Deutschland "In Form"

Ernährung

Aktionsplan Gesundheit: Vernetzung statt Erlass

Am Mittwoch haben Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt und Verbraucherschutzminister Horst Seehofer gemeinsam den „Nationalen Aktionsplan zur Prävention von Fehlernährung, Bewegungsmangel, Übergewicht und damit zusammenhängenden Krankheiten“ vorgestellt. Das ist, so Seehofer, zum ersten Mal in der Geschichte ein Gesamtplan der Bundesregierung. Statt des früheren Slogans „Fit statt fett“, haben sich die Ministerien auf eine Formel geeinigt, die weder diskriminierend ist, noch Verbote ausspricht. „„Deutschland in Form“ bringe genau das zum Ausdruck, was wir machen“, sagte Seehofer.

Eigenverantwortung stärken
Der Aktionsplan richtet sich an Kindergärten, Schulen, Sportvereine und Altereinrichtungen. Das Leitbild hinter dem Aktionsplan ist die Eigenverantwortung. Auf Gebote, Verbote und Paragraphen will Seehofer dabei nicht setzen: „Paragraphen gibt es genug“. Die Ministerien haben sich auf eine Hilfestellung anstelle einer Bevormundung geeinigt, weil es bei dem Aktionsplan um ganze Lebensstile und Verhaltensweisen geht, was per Verordnung nicht geändert werden kann. Kritiker werden das als zu wenig verbindlich beschreiben, prognostizierte Seehofer.

16 Millionen Menschen leiden in Deutschland bereits an Adipositas, dem krankhaften Übergewicht. Im Jahr 2004 wurden die Kosten für ernährungsbedingte Erkrankungen auf 70 Milliarden Euro geschätzt, die das Gesundheitssystem belasten. Adipositas wird von der Weltgesundheitsorganisation WHO als chronische Krankheit eingestuft, doch in Deutschland von Behörden und Krankenkassen nicht als solche anerkannt. Das hat nicht nur für die Betroffenen Nachteile, sondern, so Prof. Dr. Stephan Bischoff, „auch für die Forschung, denn bislang wurde Adipositas nicht explizit im Rahmen klinischer Forschung unterstützt.“ Das äußerte der Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin der Universität Stuttgart Hohenheim anlässlich der Tagung „Ernährung 2008“ Mitte Juni in Hamburg.
Das Bundesministerium für Bildung und Forschung hat jedoch im letzten Jahr erstmals große Ausschreibungen finanziert, die ein neues Kompetenznetz Adipositasforschung entstehen lassen. Die Universität Hohenheim nimmt mit dem Projekt „Gesundheitsregionen der Zukunft“ teil. Hierbei arbeitet die Region Stuttgart flächendeckend neben der Vorbeugung auch an der Therapie. Im Mittelpunkt stehen die Themen bedarfsgerechte ausgewogene Ernährung und ausreichende Bewegung. Geplant sind unter anderem eine Gesundheitskarte, die persönliche Risiken aufzeichnet, und die modellhafte Entwicklung eines regionalen Gesundheitsparks, in dem die verschiedensten Gesundheitsdienstleister niedergelassen sind. Integriert werden soll auch die betriebliche Gesundheitsvorsorge.

„Wir wollen Chancen für ein gesundes Aufwachsen geben“, sagte Ulla Schmidt. Die Entwicklung des künftigen demographischen Aufbaus der Gesellschaft lasse es nicht zu, „jemanden zurückzulassen“. Jährlich kommen bereits 210 neue adipöse Kinder hinzu. Der Aktionsplan sei auch Ausdruck dessen, dass sich der „Präventionsgedanke sukzessiv umsetzt“. Gerade hinsichtlich der Belastung des Gesundheitssystems. Die jährlichen 70 Milliarden Euro Kosten für ernährungsbedingte Krankheiten nehmen bereits ein Drittel der Gesamtkosten des Gesundheitssystems ein. Bei dem Aktionsplan steht auch die Sorge um die Nachhaltigkeit des sozialen Sicherungssystems Pate.

Ziele bis 2020
Der Aktionsplan ist langfristig bis 2020 ausgelegt. Mit dem Jugendsurvey und der Nationalen Verzehrsstudie II sind belastbare Daten für einen künftigen Vergleich vorhanden. Seehofer will bis 2020 eine dritte Verzehrsstudie aufgelegt haben. Alle drei Jahre sollen weitere Studien ermitteln, ob die Zahl der übergewichtigen Kinder zunimmt, abnimmt oder gleich bleibt. Daran will sich die Bundesregierung messen lassen.
Als Mittel sollen dabei der Ernährungsführerschein, die Initiative „Leben hat Gewicht – gemeinsam gegen den Schlankheitswahn“, die vorhandenen Qualitätskriterien für die Schul- und Betriebsverpflegung gelten und in allen Bundesländern sollen Vernetzungsstellen für die Schulverpflegung aufgebaut sein.
Zusätzlich zu Länder- und kommunalen Mittel wollen beide Ministerien jeweils 15 Millionen Euro für die nächsten drei Jahre in die Umsetzung und Förderung der Ziele investieren.
Ulla Schmidt grenzt jedoch ein, dass sich Erfolge nicht gleich und flächendeckend einstellen werden. Es sei auch nicht das Geld, das für Erfolge sorgt. In der jungen Elterngeneration ist bereits viel Wissen über die gesunde Ernährung verloren gegangen. Das könne man über die Kinder wieder in die Familien bringen. Kinder sind leicht zu begeistern. Gemeinsames Kochen und Einkaufen weckt die Lust auf buntes Gemüse und lässt die Schokolade in den Hintergrund geraten. Doch zeigt ein Blick auf die vielen Initiativen, dass diese nur dort nachhaltig und erfolgreich sind, wo sie kontinuierlich weitergeführt werden. Die Umsetzung des Aktionsplans hängt an den Personen in den Netzwerken vor Ort. Denen müsse man eine Infrastruktur geben, ihre Erfahrungen auszutauschen.

En detail
Auf 52 Seiten unterrichtet der nationale Aktionsplan über die fünf Handlungsfelder, auf denen er aktiv werden will. Zum Beispiel:
Handlungsfeld I: Vorbildfunktion von Bund, Länder und Kommunen
„Noch nicht ausreichend vorhanden sind ... Maßnahmen, die vor Ort im direkten Lebensumfeld der Menschen zum Beispiel in Kindertageseinrichtungen, Schulen, Betrieben, in Senioreneinrichtungen und im Stadtteil angeboten werden. Hierzu sind Maßnahmen staatlicher Stellen erforderlich.“ Die Forderung gerade des Bundeslandwirtschaftsministeriums für ein einheitliches Schulfach Ernährung taucht im Aktionsplan nicht auf.
Handlungsfeld II: Information über Ernährung, Bewegung und Gesundheit
Eingang gefunden hat das Curriculum Ernährungsberatung der Deutschen Gesellschaft für Ernährung in die gewünschte Ausbildung für zielgerichtete Informationsvermittlung. Hier steht im Vordergrund, die Fülle an Ernährungsinformationen zu bündeln und vor allem dem Konsumenten weniger strittige Empfehlungen zukommen zu lassen.
Handlungsfeld IV: Qualitätsverbesserung außer Haus
“Im Gegensatz zu Erwachsenen sind Kinder noch nicht in der Lage, alle Entscheidungen selbstständig zu treffen und die Folgen ihres Handelns abzuschätzen – gerade wenn es um ihre eigene Gesundheit geht.“ Der Aktionsplan sieht allerdings für diese klare Aussage nur „klare Vorgaben durch das Verpflegungsangebot“ vor.

Petra Warschburger, Professorin am Potsdamer Institut für Psychologie bedauerte auf der Hamburger Tagung „Ernährung 2008“, dass Eltern Präventionsangebote gegen Übergewicht kaum nachgefragt werden, sind sie einmal vorhanden. Als Hauptargument von Eltern übergewichtiger Kinder, nicht daran teilzunehmen, hat sie in einer Studie erfahren, ist das Argument: „Ich kann da eigentlich nichts neues erfahren.“ Zudem sinke mit niedrigem Einkommen und Bildungsabschluss der Glaube, selbst wirklich etwas bewirken und positive Resultate erzielen zu können. Auch Sprachbarrieren treten auf, oftmals fiel der Satz: „Andere Probleme sind dringender.“ Eltern sehen Handlungsbedarf erst, wenn das Kind bereits krank ist und erkennen bestehendes Übergewicht nicht als solches an. Gerade übergewichtige Mütter stufen ihr übergewichtiges Kind als normalgewichtig ein. Wenn allerdings ein Arzt die Teilnahme an einem Vorsorgeprogramm empfiehlt, dann folgen 90 Prozent der Eltern diesem Rat.
Johanna Thelemann, aid infodienst

Handlungsfeld V: Impulse für die Forschung
„Die Bedeutung von sozialen und psychologischen Faktoren bei der Ausbildung eines gesundheitsfördernden Bewegungs- und Ernährungsverhaltens ist in der Forschung in diesem Feld noch zu wenig berücksichtigt“. Daher müsse die Grundlagenforschung intensiviert werden. Allerdings gibt es Forschungen und Studien in diesem Bereich (s. Informationskasten), die offensichtlich nur zu wenig wahrgenommen wird.

Reaktionen
Die Verankerung eines gesunden Lebensstils in der Gesellschaft ist der richtige Weg, findet der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL): „Dabei nicht mit Reglementierungen und Verboten, sondern mit Anreizen, Motivation und Strukturen eine Kultur des gesundheitsförderlichen Lebensstils in Deutschland zu schaffen ist der richtige Ansatz“, so der BLL zur Vorstellung des Aktionsplans. Die Lebensmittelwirtschaft hat nach eigenen Angaben die Produktvielfalt an bedarfsangepassten, also kalorienreduzierten Lebensmitteln, seit 2003 bereits um 33 Prozent erhöht. Stärker zu beachten als die Kalorienzufuhr, sei der Energieverbrauch, also die Bewegung.
Der Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) kritisiert, dass weder ein eigenes Schulfach Ernährung vorgesehen ist, noch dass es Verbote, wie Werbung für Süßigkeiten bei unter 12-jährigen, geben wird. Thomas Männle, Hauptgeschäftsführer des UGB, findet das Attribut „national“ falsch, denn „Institutionen, die praktische Arbeit in der Gesundheitsförderung leisten und mit Kindern arbeiten, sind gar nicht am Aktionsplan beteiligt.“

Gewicht im Griff
Unzählige Diäten ausprobiert und immer noch nicht dem Wunschgewicht näher gekommen? Selten führen Diäten dauerhaft zum Erfolg. In vielen Fällen stellen sich rasch wieder die Ernährungsgewohnheiten vor der Diät ein, und damit kehren auch die für den Sommer so mühsam abgearbeiteten Pfunde zurück. Wie man dauerhaft, gesund und ohne teure Pillen abnehmen kann, zeigt der Ratgeber „Gewicht im Griff“ der Verbraucherzentralen.
Zum gesunden Abnehmen gehört mehr als eine Nahrungsreduzierung. Es muss das gesamte Essverhalten umgestellt werden. Ausreichende Bewegung und regelmäßige Mahlzeiten unterstützen den Erfolg. Die Verbraucherzentrale Bundesverband hat deshalb ihren Ratgeber „Gewicht im Griff“ vollständig aktualisiert und hilft, den Gründen fürs Zunehmen auf die Schliche zu kommen. Die Tipps sind praxiserprobt. In zehn Schritten können sich Abnehmewillige auf die Reise zu ihrem Wohlfühlgewicht machen und finden 90 erprobte Rezepte vor. Checklisten überprüfen die Ernährungsgewohnheiten. Der Ratgeber kostet inklusive Versand- und Portokosten gegen Rechnung 15,40 Euro und kann bestellt werden bei versandservice@vzbv.de
vzbv

Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) begrüßt den Aktionsplan, kritisiert aber auch die fehlende Bereitschaft für Werbeverbote bei Kindern. In den Handlungsfelder sieht der vzbv keine klare Strategie und greife, wie bei der Nährwertkennzeichnung, „in einzelnen, wesentlichen Punkten zu kurz“. Im Vergleich zum britischen Aktionsplan, der auf der Internetseite des vzbv eingesehen werden kann, fehle es dem deutschen an Priorisierung von Vorhaben und Maßnehmen.

Roland Krieg

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