Die Proteinversorgung der Zukunft
Ernährung
Nachhaltige Proteinversorgung im interdisziplinären Kontext
Gesunde Ernährung und nachhaltige Landwirtschaft sind Diskussionen, die sich getrennt entwickeln und kaum zusammengebracht werden. Dabei gehören sie zusammen, meint Prof. Dr. Reiner Brunsch vom Leibniz-Institut für Agrartechnik (ATB) in Potsdam-Bornim. Daher hat der aus 14 Instituten bestehende Leibniz-Forschungsverbund „Nachhaltige Lebensmittelproduktion und gesunde Ernährung“ den Versuch gewagt, in einem Berliner Symposium die Interdisziplinarität des Themas aufzuarbeiten.
Fleischeslust
Protein ist ein essentieller Baustein für den menschlichen Organismus. Vor allem die essentiellen Aminosäuren Threonin, Lysin, Valin, Leucin, Isoleucin, Phenylalanin, Tryptophan und Methionin muss der Mensch über die Nahrung aufnehmen, weil er sie nicht selbst aufbauen kann. Auch Eisen und B12 sind wichtige Elemente, die für den Genuss von Fleisch sprechen. Bei einem Körpergewicht von 70 Kilogramm empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO die Aufnahme von 31 Gramm Protein pro Tag. Der durchschnittliche Konsument in den Industrieländern aber nimmt nach Prof. Dr. Dr. Hans-Georg Joost vom Deutschen Institut für Ernährungsforschung (DIfE) 110 Gramm Protein zu sich.
In Tieren umgerechnet verspeist ein Bundesbürger in seinem Leben vier Rinder, vier Schafe, 37 Enten, 12 Gänse, 46 Schweine, 46 Puten und 345 Hühner. Da wollen andere noch hin. Weltweit wurden im Jahr 2000 rund 233 Millionen Tonnen Fleisch, 598 Millionen Tonnen Milch und 55 Millionen Tonnen Eier verspeist. Bis 2020 steigt der Konsum um jeweils 29, 23 und 30 Prozent [1]. Die Zahlen ändern sich auch nur wenig, wenn sich ganz Deutschland vegetarisch ernährt. Die Herausforderungen an die Umwelt und Tierhaltung vor dem Hintergrund des Klimawandels bleiben hoch. Prof. Dr. Werner Kloas vom Berliner Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei (IGB) hat einige Aspekte der Tierhaltung zusammengefasst:

Unterschiede sind enthalten. So ist Fisch nicht gleich Fisch. Die Lachsproduktion ist aufwendiger. Für ein Kilo Lachs müssen zwischen drei und vier Kilogramm Futterfisch berechnet werden. Der Wasserbedarf in geschlossenen Kreislaufanlagen ist deutlich niedriger. Auch das Rind hat eine Sonderstellung, weil es als Wiederkäuer in seiner ursprünglichen Futteraufnahme Savannengras aufnimmt und veredelt, was für die menschliche Nutzung sonst keinen Ernährungswert hat.
In den letzten 20 Jahren ist die Pflanzenproduktion um 30 Prozent, die tierische um 70 und die Aquakultur um 300 Prozent angestiegen. Die Produktion hat sich der Nachfrage angepasst. Es bleibt die Frage, wie weit sich das Modell innerhalb der begrenzten Ressourcen der Erde ausdehnen lässt?
Gesundheitliche Aspekte
Vor allem die Ernährungswissenschaftler im Verbund orientieren sich an den Richtwerten der Deutschen Gesellschaft für Ernährung, an denen sie evidenzbasiert auch mitgewirkt haben.
Da heißt es generell: Runter mit dem Konsum an rotem Fleisch, zu dem Wild, Rind, Schwein und Lamm gehört. Vieles was in der Ernährungsmedizin beschrieben ist, lässt kausal aber noch Fragen offen. Darmkrebs beispielsweise wird in Zusammenhang mit hohem Verzehr an rotem Fleisch gebracht. Was wissenschaftlich exakt krank macht ist noch offen: Ist es das Eisen, das Fett, das Salz oder das Nitrit, fragte Prof. Joost [2 +3]. Wenn das genau geklärt ist, dann wäre auch der Weg für neue Lebensmittel offen, die weniger negative Effekte verursachen. Einfache Wahrheiten sind nicht erhältlich.
Das betonte auch Prof. Dr. Peter Köhler von der Deutschen Forschungsanstalt für Lebensmittelchemie (DFA). Mittlerweile mahnen Bücher wie „Die Weizenwampe“ und „Das Getreidegehirn“ vor unbeschwertem Getreidegenuss. Wissenschaftliche Arbeiten über Gluten, haben sich in den letzten Jahren verdreifacht. Bedenklich wird es, wenn gesunde Menschen auf spezielle Diäten zurückgreifen, die sie nicht brauchen [4 + 5].
Alternative Proteinquellen
Dennoch wird der steigende Fleischverzehr infrage gestellt werden müssen. Auf den Ressourceneinsatz bezogen ist die Fleischproduktion wenig nachhaltig. Prof. Kloas spricht vom drohenden „Water-Food-Energy-Nexus“ für den Alternativen aufgezeigt werden müssen. Davon gibt es mehr, als der erste Blick vermuten lässt. Zum Beispiel im Futterbereich, um die bis zu sechs Millionen Tonnen Soja zu ersetzen, die Europa jährlich importiert. Das habe erst die Veredlungsindustrie mit Geflügel und Schweinen möglich gemacht – und die Frage zulässt. Wohin mit der Gülle?
Die Tierproduktion bietet in den Entwicklungsländern eine Entwicklungschance für den Weg aus der Armut. Daher ist die Tagung alles andere als ein Appell, auf Fleisch zu verzichten. Aber Veränderungen sind möglich. Prof. Köhler vermisst in der Eiweißstrategie des Bundeslandwirtschaftsministeriums das heimische Getreide. Als „neue Eiweißquellen“ stehen Erbsen und Ackerbohnen auf dem neuen Speiseplan, die einen Teil der importierten Futtermittel ersetzen können. Doch was für den Tierhalter sinnvoll wäre, ist für die Ackerbauern derzeit eine Herausforderung. Die Leguminosen sind ertragsschwach und ertragsunsicher, erzielen einen geringeren Gewinn als andere Früchte.
Leguminosen sind natürlich auch für die menschliche Ernährung eine alternative Proteinquelle. Seit 2011 erschließt die Forschungsgruppe LeguAN die Hülsenfrüchte als Lebens- und Futtermittel [6]. Für den menschlichen Bereich gehört die Entfaltung von Proteinen oder die Quellung von Stärke zur ernährungsphysiologischen Verbesserung auf dem Teller, erläuterte Dr. Oliver Schlüter vom ATB.
Er verweist auch auf ein Projekt der FAO, das Insekten für die menschliche Ernährung in den Fokus rückt. Erst in diesem Jahr hat die FAO ein neues Buch dazu herausgegeben [7]. Etwas 2.000 Arten stehen auf dem Speiseplan für rund zwei Milliarden Menschen. Insekten sind eine wichtige Proteinquelle und können sogar in Prozessketten Abfall verwerten. Die Ernährungsbranche muss dabei mikrobiologische Sicherheit gewährleisten, etwaige Insekten-Toxine vermeiden und: Vor allem bei den Menschen um Akzeptanz werben. Der Mehlwurm-Burger zeigt kulturspezifische Entwicklungen auf. Wer hätte sich vor einigen Jahren die Finger nach rohem Fisch geleckt, der heute als Sushi zum Trend geworden ist? Bilder sind bei Insekten auf dem Teller von entscheidender Bedeutung. Wer an ein Dschungel-Camp-Menü denkt, wird seine Neugier unterdrücken. Andere Darreichungsformen hätten es vermutlich auch im europäischen Kulturkreis leichter: Das Fischstäbchen erinnert in seiner Form auch nicht mehr an seine maritime Herkunft.
Auch für den Trog böten sich Insekten an. Knochenmehl darf eingeschränkt wieder verfüttert werden, warum also nicht auch Insekten? Weil es kein anerkanntes Futtermittel ist. Nur ein rechtliches Problem.
Auch beim pflanzlichen Protein ist noch nicht das letzte Wort gesprochen. Das Leibniz-Institut für Gemüse- und Zierpflanzenanbau (IGZ) in Brandenburg vom arbeitet unter anderem an der Reduzierung von Tomatenallergenen, mit Rhizobien und Mykorrhiza als Partner im Wurzelbereich für das Pflanzenwachstum und an der Verbindung von Probiotika und rohem Gemüse. Beim rohen Gemüse verzehren die Menschen meist Blattgewebe, das ein natürlicher Lebensraum für Bifidobakterien und Lactobazillen ist, erwähnt Dr. Katja Witzel. Die kleinen Helfer werden vor allem in Molkereiprodukten zur Verbesserung der Darmflora eingesetzt. Warum also nicht Gemüsesorten finden, die mehr der gesundheitsförderenden Bakterien aufweisen? Gibt es gar spezifische Dünger- oder Anbauformen, die das Wachstum diesen Bakterien fördern?
Und nicht zuletzt: Verringerung der Ernteverluste. In den Entwicklungsländern gehen bei der Ernte und anschließenden Lagerung etwas 40 Prozent der Ernte schon verloren. Die Verringerung dieses Verlustes ist ebenfalls ein Beitrag zur Sicherung der Proteinversorgung des Menschen.
Vielfalt ist die Lösung
Die bestehenden Formen der Landbewirtschaftung reichen wohl für die wachsende Weltbevölkerung und deren Ansprüche an die Ernährung nicht aus. Ohne ganz auf Fleisch verzichten zu müssen, bietet die Natur zahlreiche Lösungen für die Tierproduktion, für eine Verschiebung der Tierproduktion bis hin zu neuen Nahrungsquellen und Verbesserung der pflanzlichen Proteinträger.
Die Wirtschaftswissenschaftler haben über die Umsetzung der Ideen nachgedacht. Die Proteinversorgung steht im Spannungsfeld von Angebot, Nachfrage und Agrarpolitik. So gibt es beispielsweise für die Stickstoffemissionen mit negativen Klimaeffekten über die Wasserrahmenrichtlinie politische Regelungsfaktoren; aber für die Stickstofffixierung von Leguminosen kein Marktäquivalent, führte Prof. Dr. Thomas Herzfeld vom Institut für Agrarentwicklung in Mittel- und Osteuropa (IAMO) in Halle aus. Künftig könnten aber Beispiele, wie die jüngst in Mexiko eingeführte Steuer auf Limonaden den Markt beeinflussen [8]. Das hat Auswirkungen auf ganze Märkte und Produktionswege wie die berühmte Internalisierung von externen Effekten [9]. So könnten Rinder ihre Zukunft wieder ausschließlich auf der Weide verbringen, weil Kraftfutter aus Übersee teurer geworden ist.
So einfach ist es aber nicht. Die Verhaltensökonomie steht der rationalen Entscheidung im Weg. So empfinden Menschen die Summe von 100 Euro als großen Verlust, wenn sie diese hergeben müssen, aber nur als kleines Geschenk, wenn es als Geschenk daherkommt. Die Ökonomen sprechen von asymmetrischen Wertefunktionen. Auch die Zeitpräferenz ist bedeutend: 100 Euro am Montag sind spannender als das Warten auf 200 Euro in der Woche darauf.
Daher steht die Politik immer vor der Frage, was sie steuern oder unterlassen soll. Die Nachfrage nach tierischem Protein ist für Dr. Hermann Lotze-Campen vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) der wesentliche Treiber für die Ausgestaltung der Agrarproduktion. Im Rahmen des „Glues“-Projekt des Bundesforschungsministeriums betrachtet unter anderem das PIK die Dynamik des Landnutzungsmanagements unter verschiedenen Aspekten der Fleischnachfrage betrachtet: Global oder regional, ökonomisch oder ökologisch [10]? Dr. Lotze-Campen hält den Markt für Treibhausgasemissionen für den entscheidenden Hebel in der Ausrichtung der Agrarproduktion. Die Politik werde künftig ihre Modelle stärker an Umwelt, Ernährung und Gesundheit ausrichten und daher einen wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der Agrarmärkte übernehmen [11].
Es fehlt heute noch die Verbindung zwischen „Gesunder Ernährung“ und „nachhaltiger Landwirtschaft“; auch, weil die Verbindung zu den Agrarakteuren noch gar nicht gezogen sind. Welche Auswirkungen hätte der Verzicht auf den Fleischkonsum in Deutschland? Sicher könnte die ganze Ackerfläche ökologisch bewirtschaftet werden. Aber was machen die großen Schlachtereien, die vielen lokalen Metzger oder was passiert mit der Kühllogistik? Da steht die Forschung erst noch ganz am Anfang.
Lesestoff:
[1] Fleischverzehr ist eine Kulturfrage
[2] Wenig Fleisch und wenig Weißbrot
[3] Darmkrebs: Vorfahrt für pflanzliche Kost
[4] Glutenfreie Produkte nur für spezielle Zielgruppe
[5] Ohne Gluten – ohne Geschmack?
[6] Lebens- und Futtermittel aus Hülsenfrüchten
[7] Insekten für die menschliche Ernährung: www.fao.org/docrep/018/i3253e/i3253e00.htm
[8] Fettsteuer à la Mexiko oder Dänemark?
[9] Inwertsetzung der Natur:
[10] Glues-Projekt: http://modul-a.nachhaltiges-landmanagement.de/de/publikationen/berichte/
[11] Neue Produktionen: Vom Fisch im Reisfeld zur Aquaponik
Roland Krieg