Die schleichende Pandemie
Ernährung
15. Herbsttagung der DDG und DAG
Am Freitag und Samstag widmen sich die Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG) und die Deutsche Adipositas-Gesellschaft (DAG) in Wiesbaden auf ihrer 15. Herbsttagung einem schleichendem Problem: Dem Übergewicht, den beiden Diabetes-Typen I und II und ihrer Prävention. Die Pandemie hat mit den Lockdowns das Thema noch verstärkt. Mehr als die Hälfte der Deutschen hat sich weniger als vorher bewegt. Das lässt sich am Gewicht ablesen. 39 Prozent der Bundesbürger haben im Durchschnitt 5,6 Kilogramm an Gewicht zugelegt, bei Menschen mit Adipositas waren es sogar 7,2 Kilo im Durchschnitt.
Übergewicht und Bewegungsmangel sind große Risikofaktoren für eine Typ-2-Diabetes. Damit sind sie Mitverursacher für Fettleber, Bluthochdruck, Herzu- und Gefäßerkrankungen und auch für schwere Krankheitsverläufe bei Covid-19. Die Wissenschaftstagung wird auch psychosoziale und gesundheitspolitische Aspekte ansprechen.
„Adipositas geht mit einem hohen Leidensdruck einher. Die Betroffenen sind tagtäglich Stigmatisierung und Diskriminierung ausgesetzt, zum Beispiel in der Familie, am Arbeitsplatz, in den Medien, aber auch im Gesundheitssystem“, sagt Professor Dr. med. Sebastian M. Meyhöfer, Tagungspräsident der DAG. Jährlich sterben 2,8 Millionen Menschen an den Folgen von Übergewicht und Adipositas.
Prävention
Übergewicht und Adipositas haben eng verwobene komplexe Ursachen. Von genetischen Vorbedingungen bis zu einem adipösen Umfeld, das ein steigendes Nahrungsangebot rund um die Uhr anbietet. Der Weg aus der Kilogrammfalle ist wie die Suche nach einem Weg aus dem Labyrinth. Scheitern und erneut versuchen, das Normalgewicht zu halten, ist für viele ein seelisches Problem. Sie werden der gesellschaftlichen Diskriminierung ausgesetzt, erklärte Meyhöfer vor der Konferenz gegenüber Herd-und-Hof.de. Auch mit den Maßnahmen müsse man komplex reagieren und jeder einzelne Baustein, wie die Nährwertkennzeichnung, hat seine Berechtigung. Erfolgreich am Ende wird ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen „und eine politische Aufgabe“ sein. Dazu gehören aus Sicht von DDG und DAG auch die Besteuerung von ungesunden Lebensmitteln, verbindliche Qualitätsstandards für die Kita- und Schulverpflegung oder ein Verbot von an Kindern gerichtete Werbung für ungesunde Lebensmittel und Getränke.
DMP Adipositas
Die Abkürzung steht für Disease Management Programme. Das gibt es zwar schon für die Typ-2-Diabetes, noch aber nicht für Adipositas. Schon 2014 wurde das beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) beantragt, aber abgelehnt. Formal wurde das 2020 im Bundestag beschlossen. Eine Arbeitsgruppe ist nach Professor Dr. med. Jens Aberle, Vizepräsident der Deutschen Adipositas-Gesellschaft (DAG) bei der Leitlinienrecherche. Mitte August hat der G-BA den Beginn eines DMP Adipositas offiziell bekannt gegeben. Die detaillierten Anforderungen sollen bis zum 31. Juli 2023 beschlossen werden. Das strukturierte Programm soll beim Hausarzt und auf der zweiten Versorgungsebene in Schwerpunktpraxen stattfinden, erklärte Aberle. Derzeit scheitert die Behandlung daran, dass noch keine Abrechnungsziffer vorhanden ist.
Übergewicht und Migranten
Migranten haben nach Professor Dr. med. Werner Kern, Tagungspräsident der DDG, ein höheres Diabetesrisiko. Neben sprachlichen Problemen werden Arztbesuche und Vorsorgeuntersuchungen oft nicht wahrgenommen. Viele haben Angst, durch eine Krankschreibung ihren Arbeitsplatz zu verlieren. Daher ist bei ihnen der Krankenstand im Alter bis zu 65 Jahren niedriger als bei den Deutschen. Danach kehrt es sich um. Traditionelle Speisen sind oft kohlenhydratlastiger und Beratern oftmals unbekannt für spezifische Ernährungstipps. Nur chronisch Kranke sind vom Ramadan befreit. Die Speisensituation tagsüber nichts und nach Sonnenuntergang alles zu essen, widerspricht den modernen Ernährungsberatungen. Für Ärzte und Berater werden interkulturelle Kompetenzen immer wichtiger.
Übergewicht und Klima
Ein neues Thema in der Ernährungsberatung allgemein und bei Übergewicht und Adipositas im Besondern ist der Klimawandel. Neben höheren Temperaturen muss sich der menschliche Körper auf Extremwetterereignisse wie Hitzewellen einstellen. Professor Dr. med. Erhard G. Siegel, Chefarzt und Ärztlicher Direktor am St. Josefskrankenhaus Heidelberg weiß auch warum.
Die Hitzeanpassung beim Menschen ist bestimmt durch den feuchten Hitzeaustausch über das Schwitzen und durch den trockenen Hitzeaustausch über den verstärkten Hautblutfluss mittels Gefäßerweiterung. Bei Personen mit Diabetes mellitus funktionieren diese physiologischen Anpassungsmechanismen nur eingeschränkt. Der feuchte Hitzeaustausch ist folglich eingeschränkt. Auch die Aktivität sympathischer Nervenbahnen scheint bei Menschen mit Diabetes mellitus herabgesetzt. Sowohl die Funktion der Schweißdrüsen als auch die Einstellung der Blutgefäßspannung sind dadurch massiv beeinträchtigt. Weiterhin kann die Gefäßerweiterung gestört sein und die Hitzeanpassung wird vermindert.
Wenn die Menschen mit Diabetes mellitus auch noch Übergewicht haben, wird das Verhältnis von Körperoberfläche zu Körpervolumen ungünstig. Die Oberfläche für den trockenen Hitzeaustausch ist kleiner als bei kleinen Menschen. Außerdem hat das Fettgewebe eine geringere Wärmekapazität als die Muskelmasse. Bei Menschen mit Übergewicht erfolgt die Wärmeabgabe langsamer.
Es gibt noch einen weiteren Aspekt bei der Medikation. Temperaturen von mehr als 30 Grad Celsius zerstören bei allen auf dem Markt vorhandenen Arzneien die Insuline. Ärzte müssen bei Hitzewellen die Behandlungsabläufe anpassen.
Roland Krieg
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