Erste Total-Diet-Studie in Deutschland
Ernährung
BfR-Meal-Studie läuft an
Im Rahmen der Grünen Woche hat das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) über den Start der ersten Total-Diet-Studie (TDS) in Deutschland berichtet. TDS sind nicht neu und wurden Anfang der 1960er Jahren in den USA begonnen. Damals wollten die Wissenschaftler den Verbleib von Radionukleiden nach Atombombentests in der Nahrung klären, erklärte Dr. Gerald Moy, Autor des Buches „Total Diet Studies“. Heute gibt es einen harmonisierten Ansatz zur Durchführung von TDS aus einem Leitfaden der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit EFSA, der FAO und WHO.
„Wir können Essen nicht vermeiden“
BfR-Präsident Prof. Dr. Dr. Andreas Hensel sagte zu Beginn: „Essen können sie nicht vermeiden“. Das bedeutet aber auch, alle Menschen nehmen neben den erwünschten auch unerwünschte Stoffe auf. Zudem wird gekocht, gebraten, gegrillt, gedämpft oder frittiert. Durch die Zubereitungsart verändern sich die ursprünglichen Stoffe des Lebensmittels und es bilden sich neue, die nicht mehr herauszufiltern sind. Andere Stoffe werden abgebaut. Daher bietet die TDS eine für Deutschland neue Möglichkeit, Stoffe in verzehrfertigen Lebensmitteln, also ganz nah an der Praxis, festzustellen.
Was die Deutschen essen wurde in der Nationalen Verzehrsstudie II ermittelt. Welche Stoffe in den Lebensmitteln vorhanden sind, stellt das Lebensmittel-Monitoring fest. Doch was wirklich in welchen Konzentrationen auf den Tellern liegt, lässt sich dadurch nur schwer ermitteln. So gilt Blei als sehr gefährlich, kontaminiert aber Getreide nur in minimalen Mengen. Erst wer sehr viel Getreide isst, für den wird Blei bedeutsam, beschreibt Prof. Hensel das Dilemma der Risikobewertung. Die Exposition macht das Gift. Daher ist die TDS eine Ergänzung zu den vorliegenden Daten – wenn auch, wie Hensel betont: „Essen ist heute sicherer als jemals zuvor.“
Was ist drin?
Für Nährstoffe gibt es die Referenzwerte aus dem Dreiländerbereich Deutschland, Österreich und der Schweiz (D-A-CH). Anhand derer schätzen Ernährungsexperten mit der Aufnahme das Haben mit dem Soll ab. Doch sind die Daten schwer einzuschätzen. Anhand der Nationalen Verzehrsstudie II wird aus den Speisenangaben für Männer ein Salzwert von 7,0 und von Frauen von 4,9 g /Tag ermittelt. Wird allerdings die Urinausscheidung gemessen, liegen die Werte mit 10 und 8,4 g NaCl pro Tag deutlich höher. Woher stammt das Salz? Verarbeitete Produkte sind schwer in ihre Einzelteile zu zerlegen und zu begutachten. Daher schließt die TDS, die mittlerweile in mehr als 50 Ländern durchgeführt wird, Lücken. Neben Ländern wie den USA oder Österreich, führen auch Malaysia und der Libanon TDS durch. Dafür verzichten manche Staaten auf Nationale Verzehrsstudien. Wenn in einigen Jahren die ersten Daten aus der TDS-Studie vorliegen hat Deutschland die beste Datengrundlage der Welt, ergänzt BfR-Studienleiter Dr. Oliver Lindtner. Das BfR hat für seine Studie das Akronym MEAL auserkoren: Mahlzeiten für die Expositionsschätzung und Analytik von Lebensmitteln.
Allgemeine Hintergrundbelastung
Prof. Dr. Helmut Heseker von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) hofft, nach der Analyse Lücken in den Nährstofftabellen schließen zu können. Für die DGE stehen Jod, Salz, Folat, Vitamin K und vielleicht sogar die Fettsäurezusammensetzung im Fokus.
Grundsätzlich geht es jedoch um die allgemeine Hintergrundbelastung aller unerwünschten Stoffe. Dazu werden die Lebensmittelproben anhand eines Basismoduls hin untersucht. Dazu gehören Schwermetalle, organische Zinnverbindungen oder Dioxine. Ergänzt wird diese Untersuchung durch Begleitmodule auf Pflanzenschutzmittelrückstände, Tierarzneien, perflourierte Tenside und Mykotoxine. Extramodule untersuchen die Mahlzeiten auf Prozesskontaminanten, auf migrierende Stoffe aus Lebensmittelverpackungen und Zusatzstoffe.
Derzeit werden die Lebensmittel für die Beprobung ausgewählt und die Stoffe in den Modulen befinden sich noch in der Abstimmung mit den Bundesländern.
Wie wird was erfasst?
In einem zweiten Schritt werden Lebensmittel in ganz Deutschland eingekauft, das in vier Regionen unterteilt wurde. Jede Region hat drei Sammelpunkte mit verschiedener Bevölkerungskonzentration im Supermarkt, Markt und Bioladen. Dann wird auf dem Berliner BfR-Gelände die Küche fertig gestellt sein, in der die Lebensmittel zubereitet werden. Sie wird als abgeschlossenes Labor gebaut, damit möglichst wenige Kontaminationen von außen die Proben verfälschen. In der Küche werden die Speisen so zubereitet, wie das die Bevölkerung zu Hause auch umsetzt. Vergleichbare Lebensmittel werden zur Verringerung der Lebensmittelproben „gepoolt“. Durch das homogenisieren werden Erdbeerjoghurts allerdings nicht mehr unterscheidbar. Ob da tatsächlich Erdbeeren drin sind oder nur Aromen bleibt offen. Alles ist im Detail nicht abzubilden. Die Analyse wird als Auftragsarbeit über eine Ausschreibung an externe Labore verteilt. Die Auswertung und Expositionsabschätzung findet wieder im BfR statt.
350 Lebensmittelgruppen sind benannt, 4.000 Poolproben werden gezogen, was im Einkauf 60.000 Teilproben für die Labore ergibt.
Vorteile MEAL
Die Ergebnisse werden einen repräsentativen Querschnitt des Verzehrsverhaltens abbilden und 90 Prozent der Lebensmittel in Deutschland erfassen. Werden hoch belastete Lebensmittel zu mehr als zehn Prozent in einer Speise eingesetzt, werden auch sie berücksichtigt. Zwar entspricht die Zubereitung den deutschen Gepflogenheiten, aber da bei der Zubereitung alle Varianten genutzt werden und die Daten auf die einzelnen Speisebestandteile herunter gebrochen werden, können Expositionen auch türkische oder asiatische Mahlzeiten abbilden, unterstreicht Dr. Lindtner. Die Daten sind ganz nahe an der üblichen Verzehrsweise und werden daher ein realistischeres Bild widerspiegeln
Essen wir dann gesünder?
Die langjährige TDS-Erfahrung in den USA hat keinen Trend zu einer gesünderen Ernährung angestoßen. Das wird in Deutschland anders sein. Die Ernährungswissenschaftler haben sich mit Salz und Fettsäuren „Hotspots“ der Lebensmitteldiskussion ausgewählt. „Zu salzig, zu fettig und zu süß“ lautet für Verbraucherzentrale und DGE der Aufschrei über das Ernährungsverhalten. MEAL wird seinen Diskussions-Beitrag, gewollt oder ungewollt, leisten. Bundesernährungsminister Christian Schmidt ist derzeit gewillt, über die Lebensmittelbuch-Kommission an die Rezepturen der Industrie zu drehen. Erfolg oder nicht – MEAL wird zumindest weitere Sachargumente für diese Arbeit hervorbringen; wenn auch erst in der nächsten Legislaturperiode.
Lesestoff:
Roland Krieg; Fotos: roRo
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