Ernährungsberatung 2020
Ernährung
BMBF-Fachforum Ernährung und Pflanzenforschung
Die Ernährungsforschung unterliegt einem erheblichen Wandel.
Neue Ideen und Möglichkeiten fördern neue Erkenntnisse zutage, die der Handel
im Regal gewinnbringend unterbringen möchte und Pflanzenforscher darüber
nachdenken lässt, neue Züchtungsziele zu definieren.
Darüber tagen seit gestern in Berlin Wissenschaftler,
Wirtschaftsvertreter und Politiker im Fachforum Pflanzenforschung des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Was ist gesunde Ernährung?
Einfache Fragen sind im Zeitablauf eben nicht einfach
zu beantworten, legte Prof. Dr. Hannelore Daniel, Ernährungsphysiologin der TU
München dar. Die Ernährungsforschung fokussierte sich in den 1960er Jahren noch
auf den Nährstoffmangel. Heute untersuchen die Forscher den Nährstoffüberfluss.
Das Morgen hat aber auch bereits begonnen. „En vogue“
ist nach Prof. Daniel die Erforschung von Metaboliten, die im Stoffwechsel des
Menschen entstehen, und wie sie auf den Körper wirken. Allerdings je nach
genetischer Veranlagung verschieden.
So zeigt das WFS1-Gen je nach Variante eine Disposition
zum Diabetes Typ 1 oder Typ 2. Das Genprofil des Einzelnen führt zu einer
individuellen Ernährungsberatung. An virtuellen Körpern können sogar die
Phänotypischen Auswirkungen der inneren Organe nachgestellt werden – ob jemand
eine Fettleber bekommt oder nicht.
Neben dem Genom gewinnt im Zusammenhang mit de
Ernährung auch das „Metagenom“ an Bedeutung. Die mikrobielle Zusammensetzung
des Darms ist individuell und lässt den einen oder anderen Metaboliten
entstehen – oder auch nicht.
Dabei verliert der Begriff „gesunde Ernährung“ an
Schärfe. „Wir werden weiterhin noch essen, aber wichtiger wird die Frage sein,
wie wird Gesundheit registriert und wo sind die Ansätze zur Prävention“, fragt
die Ernährungsforscherin und malte das futuristische Bild der Genomanalyse, die
auf dem Smart Phone gespeichert ist, das im Supermarkt über die Strichcodes der
Waren deren Nährwertprofil abfragt und eine Kauf- sowie Ernährungsempfehlung
abgibt. Ein Avatar beobachtet gleichzeitig das Bewegungsprofil des Kunden und
weiß, ob man sich heute noch mehr bewegen muss, oder ruhen kann.
Doch ganz so futuristisch ist das nicht mehr. Auf
Google Health kann man bereits seine persönliche Krankenakte anlegen,
DIYgenomics untersucht ihr Genom und schickt die Analyse tatsächlich auf das
Handy. Am 01.
Januar 2011wird mit der Nestlé Health Science AG eine
hundertprozentige Tochter des Nahrungsmittelkonzerns den Betrieb aufnehmen und
die Lücke zwischen Pharma und Nahrung ausfüllen, um mit innovativen
Lebensmitteln den „chronischen Krankheiten des 21. Jahrhunderts vorzubeugen und
sie zu behandeln“, wie Verwaltungspräsident Peter Brabeck-Lethmathe Ende
September sagte. Es geht dabei um die Vorbeugung von Alzheimer, Fettleibigkeit
oder Herz-Kreislauferkrankungen.
In Nährstoffen denken
Im Fokus steht die Biomasse. Pflanzen sind die einzigen
Lebewesen, die Sonnenlicht in gespeicherte Energiebausteine umwandeln können.
Tiere und Menschen bleiben Konsumenten. Nach Prof. Dr. Markwart Kunz von der
Südzucker AG steht die Biomasse künftig in verschärftem Wettbewerb. Sie soll
Lebensmittel, Fleisch, erneuerbare Energien liefern sowie stofflich verwendet
werden. Zur Erfüllung aller Aufgaben kann die Pflanzenzüchtung den
Ausgangsrohstoff durchaus noch zu verbessern suchen. Während die Zuckerrübe
zumindest in den Sommermonaten die einfallende Lichtmenge noch recht gut in
Biomasse umsetzt, nutzt der Raps das Sonnenlicht deutlich weniger gut aus.
Vielleicht sind neue Sorten von Vorteil.
Die Pflanzenzüchter haben bei den Zuckerrüben bereits
andere erhebliche Vorteile geschaffen. Gegenüber den 1980er Jahren brauchen die
modernen Zuckerrüben bei gleichem Zuckerertrag etwa ein Drittel weniger
Stickstoffdünger und verbessern damit das Verhältnis von Aufwand und Ertrag.
Es geht aber nicht nur um den Ertrag von Pflanzen.
Steigerbar wäre beispielsweise auch die Ertragsqualität. Koppelprodukte können
neben Protein oder Kohlenhydrate auch noch Biomasse für die
Treibstoffproduktion übrig lassen. Weizen oder Futterrüben stehen nach Dr. Kunz
in der Gesamtbilanz besser da als Soja. Ein weiteres Beispiel der Qualitätsverbesserung Golden Rice der neben seiner Funktion als
wichtige Getreideart auch die Vorstufe des Vitamin A enthält und die Menschen
in den Entwicklungsländern vor Blindheit bewahren könnte.
Letztlich könnten in der einzelnen Pflanze auch
„gesündere“ Fettsäuremuster erzeugt werden. Es kommt dabei nicht mehr auf die
Pflanze als Basis der Ernährung an, sondern die Pflanze als Träger gewünschter
Nährstoffe. Global sinkt die Nachfrage nach Getreideprodukten, während die
Nachfrage nach Milch und Fleisch steigt. Daher gewinnt Futterprotein an
Bedeutung. Aus gesundheitlichen Aspekten heraus, sollte tierisches Protein in
der menschlichen Ernährung durch das pflanzliche Protein teilweise ersetzt
werden. Doch, so Dr. Kunz, der Imitat-Käse wurde gerade erst von der Pizza
verbannt.
Südzucker selbst hat mit Isomaltulose Ende der 1950er
Jahre ein Disaccharid aus Rübenzucker gewonnen, das im Honig der Bienen und in
Zuckerrohr auch natürlich vorkommt. Dieser Zucker ist ähnlich süß und hat mit 4
kcal je Gramm den gleichen kalorischen Wert wie Zucker, wird vom Körper aber
viel langsamer verbrannt. Damit bleibt der Blutzuckerspiegel niedriger. Nach
Dr. Kunz verbrennt der Körper bei Verwendung dieses Zuckers am Tag rund acht
Gramm Fett mehr als üblich.
Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels werden
neue Pflanzen und Lebensmittel immer wichtiger, erklärt auch Prof. Dr. Gerhard
Rechkemmer vom Max-Rubner-Institut Karlsruhe. So mache es Sinn die
ernährungsphysiologischen Effekte von Getreide zu verbessern. Auch die
Süßlupine steht vor einem Comeback auf Feld und Teller und bietet alternatives
Protein.
In der Summe hat die Pflanzenzüchtung die Möglichkeit
innerhalb von Fruchtfolgen Pflanzen zur Verfügung zu stellen, die eine
Koppelproduktion ermöglichen und für die menschliche Ernährung eine verbesserte
Rohstoffbasis mit neuen oder veränderten Inhaltsstoffen aufbieten.
Wettbewerbsvorteil Gesundheit
Die letzte Brücke zwischen Ackerbau, Forschung und
Verbraucher schließt der Lebensmittelhandel. Die Tagung treffe den Nerv der
Branche, sagte Dr. Sabine Eichner Lisboa von der Bundesvereinigung der
deutschen Ernährungsindustrie (BVE).
170.000 Artikel stehen in den deutschen
Supermarktregalen, doch durchschnittlich kauft ein bundesdeutscher Haushalt
lediglich 400 verschiedene Artikel im Jahr. Jedes Jahr werben 30.000 neue
Produkte um die Gunst der Verbraucher, doch nur 180 davon verbleiben nach einem
Jahr noch im Regal. Es ist ein Verdrängungswettbewerb, ergänzt Dr. Michael
Warburg von Unilever Deutschland. Man müsse das richtige Produkt zum richtigen
Zeitpunkt auf den Markt bringen, so Dr. Eichner weiter. Die Hersteller müssen
angesichts der Trends Convenience, Gesundheit und Genuss wissen, was innovativ
ist und der Verbraucher will. Das sei für die Branche eine Chance, aber auch
eine Herausforderung.
„Die Suche nach
bad news“
Die Tagung gab auch Anlass für Medienschelte. Seit der
ARD-Themenwoche „Essen ist Leben“ fühlt sich die Branche falsch dargestellt und
sprach in den letzten Wochen von einer „Hexenjagd“. Nach Eichner inszenieren
Nichtregierungsorganisationen Skandale für ihre Zwecke, Warburg sieht die
Ernährungsindustrie sarkastisch in der Bewehrungsprobe gegen „Medien als
Bildungsplattform“. Mit zunehmender Distanz zur Erzeugung und Verarbeitung von
Lebensmitteln ist das sozialromantische Bild über die Nahrung größer geworden,
erklärte Dr. Eichner.
Dem Medienwirbel zum Trotz: Das letzte Eurobarometer
hat gezeigt, dass die Deutschen ihren Lebensmitteln durchaus vertrauen. Aber
auch den Medien.
Und die Zukunft?
Wie die Ernährungsforschung ist offenbar auch das
Verbraucherbild über Lebensmittel im Wandel. Die traditionellen Rohstoffe haben
in ihrer Unverfälschtheit zwar weiter Konjunktur, aber Dr. Daniel hat auch
gezeigt, dass die Menschen neuen Gedanken offen gegenüber stehen. Ihre Antwort
auf ein Beispiel gesunder Ernährung: Hetero-Oligosaccharide der Muttermilch in
den Pflanzen verankern. Die bieten einen guten Schutz vor Viren und Bakterien.
Lesestoff:
Morgen folgt ein Bericht über den zweiten Tag.
Prof. Daniel forscht am Center of Diet and Disease
(CDD) der Uni München: www.cdd-tum.de
Ein Interview mit Prof. Qaim auf Herd-und-Hof.de über den Golden Rice finden
Sie hier
Plants for a
Future: www.pfaf.org
Food for Life: http://etp.ciaa.eu/asp/index.asp
Eurobarometer
Roland Krieg