Endokrine Disruptoren

Ernährung

Das Hormonsystem beeinflussende Substanzen

Hinter dem Begriff der „endokrinen Disruptoren“ stehen vielfältige Substanzen, die noch nicht einmal auf der molekularen Ebene etwas gemeinsam haben. Trotzdem erobern sie die Schlagzeilen und verunsichern Verbraucher, weil sie gleich wirken: Auf das menschliche Hormonsystem. „Die Welt wird weiblicher“ titelte eine große Tageszeitung und pointierte die Wirkungen der chemischer Substanzen, die bei Männern Fortpflanzungen- und Entwicklungsstörungen hervorrufen.

Heterogene Substanzen
Isoflavone (Rotklee und Soja), PCB, Dioxine, Phtalate (Olivenöl), Bisphenol A (PET-Flaschen) oder Nonylphenole. Die Produkte, in denen die komplizierten Moleküle stecken gehören zum Alltag der Verbraucher.
Die Wirkung auf das Hormonsystem ist zentral, da es nahezu alle wesentlichen Körperfunktionen, wie die Energieproduktion sowie -nutzung, die Blutdruckregulation oder den Elektrolythaushalt steuert. Reaktionen auf Notfallsituationen, wie Hunger, Stress und Infektionen sind genauso betroffen wie Emotionen und die Stimmung des Menschen. Gerade Isoflavone zeigen das breite Einstellungsspektrum. Verbraucher bringen die natürlich wirkende Substanz in Pflanzen nicht mit negativen Wirkungen in Verbindung, weswegen sich der Nahrungsergänzungsmarkt diesen Stoffen besonders angenommen hat. Isolierte Isoflavone in hoher Dosis hingegen werden vom Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) als kritisch eingestuft.

Dynamische Ergebnisse
Am Montag zeigte Prof. Dr. Dr. Andreas Luch aus dem BfR zu Beginn des zweitägigen Berliner Symposiums zu endokrinen Substanzen das wissenschaftliche Wechselspiel. Bisphenol A, das in PET-Flaschen und in Saugschnullern vorkommen kann, wurde 2002 ein maximaler Wert von 0,01 mg je Kilogramm Körpersubstanz als tägliche akzeptable Dosis ohne Negativwirkung zugeschrieben. Drei Jahre später wurde der Wert auf 0,05 mg je kg Lebendgewicht erhöht. Hintergrund waren Ergebnisse verschiedener Langzeitstudien, die mittlerweile vorlagen. In den Folgejahren haben verschiedene Einzelstudien diesen und noch niedrigere Werte immer wieder hinterfragt – und so nicht nur bei den Wissenschaftlern für Disput gesorgt – sondern vor allem bei Verbrauchern.
Dr. Luch kritisierte die so genannten „No Go – Studien“, weil meist nur ein Einzelaspekt verändert wurde. Die Ableitung von Grenzwerten sollte aber nur von Metastudien erfolgen, die mehrere und verschiedene Aspekte zusammenfassen. Zu Bisphenol A sagte er: „Derzeitige No Go-Studien sind nicht zur Ableitung von Grenzwerten geeignet.“
Dennoch bereiten Frankreich und Dänemark Verbote für Bisphenol A vor.

Zeiten des Umbruchs
Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel, Präsident des BfR, sieht eine Zeitenwende im Umgang mit diesen Stoffen. Im regulatorischen Bereich werden neue Definitionen und Regel europaweit gesucht, sagte er in der Pressekonferenz. Ab Juni 2011 soll eine neue EU-Verordnung (EG 1107/2009) für Pflanzenschutzmittel gelten, die einen Wirkstoff nur noch zulassen will, wenn er „keine endokrinschädliche Eigenschaften besitzt, die schädliche Auswirkungen auf den Menschen haben können“.
Bis dahin habe die Wissenschaft noch viel zu tun. Das Berliner Symposium will zusammen mit Nichtregierungsorganisationen helfen, Definitionen und Regeln aufzustellen, die bei der EU eingereicht werden können. Sollen für das Lebensmittlerecht die gleichen Regeln gelten, wie für das Chemikalienrecht oder Pflanzenschutzmittel? Ist ein Stoff wie Bisphenol A in Kunststoffen vorhanden, heiße das noch nicht, dass er auch ausgelöst wird und eine Wirkung hervorruft. Der Umgang mit den Stoffen sei eine gesellschaftliche Aufgabe, die nicht nur von Wissenschaftlern gelöst werden soll, so Prof. Hensel.

Konzeptpapier für die PSM-Zulassung
Ganz konkret soll nach der Tagung ein Konzeptpapier vorliegen, dass für die künftige Pflanzenschutzmittelzulassung deren Umsetzung der neuen Verordnung verwirklichen will.
Das Eckpapier sieht nach Angaben von Dr. Karen Ildico Hirsch-Ernst von der Abteilung Chemikaliensicherheit des BfR ein Stufenmodell vor. Zunächst sollen die toxikologischen Datenbanken durchforstet werden, Stoffe mit endokrinischen Wirkungen zu identifizieren. Dann werden die Tierversuche mit endokrinischen Mechanismen überprüft und in einem dritten Schritt die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf den Menschen. Ein möglicher Ausschluss von der Zulassung findet in einem vierten Schritt statt, wenn die Exposition des Wirkstoffes auf den Menschen und eine mögliche Einstufung und Kennzeichnung des Stoffes untersucht werde. Dann könne man nach Dr. Hirsch-Ernst endokrine Substanzen in Stoffe mit hoher und niedriger Potenz unterscheiden.

Ganz verbieten?
Prof. Hensel wies auf die unterschiedlichen Ansichten zwischen Wissenschaftlern und Nichtregierungsorganisationen hin. Was den einen als gefährlich erscheint, ist für die anderen ein unverständliches Ergebnis. Ob das Leben besser werde, wenn alle diese Substanzen verboten werden, wisse man nicht, so Prof. Hensel.

Teil II morgen: Die Abschlussdiskussion.

Lesestoff:
Bisherige Analysen zu endokrinen Wirkstoffen gibt es unter www.bfr-bund.de Dort wird später auch ein Abschlussdokument der Tagung veröffentlicht.
Auf Herd-und-Hof.de finden Sie zu diesem Thema vor allem die folgenden Artikel: BfR bewertet Isoflavone negativ – Der UGB sieht in Isoflavonen eine wichtige Ergänzung in der Ernährung 50+. Zu Bisphenol A haben Wissenschaftler unterschiedliche Ansichten. Phtalate hatten den Feinschmeckern vor fünf Jahren das Olivenöl vermiest.

Roland Krieg

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