"Echte Männer essen keine Quiche"

Ernährung

Wie „weiblich“ und „männlich“ ist unsere Esskultur?

Wen erwarten Sie zu einem Kaffeekränzchen, wen wollen sie in einer Eckkneipe treffen? Wer beißt in eine fettige Schweinshaxe, wer knabbert an einer Möhre? Wer Dr. Silke Bartsch, Oecotrophologin und Lehrerin an der Kopernikus Oberschule in Berlin Steglitz, auf dem 1. Ernährungsforum der DGE MV in Neubrandenburg zuhört, nickt innerlich ständig mit dem Kopf, weil die Bilder bekannt sind. Ist das panierte Schnitzel nicht eine Mahlzeit für Jungen, die Quiche für Mädchen? Sind Lebensmittel nicht kulturell und sozial Geschlechtern zugeordnet?

Ernährung im Kopf, Essen im Bauch
Welche Lebensmittel gesund sind und was gegessen werden sollte, wissen die meisten Menschen und lernen es recht früh. Jedoch zeigen Ernährungsstudien immer wieder, dass es eine Lücke zwischen Wissen und Tun gibt, die Dr. Bartsch schließen will. Dazu muss man zwei wichtige Grundlagen kennen: Es gibt keine Lebensmittel, die speziell für Frauen oder Männer gedacht sind. Zwar brauchen Frauen nach den Referenzwerten der DGE etwa 500 kcal pro Tag weniger, aber aus dieser statistische Tendenz, darf keine gesellschaftliche Regel hergeleitet werden.

Der kulinarische Code während der Erziehung
Fleisch gibt Kraft und Genuss, Gemüse ist gesund. „Gutes Essen“ ist bei Mädchen oft angstbesetzt und Jungen meiden Nahrungsmittel „mit geringem Ansehen“. Der Weg dahin ist ein komplexer Vorgang, wird in der Pubertät manifestiert und setzt sich oft bis in das Erwachsenenalter fort.
Dabei spielen bei den Jugendlichen Schönheitsideale eine wesentliche Rollen. Die weibliche Wespentaille gilt den Jungen als Ideal, sehen sich selbst am liebsten sportlich gebaut. So wünschen sich die Mädchen auch ihren Traumfreund, wollen selbst sportlich-androgyn sein, eine Figur, die in Mitteleuropa eigentlich gar nicht vorkommt.
Dann allerdings kommt die Pubertät und die Biologie der Körper folgt ihrer eigenen Regie. Den Jungen kommt das größer und kräftiger werden eher entgegen und sie können ihr eigenes Schönheitsideal mit Mehrverzehr erreichen. Sie hören von den Eltern auch wesentlich öfters Sätze wie „Nimm doch noch etwas mehr!“. Mädchen verändern sich in der Pubertät von den Schönheitsidealen Wespentaille und sportlich-androgyner Figur weg. Sie beginnen Mahlzeiten auszulassen und weniger zu essen, um „ihre“ Figur doch noch zu erhalten. Sie hören am Tisch von ihren Eltern überdurchschnittlich oft Sätze wie „Lass man gut sein!“.

Essen wird gemacht
In der Erwachsenenwelt haben sich die Rollenverhalten manifestiert. Offenes Feuer, Grill, Steak und Bier in freier Natur sind männliche Domänen, deren Klischees gerade von der Werbung gerne bedient werden. Frauen hingegen essen beim ersten Rendezvous tatsächlich nicht nur weniger, sondern auch betont langsamer, fasst Dr. Bartsch internationale Studien zusammen. Die so genannten Business-Frauen haben einen Body-Masse-Index, der unterdurchschnittlich ist und durch Essrestriktionen erzielt wird. Ein Essverhalten, dass als Risikofaktor für Essstörungen gilt. Ein Essverhalten, dass der gesellschaftlichen Gleichung schlank = erfolgreich entspricht.

Ein Thema für die Ernährungsberatung?
Kulturgestaltung geht von Frauen und Männern gleichermaßen aus. Deshalb sieht Dr. Bartsch hier den Ansatzpunkt, in der Ernährungsberatung das geschlechterspezifische Essverhalten zur Sprache zu bringen.
Da jedoch gerade Jugendliche gesellschaftlichen Einflüssen intensiv ausgesetzt sind, wollte Herd-und-Hof.de wissen, welche Chancen dieses Thema in der Schule hat. Arbeitslehre ist in der Kopernikus Oberschule ein Wahlpflichtfach und beinhaltet in der 7. und 8. Klasse die Lebensmittelverarbeitung und in der 10. Klasse Wirtschaften im Haushalt.
Was allerdings allgemein fehlt, so Dr. Bartsch, ist die Verbraucherbildung und Ernährungserziehung.
„Ernährungsführerscheine“ ersetzen keine wissenschaftliche Ausbildung und sind mehr ein Indikator dafür, dass ein Lehrbedarf besteht.
Gerade in der Schule durchlaufen die Jugendlichen ihre Identitätsentwicklung, sind Teilnehmer der aktuellen Ernährungskultur, aber auch Trendsetter. Falsch sei der Ansatzpunkt, ihnen etwas beizubringen, denn man müsse die Jugendlichen „als Esser“ ernst nehmen. Gerade zusammen probieren sie gerne etwas aus und sind offen für Neues. So können sie sich klar werden, was und warum sie etwas essen, warum etwas zu ihrer Lieblingsspeise geworden ist.
Wer allerdings in der Ernährungsberatung im Erwachsenenbereich tätig ist, der konnte im Workshop noch nicht so richtig einen Ansatzpunkt für dieses Thema finden. Mancher Beraterin hat das Thema zunächst einmal die Erkenntnis gebracht, ihre eigene Sicht auf die Kunden zu überprüfen.

Lesestoff:
Die aktuelle Forschungs- und Doktorarbeit von Dr. Silke Bartsch zur Jugendesskultur im Kontext Familie und Peergroup kann unter www.jugendesskultur.de eingesehen werden.
Über Ernährung, Emotionen und die soziale Konstruktion von Geschlecht arbeitet intensiv Dr. Monika Setzwein, die ebenfalls mit ihrer Forschung im Internet vertreten ist: www.food-und-culture.de
Es gibt ein mittlerweile abgeschlossenes Forschungsprojekt zur „Reform der Ernährungs- und Verbraucherbildung in Schulen“, das unter www.evb-online.de verfügbar ist.
Die Sektion MV der DGE hatte einmal speziell Lehrer angesprochen, um ihnen Tipps und Tricks für die Ernährungsbildung an die Hand zu geben.

Roland Krieg

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