen. Für Unmüßig ist klar: „Unsere Fleischproduktion ist nachweislich mitverantwortlich für die Zerstörung des Regenwaldes.“
Was ist zu tun?
Es geht nicht um den Fleischverzicht. Die Fleischproduktion soll auf bäuerliche Fundamente gestellt werden, bei denen die Betriebe nicht mehr Tiere halten, als ihre Futterfläche hergibt. Daher ist im Rahmen der Agrarpolitik für Prof. Hubert Weiger, Vorsitzender des BUND, die Ausgestaltung der zweiten Säule so elementar: Dort wird die nachhaltige Landwirtschaft in einem aktiven und lebendigen ländlichen Raum gefördert. Auf den Produkten sollten die Haltungsformen der jeweiligen Fleischerzeugung abgebildet werden, damit die Verbraucher durch falsche Abbildungen ländlicher Idylle nicht getäuscht werden. Dazu gehört auch die Information, wer billige Saisonarbeiter an die Schlachtbänder stellt, damit das Fleisch für die Konsumenten preiswert bleibt.
Denn der Kunde bezahlt dreimal für sein Steak: Einmal den Ladenpreis, einmal die Subventionen für die Betriebe, die Kunden nicht wollten, und einmal für die Beseitigung der Schäden durch Emissionen, Schlachtabfälle, Skandale und Sozialleistungen, weil der Arbeitslohn in der Branche zum Überleben nicht reicht. Für alle Effekte müssten die Kunden gleich den doppelten Ladenpreis auf die Wursttheke legen.
Für Barbara Unmüßig könnte auch das Aufheben des ermäßigten Steuersatzes für Fleisch eine Lenkungsfunktion haben. Selbst wenn von der Böll-Stiftung noch nicht zu eigen gemacht, würde im Umfeld bereits über weitergehende Begrenzungsregeln für den Fleischkonsum nachgedacht.
2013
Dem neuen Jahr spricht Prof. Weiger eine bedeutende Rolle zu. In gut einer Woche wird in Niedersachsen gewählt. Wenn an einem der bedeutendsten Veredelungsstandorte die Farbe in der Landesregierung wechselt, dann ändern sich auch die Mehrheitsverhältnisse im Bundesrat. Der Agrarausschuss wird in der nächsten Woche darüber beraten, ob die im Dezember in einer Nachtschicht beschlossene Tierschutznovelle [1] in den Vermittlungsausschuss des Bundesrates kommt und die Karten wieder neu gemischt werden.
Auch für die GAP ist noch alles offen, meint der BUND-Vorsitzende. Deutschland gilt als einer der Blockierer für das Capping und Greening. Doch die Landwirtschaftsministerin könne im Herbst nicht als Blockiererin nach Bayern in den Wahlkampf gehen und sich daher bei der noch immer offenen GAP-Diskussion kompromissbereit zeigen.
Die Gegendemonstration zur Grünen Woche „Wir haben es satt!“ am 19. Januar soll daher auch den Auftakt bilden, die Agrarwende in den Mittelpunkt für den Bundestagswahlkampf zu stellen [2].
Der Weg zum wertvollen Sonntagsbraten
Die globalisierten Warenströme funktionieren auch ohne Deutschland und Europa. Längst baut Südamerika Futtermittel für China und Südostasien an, weil dort der Fleischkonsum steigt. Dennoch hat Europa auch darauf Einfluss, erklärt Reinhild Benning, Agrar-Referentin des BUND gegenüber Herd-und-Hof.de. Wenn die Europäer mit weniger Fleisch einen gesunden Ernährungsstil vorleben, dann werde dieser genauso wie der ungesunde Lebensstil in den Entwicklungs- und Schwellenländern als Vorbild akzeptiert. Zu Hause auf heimischen Ackerböden solle die Fleischerzeugung in dem Dreiklang bäuerliche und eigentumsbasierte Produktion, selbst erzeugten Futtermitteln und ökologisch-sozialer Nachhaltigkeit umgesetzt werden.
Damit die Verbraucher eine freie Wahl auf der Basis von Sachinformationen treffen können, müssten in der Werbung die erlaubten Irreführungen gestoppt werden. Dort werden noch immer Fleisch und Molkereiprodukte mit idyllischen Wiesen vor Fachwerkhäusern abgebildet, was in den meisten Fällen nicht mehr der Wahrheit entspricht. Wenn die Kunden die Wahrheit kennen, dann würden sie ihre Wünsche nach mehr Bioprodukten, mehr Tierwohl und artgerechter Haltung auch wirklich umsetzen können, so Benning weiter.
Aktuell gibt es drei Tierwohllabel [3].Nach Einschätzung des BUND fehlt dem Westfleisch-Logo die Bestätigung einer Tierschutzorganisation und sei daher eine nicht autorisierte „Eigenlösung“. Glaubwürdiger seien die beiden anderen Label, die mit Vion und Kaufland wirtschaftliche Partner gefunden haben. Der BUND wird die zweistufigen Label von Tierschutzbund und „Vier Pfoten“ verfolgen und prüfen, ob die Versprechen auch eingehalten werden, versprach Benning.
Hoffnung setzt die Agrar-Referentin auch auf das Spitzentreffen zwischen Deutschen Bauernverband und dem Bund Ökologischer Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) [4]. Es sei erfreulich, dass beide Verbände sich regelmäßig treffen wollen, und hofft, dass vor allem der DBV noch lernen kann, dass Bio mehr als die Ausrichtung auf Wachstum ist.
Schnitzel ohne Leiden
Der Fleischatlas widmet sogar dem Laborfleisch ein eigenes Kapitel. Das „Schnitzel ohne Leiden“ hat in Wissenschaftskreisen seinen Charme behalten, wenn auch noch kein Absatzmarkt besteht [5]. Dem Fleisch aus der Petrischale stehen die Autoren nicht ablehnend gegenüber. Aber: „Es wird also wohl noch eine ganze Weile vergehen, bis in der heimischen Küche neben dem Brotbackautomaten auch ein Steak-Inkubator stehen wird.“
Lesestoff:
Den „Fleischatlas“ finden Sie zum Download unter www.bund.net/fleischatlas
Die erdgeschichtliche, kulturelle und geistige Entwicklung des Fleischverzehrs
[1] Spätschicht für die Tierschutznovelle
[3] Der Wettbewerb um das Tierwohl läuft
Roland Krieg; Fotos: roRo