Die Welt ist nicht auf Kurs

Ernährung

Zero Hunger bleibt möglich

Welthungerhilfe

Schon vor der Pandemie hat die Zahl der unsicheren Staaten zugenommen. Asymmetrische Kriege und Staatenführer mit Zielen weit außerhalb der Agenda 2020 sind alles andere als Garanten für die Energiewende, den Kampf gegen den Klimawandel und damit auch gegen die Menschlichkeit, die im Wesentlichen durch einen satten Magen gekennzeichnet ist. Zero Hunger 2030 ist eines der bedeutendsten Entwicklungsziele der Vereinten Nationen, die nach den Millenniumszielen deren Erfolg fortschreiben wollte.

Hunger und seine Bilder dienen seit Biafra als Start der weltweiten Armuts- und Hungerbekämpfung, die sich nicht nur um den eigenen Staat kümmert. Biafra hatte sich 1967 als von Nigeria unabhängig erklärt und wurde nach einem dreijährigen Krieg wieder eingegliedert. Die Hungerblockade Biafras mit den schrecklichen Bildern von hungernden und verhungerten Kinder hat beispielsweise zur Gründung von „Ärzte ohne Grenzen“ geführt. Die Geschichte des Bürgerkrieges schreibt sich als Ursache von Vertreibung, Armut und Hunger bis nach Syrien fort. Die Welthungerhilfe formulierte bei der Vorstellung des aktuellen Welthungerindexes 2020 vier Indikatoren für Hunger: Unterernährung wegen mangelnder Kalorienversorgung, Auszehrung von Kindern unter Normalgewicht und damit fortschreibend Wachstumsverzögerungen wie hohe Kindersterblichkeit.

Menschliches Versagen

Weltweit sind 690 Millionen Menschen unterernährt, davon 144 Millionen Kinder wachstumsverzögert und 47 MillionenKinder leiden an Auszehrung. Nach Aussage der Welthungerhilfe handelt es sich um „das größte moralische und ethische Versagen unserer Generation.“

Trotz des Fortschritts sind auch die jüngsten Zahlen erschreckend genug: Fast 690 Millionen Menschen weltweit sind unterernährt. 144 Millionen Kinder sind aufgrund chronischer Unterernährung wachstumsverzögert. 47 Millionen Kinder leiden an Auszehrung. Und im Jahr 2018 starben 5,3 Millionen Kinder vor ihrem fünften Geburtstag, häufig infolge von Unterernährung. Die Welthungerhilfe nennt den Hunger in der Welt "das größte moralische und ethische Versagen unserer Generation".

In der Welt gemeinsam leben

Schon vor der Pandemie haben bewaffnete Konflikte Erreichtes wieder zerschossen [1]. Die Pandemie vernachlässigt den Blick nach außen, wie die Diskussion um den Entwicklungsetat in de vergangenen Woche aufzeigte. Im nächsten Jahr stehen noch 12,4 Milliarden Euro für das Bundesministerium für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (BMZ) zur Verfügung. In den Folgejahren bis 2024 stürzt der Etat aber um 25 Prozent ab. Anja Hajduk von Bündnis 90/Die Grünen sieht darin „keine verantwortungsvolle Finanzierung der Entwicklungszusammenarbeit“. Auch FDP, SPD und Die Linke kritisieren die Sparpläne. Die AfD will die Entwicklungsgelder nur noch zusammen mit deutschen Unternehmen verausgaben.

Was jedoch die Industriestaaten übersehen, sind die Folgeprobleme unterlassener Hilfen für den globalen Süden, die weltweit überall wirken. Die Lösung muss gemeinsam erfolgen, auch wenn manche Präsidenten sie erschweren.

Brandbeschleuniger SARS-CoV-2

„Schon vor dem Ausbruch der COVID-19 Pandemie war die Hungersituation insbesondere in Afrika südlich der Sahara und Südasien alarmierend. Die Menschen leiden unter einer Vielzahl von Krisen durch Kriege, Dürren, Überschwemmungen, Heuschreckenplagen. COVID-19 wirkt wie ein Brandbeschleuniger. Armut und Hunger werden nach allen Prognosen stark zunehmen und der Klimawandel verschlimmert die schwierige Lage der Menschen zusätzlich. Wir brauchen eine Ausweitung der sozialen Sicherungssysteme in den betroffenen Ländern, damit sich Armut und Hunger nicht weiter verschärfen“, erklärt Welthungerpräsidentin Marlehn Thieme. 14 Länder weisen heute höhere Hungerraten als 2012 auf. 37 Länder werden das Ziel, den Hunger bis 2030 abzuschaffen kaum mehr erreichen.

Das darf nicht darüber hinweg führen, dass der Gesamtindex aus allen vier Werten in allen Regionen und auch in Afrika südlich der Sahara sinkt. Das zeigt, das deutliche Verbesserungen möglich sind. In Angola, Äthiopien und Sierra Leone hat sich die Lage verbessert, in Kamerun sogar deutlich. Die Ursachen resultieren aus einem gefährlichenMix, aus Umwelt-, Wirtschafts- und Ernährunskrise. Komme dann noch politische Unsicherheit hinzu, kippen die Systeme.

Friedensnobelpreis als Warnsignal

Die Vergabe des Friedensnobelpreises an das Welternährungsprogramm ist seit der vergangen Woche das Signal, trotz Pandemie die „Restwelt“ nicht zu vergessen. Das WEP hilft in der Not – wenn das natürliche Ernährungssystem versagt.

Im Bericht der Welthungerhilfe bekommt die Pandemie besondere Aufmerksamkeit. Sie deckt die Schwachstellen der globalen Ernährungssicherheit auf. Zunehmende Importe von Nahrungsmitteln weisen auf vernachlässigte Investitionen in die Landwirtschaf und den ländlichen Raum hin. Wo, entgegen Europa, die Landwirtschaft nicht als unverzichtbare  Dienstleistungen eingestuft wurde, sind Lieferketten zusammengebrochen. Das gegenwärtige Ernährungssystem mit seinen Treibhausgasen führt zu Verlusten der Biodiversität, Zoonosen und fragilen Landschaften. Nach wie vor ist der Sozialschutz in den meisten Ländern völlig unzureichend und die Ziele der Entwicklungshilfe klammern oft genug die Kleinbauern aus. Hinzu kommen ungesicherter Landbesitz und informelle sowie formelle Landwirtschafts- und Ernährungsbildung, die nicht auf lokale Gegebenheiten angepasst ist.

Alles Punkte, die beendet werden können. Eine Lehre aus der Pandemie ist die Umwidmung des Ernährungssystems in eine Kreislaufwirtschaft, bei der Nutztiere wieder mehr landwirtschaftliche Nebenprodukte zu fressen bekommen.

Beispiel Kongo

Mangels Daten konnte für die Demokratische Republik Kongo kein Index erstellt werden. Die Lage gilt jedoch als „sehr ernst“. Dennoch verzeichnet die Welthungerhilfe positive Entwicklungen. Gruppenschulungen für Kleinbäuerinnen und Ernährungsbildung für Frauen und Kinder. Schwangeren wurden Nahrungsergänzungsmittel zur Verfügung gestellt. Statt Nahrungsmittelgutscheine werden in einer informellen Siedlung Geldtransfers vergeben. In der Region Masisi sammeln sich die durch Konflikte vertrieben Binnenflüchtlinge.Diese sind kostengünstiger und erhöhen den Ernährungsstatus, da die Betroffenen selbst entscheiden, wann sie diese für welche Leistungen einsetzen.

Übergeordnetes Ziel ist aber die Befriedung, damit die staatlichen Kapazitäten für Landwirtschaft, Reform der Wasser- und Sanitärversorgung wieder hergestellt werden können. Nur so lässt sich auch der Nationale Strategische Entwicklungsplan mit Leitlinien für die Zeit bis 2050 umsetzen. Erster Teil der Phase ist die Sicherung der Ernährung. Damit die Landwirte produktiver sind, brauchen sie Zugang zu landwirtschaftlichen Betriebsmitteln – auch in Krisenregionen.

Grüne Agrarrevolution

Der Minister im BMZ, Gerd Müller, stellt zur Welternährungswoche gleich zwei Studien für die Überwindung des Hungers vor [2]. „Die neue Studien zeigen: mit jährlich 14 Milliarden Dollar zusätzlich bis 2030 können die Industrieländer die notwendigen Investitionen finanzieren. Auch die Entwicklungsländer müssen Land- und Ernährungswirtschaft zum Schwerpunkt machen und die vergleichbare Investitionen erbringen. Damit könnten 500 Millionen Menschen bis 2030 den Hunger überwinden, die Einkommen der Kleinerzeuger verdoppelt und eine klimaresistente Landwirtschaft aufgebaut werden. Das ist absolut machbar und erfordert jetzt politisch richtungsweisende Entscheidungen! Der Friedensnobelpreis an das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen ist deshalb das richtige Zeichen zur richtigen Zeit.“ Die Studien schlagen verbessertes Saatgut, eine zielgenaue Bewässerung, faire EU-Handelsabkommen und einen leichteren Zugang zum EU-Markt vor. Im Wesentlichen müssen Frauen Zugang zu Boden, Kapital und Ausbildungsprogrammen erhalten. Nur wer die Ursachen für den Anstieg nach 20 Jahren Erfolge kenne, kann sie beseitigen. Im Fokus steht der Krisenbogen von Syrien bis Jemen und die Heuschreckenplage in Afrika.

Radikale Kehrtwende

In den Zahlen sind jedoch die aktuellen Auswirkungen der Pandemie noch nicht enthalten. Die wird nach Entwicklungspolitikerin Eva-Maria Schreiber (Die Linke) Hunger und Unterernährung noch verschärfen. Sie kritisiert die Sonderinitiative des BMZ „Kein Hunger bis 2030“, bei der ein Großteil der jährlichen Leistungen von 1,3 Milliarden Euro in Kooperationen mit „großen Playern wie der Gates-Stiftung oder Bayer“ fließen. Schreiber fordert einen Umbau des Ernährungssystems in Richtung Agrarökologie.

Uwe Kekeritz von Bündnis 90/Die Grünen sieht das genauso. „Um das globale Ernährungssystem nachhaltig zu stärken, muss die Abhängigkeit des Globalen Südens von Nahrungsmittelimporten und übermächtigen Agrarkonzernen verringert werden. Ein agrarökologischer Umbau mit der Stärkung kleinbäuerlicher Strukturen, sowie der Ausbau lokaler und regionaler Märkte muss bei der Bekämpfung von Hunger im Zentrum der entwicklungspolitischen Anstrengungen stehen. Die europäische Agrarpolitik und der internationale Handel müssen gerechter gestaltet werden und die Auswirkungen auf Hunger und Entwicklung im Globalen Süden berücksichtigen. Handelsabkommen müssen an den nachhaltigen Entwicklungszielen der Agenda 2030 und dem Pariser Klimaabkommen ausgerichtet werden.“

Verschuldung

Die Internationale Verschuldungsstatistik der Weltbank weist am Montag die Rekordverschuldung der am wenigsten entwickelten Länder (LDC) von 744 Milliarden US-Dollar für das Jahr 2019 aus. Auch hier sind die Pandemie-Effekte noch nicht enthalten. Die meisten Schulden haben die Entwicklungsländer bei den G20-Ländern mit 178 Milliarden US-Dollar, die damit 17 Prozent der Nettorückzahlungen durch Zinsen einnehmen. Innerhalb der G20 hat China seinen Anteil als Gläubiger innerhalb von fünf Jahren vom 45 auf 63 Prozent gesteigert. Japan als zweitgrößter Gläubiger hält seinen Anteil von 15 Prozent. David Malpass von der Weltbankgruppe hält es notwendig, die Verschuldungsthematik endlich konkret anzugehen. Neben der Reduzierung von Schulden, sollen die Rückzahlungen weicher gestaltet werden. Klarheit über den Schuldenstand ist für viele Länder essentiell für die einen planbaren und nachhaltigen Haushalt sowie Investitionen. Kredite sind durchaus sinnvoll, ergänzt Chef-Ökonomin Carmen Reinhart. Damit können Länder über externe Mittel Gesundheitssysteme, Bildung und Infrastrukturen aufbauen. Doch wenn die Kredite zu einem Schuldenproblem werden, leiden alle diese Ziele.

Lesestoff:

https://www.welthungerhilfe.de

[1] „Eine Handvoll Hilfe für die Entwicklungsarbeit“: https://herd-und-hof.de/landwirtschaft-/wir-duerfen-nicht-nur-an-uns-denken.html

[2] http://www.bmz.de/zef-fao_publikation und www.bmz.de/Ceres2030-Studie

Roland Krieg; Foto: Welthungerhilfe

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