„Die ganze Welt hat eine Ernährungskrise“

Ernährung

Welternährung ist ein komplexes Thema

„Wer ernährt die Welt“ fragten am Mittwoch Misereor, Germanwatch und die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft (AbL) in Berlin. Die Kleinbauern im ländlichen Raum sind die Leidtragenden und Hungernden der Welt. Welche Rolle spielt die EU am Vorabend ihrer neuen Agrarpolitik ab 2014?

Flexible Konzepte
Nach jahrelangem Schattendasein steht das Thema Welternährung in der aktuellen Politik im Fokus, stellt Gudrun Kopp, Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) fest. „Es gibt eigentlich genug Lebensmittel auf der erde“, so Kopp. Hunger sei die Folge von Armut als Folge fehlender Beschäftigung. Noch in diesem Jahr will das BMZ ein neues Strategiekonzept vorstellen, das den ländlichen Raum mit dem Aufbau von regionalen Wertschöpfungsketten beleben will. Ländliche Entwicklung sei mehr als der Kauf von Saatgut und neuester Bewässerungstechnik. Nach Gudrun Kopp stehen in dem Konzept drei Punkte im Vordergrund:
- Verbesserung der Rahmenbedingungen für Agrarinvestitionen. Mit Deregulierung, Gleichstellung der Geschlechter und verbessertem Zugang zu Betriebsmitteln sind vor allem die Länder selbst gefordert, ihre Entwicklung zu forcieren. Gegen „Land Grabbing“ helfe die Stärkung der Eigentumsrechte. Die ins Land fließenden Direktinvestitionen sollen so verteilt werden, dass sie allen Menschen zu Gute kommen.
- Verbesserung der Mikrokredite und Mikroversicherungen. Neben dem quantitativen Ausbau der kleinen Finanzpolitik, will das BMZ vor allem andere Begünstigte erreichen. Nach Kopp kommen derzeit die Gelder vor allem Empfängern in den Städten zu Gute.
- Im Bereich des Handels sollen nach Kopp die „internationalen Spielregeln“ verbessert werden. Dabei seien vor allem die Industrieländer gefragt, die ihre Handelspolitik auf eine Kohärenz der Bedürfnisse der Entwicklungsländer prüfen sollen. Es könne nicht sein, dass die Entwicklungsländer durch Handelshemmnisse und Zollbarrieren mehr Geld verlieren, als ihnen über die Entwicklungshilfe zugewiesen wird.
Alle Konzepte müssten flexibel auf die regionalen Gegebenheiten anwendbar sein. Eine Generalstrategie gebe es nicht.

Die Rolle der EU
Die Zeiten, in denen die EU zehn Milliarden Euro Exportsubventionen ausgegeben hat, sind vorbei. Nach Leonard Mizzi von der Generaldirektion Landwirtschaft und ländliche Entwicklung der EU habe sich die Agrarpolitik seither deutlich verbessert. Die von Nichtregierungsorganisationen oft beklagten Exportstützen spielten beim Dumping nicht mehr die entscheidende Rolle. Während früher die USA, Europa und der Ostblock den Weltmarkt beherrschten, sind nach Mizzi heute noch die BRIC-Staaten hinzugekommen: Brasilien, Russland, Indien und China. Die EU verliere derzeit Marktanteile und ihre Bedeutung in den einzelnen Regionen. Die Abschaffung der Exporthilfen würde alleine auch nicht zur Lösung der Welternährung beitragen.
Ob sie allerdings auch wirklich wie geplant bis 2013 abgeschafft werden, bleibt offen. Mizzi führt das Beispiel der amerikanischen Hilfen für das Exportmarketing an, das gleiche Effekte wie die Exportsubventionen hervorrufen. Darüber werde Europa mit den USA in der Doha-Runde verhandeln. Der EU-Politiker machte klar, dass Europa nicht einseitig auf Exportsubventionen verzichten werde. „Sonst verlieren wir Marktanteile.“ Diese GAP-Frage wird in der Doha-Runde entschieden.
Tobias Reichert, Handelsexperte von Germanwatch hält dagegen, dass die Doha-Runde nicht so schnell abgeschlossen würde. Handelsverzerrrungen riefen nicht nur verbilligte Rohstoffe hervor, sondern auch der Verkauf von veredelten Produkten in Großstädte der Schwellenländer. Für für die Kleinbauern sei das fatal, da sie diese Märkte beliefern sollten.

Handel: Lösung oder Ursache?
Leonard Mizzi warnte vor einer Dämonisierung des Handels. Den Entwicklungsländern fehle die Ausbildung eigener Märkte, es fehle der Süd-Süd-Handel.
Nach Gudrun Kopp müsse die Welt sich global darauf ausrichten, wer was und wo günstigsten anbauen und produzieren könne. Es käme auf die Ausgestaltung des Warenaustausches an. Eine Zertifizierung der Produkte würde den Ländern auch mehr Geld zur Verfügung stellen. Außerdem sind viele Entwicklungsländer reich an Bodenschätzen, deren Verkaufsgewinne aber „irgendwo verschwinden“. Die Handelsfirmen müssten klar machen, woher sie unter welchen Bedingungen ihre Ware bezogen haben.
Friedrich Wilhelm Graefe zu Baringdorf, Bundesvorsitzender der AbL, machte den Vorschlag, dass die Industrieländer für die Rohstoffe aus Entwicklungs- und Schwellenländern zu den Preisen bezahlen müssten, als kämen sie aus dem eigenen Land. Das würde jegliche Entwicklungshilfe überflüssig machen, funktioniere aber nur bei demokratischen Ländern ohne Korruption.
Weil die derzeitigen Handelsstrukturen aber nicht nur die Kleinbauern im Süden benachteiligen, sondern auch in Europa, habe die gesamte Welt eine Ernährungskrise, folgerte Korotoumo Gariko, Milchproduzentin aus Burkina Faso.

Lesestoff:
Baringdorf zur GAP-Reform
Hier geht es zum Teil II: Lösen systemische Prozesse die Exportsubventionen bei der Handelsverzerrung ab?

Roland Krieg

Zurück