Dicke Kinder haben Defizite im Umgang mit Werbung

Ernährung

Übergewichtige Kinder brauchen mehr Aufklärung

Für 2012 hat die Weltgesundheitsorganisation WHO die Zahl übergewichtiger Kinder mit 170 Millionen angegeben. Die meisten schauen Fernsehen, das 40 Prozent seiner Werbezeit für Lebensmittelhersteller füllt. Die WHO hat in diesem Jahr bereits lasche Werbevorschriften beklagt, die bei Kindern die Entstehung von Adipositas forcieren können [1]. Das Werbeumfeld dränge die Kinder zum Verzehr von Lebensmitteln, die zu süß, zu salzig und zu fett sind. Doch wie steht es wirklich um die „Werbeempfänglicheit“ bei Kindern? Die meisten Studien hinterfragen diesen Sachverhalt in Abhängigkeit zum Alter. Dr. Ralf Terlutter und Julia Spielvogel von der Alpen-Adria-Universität (AAU) haben sich mit Hilfe einer Befragung an drei Volksschulen dem Thema einmal von einer ganz anderen Seite genähert [2].

Körperwahrnehmung und Medienkompetenz

Werbung zu verstehen und richtig einzuordnen heißt bei den Fachleuten „advertising literacy“ und gehört zu den wichtigen Kompetenzen, die Kinder bei ihrer Entwicklung zu einem kritischen Konsumenten bewältigen müssen. Die auf das Alter bezogenen Studien zeigten aber immer wieder große Differenzen innerhalb der Altersgruppen. Dr. Terlutter hat ein neues Kriterium ausgewählt: „Für die aktuelle Untersuchung haben wir den Einfluss von Körpergewicht und Körperwahrnehmung sowie von Ernährungsgewohnheiten als Kriterien herangezogen“.

„Eine der zentralen Erkenntnisse ist, dass das kindliche Selbstbewusstsein, das teilweise durch den Body-Mass-Index und die Körperwahrnehmung bestimmt wird, auch die ‚advertising literacy‘ beeinflusst“, so Terlutter. Gleichzeitig konnte die kritische Haltung gegenüber Nahrungsmitteln als anderer Einflussfaktor identifiziert werden. „Um kognitive Dissonanz [3] zu vermeiden, entwickeln jene Kinder, die gerne ungesundes Essen konsumieren, ein höheres Risiko, weniger skeptisch auf in der Werbung angepriesene Lebensmittel zu blicken“, erklärt Terlutter weiter.

Diese Kinder brauchen nach Ansicht der Studienautoren spezielles oder zusätzliches Training, um ihre Medienkompetenz beim Konsum von Werbung zu erhöhen. Dies betreffe insbesondere den so wichtigen Bereich der Ernährung. Eine bedeutende Rolle komme dabei auch den Eltern zu: So zeigt die Studie einen großen Einfluss der Haltung der Eltern gegenüber den beworbenen Lebensmitteln auf die Sichtweise der Kinder. Eltern sind aber nicht nur bei der Ernährung Vorbilder, sondern auch bei der „advertising literacy“, deren Entwicklung sie maßgebend prägen können.

Lesestoff:

[1] WHO kritisiert lasche Werbevorschriften

[2] Spielvogel J. & Terlutter R. (2013). Development of TV advertising literacy in children. Do physical appearance and eating habits matter? In: International Journal of Advertising (32/3), 343-368

[3] „Kognitive Dissonanz“ beschreibt die negative Gefühlswelt, wenn Realität und Wunsch auseinander gehen, weil sie nicht mehr vereinbar sind. Der griechische Dichter Äsop (um 600 v.Chr.) hat sie in der Fabel vom Fuchs und den Trauben beschrieben. Diese hängen zu hoch, als das der Fuchs seinem Wunsch nach süßem Genuss nachkommen kann. Die anfängliche Frustation, die kognitive Dissonanz, beendet er, indem er vermutet, dass die Trauben sauer und bitter schmecken.

Dr. Romy Müller (AAU) / Roland Krieg

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