Ethische Aufgabe Welternährung
Ernährung
Landwirtschaft in der Transformationsphase
Orissa ist im Nordosten Indiens einer der ärmsten Regionen mit überdurchschnittlicher Armut. Dort leben rund 37 Millionen Menschen und betreiben Landwirtschaft zu 70 Prozent im Regenfeldbau. Die Adivasi, die ersten Siedler, werden sozial marginalisiert und vom Land vertrieben, weil die Industrie nach wertvollen Bodenschätzen wie Bauxit, Eisen und Kohle sucht, erklärt Dr. Martin Bröckelmann-Simon von Misereor auf der Tagung des Deutschen Ethikrates zum Thema Welternährung. Erst die Nichtregierungsorganisation Dulal hat sich der Adivasi angenommen, und ihnen ihr Selbstbewusstsein zurückgegeben. Mit Sparen, Kleinkrediten, Landzuteilung und Gesundheitsvorsorge werde in mittlerweile 324 Dörfern mehr als 13.000 Menschen und ihren Familien die Lebensgrundlage gesichert.
Transformation zur Nachhaltigkeit
Nach Bröckelmann-Simon hat das aber nicht von Anfang an
funktioniert. Die gut gemeinte Hilfe im Frontalunterricht hat die Menschen
nicht erreicht. Erst als die Adivasi mitbestimmten konnten, was ihnen am besten
hilft, wurde das Projekt erfolgreich.
Heute bauen sie Hirse in Agroforstsystemen in
Mischkultur an. Dabei verzichteten sie auf die wenigen Hirsesorten, die es auf
dem Markt gab und haben die alten Hirsesorten wieder verwendet. Heute werden
acht verschiedene Hirsen als eigenes Saatgut verteilt. Außerdem hat das Projekt
15 Hektar Ödland wieder in Kultur gebracht. Sie erzeugen nicht nur eigene
Nahrungsmittel, sondern steigern die Fruchtbarkeit über die angegliederte Tierhaltung,
erzeugen noch Futter auf ihren Feldern.
Es ist nicht die alte traditionelle Landwirtschaft,
sondern die weiterentwickelte Version auf der Basis des alten Wissens mit
Koppelproduktion.
Was in Orissa glückt, soll mehr Bauern auf der Welt als
Vorbild dienen. Die traditionellen Anbausysteme sind nach Dr. Vandana Shiva,
Trägerin des alternativen Nobelpreises, „interne Inputsysteme“ die über die
Integration von Frauen, Vermeidung von Kreditaufnahmen und damit Vermeidung von
Schulden zu einer langfristigen Ernährungssouveränität führen. Die moderne
Landwirtschaft hingegen basiert nach Dr. Shiva auf externen Inputsystemen und
betrachtet die erzeugten Nahrungsmittel als Handelsgüter zur Gewinnmaximierung.
Das habe in Indien bei den Kleinbauern zu der Situation geführt, dass sie rund
die Hälfte ihrer Ernte für den Schuldendienst verkaufen müssen. Die
Ausweglosigkeit aus der Schuldenfalle hat in Indien in den letzten 15 Jahren zu
einer Selbstmordwelle von rund 215.000 Kleinbauern geführt.
Weltagrarbericht
Was in Orissa passiert folgt den Ansätzen des
Weltagrarberichtes, dem „Mutter aller Berichte über die Landwirtschaft“, so
Mitautor Dr. Hans Rudolf Herren. Basis des neuen Ansatzes sind die
Beobachtungen, dass die Grüne Revolution der 1960er Jahre zwar die Menschen
ernährt hat, aber dafür Spuren wie Bodendegradation und den Verlust der
Biodiversität nach sich gezogen hat. Die Grüne Revolution habe nur die
Symptome, aber nicht die Ursache bekämpft, so Herren. Dass der Weltagrarbericht
in der Politik und selbst in der Wissenschaft auf Ablehnung stößt, begründet
der Agrarwissenschaftler in der vertretenen Menung, dass die Landwirtschaft
nicht mit den Ideen des freien Handels vereinbar sei. Mit der Ablehnung der
Biotechnologie wurden die 400 Experten, die an dem Bericht geschrieben haben,
der Nestbeschmutzung bezichtigt.
Doch genau in diesem Spannungsfeld bekommt das Thema
Welternährung seine ethische Komponente. Die industrialisierte Landwirtschaft
erzeuge Spannungen zwischen ihr und der Umwelt, zwischen Konsumenten und
Bauern, zwischen Politik und ihren Auswirkungen. Es sei Zeit für einen
Paradigmenwechsel, der die Landwirtschaft in das Zentrum der sozialen,
ökologischen und ökonomischen Beziehungen stellt.
Der Welthunger ist kein Biomasseproblem. Im Durchschnitt
werden 4.500 kcal pro Kopf Nahrungsenergie erzeugt, doch abzüglich aller
Verluste nach der Ernte verbleiben nur noch 2.000 kcal. Und die sind noch
ökonomisch ungleich verteilt.
Den Gewinn an Nahrungssouveränität in Orissa sagt der
Weltagrarbericht voraus. Werden verschiedene Pflanzen im Jahresverlauf auf
einem Feld auch miteinander kombiniert angebaut, dann sind mit lokalen
Pflanzensorten und ohne Düngung vier- bis zehnfachen Menge Erträge möglich.
Nach Herren gibt es Lösungen für die 950 Millionen hungernden Menschen. Sie
werden aber nicht umgesetzt, weil an der neuen „alten“ Produktionsmethode nur
die Bauern verdienen. Sie ist kein Produkt der Industrie.
Land“Wirt“schaft
Das sieht Prof. Dr. Thomas Pogge von der Yale
Universität ähnlich. Es wird das angebaut, was nachgefragt wird. Und es wird
von denjenigen nachgefragt, die Geld in der Hand haben. Die Entwicklungshilfe
müsse sich nach Kurt Gerhardt, Journalist und Mitinitiator des „Bonner Aufrufs“
auf die Eigenverantwortung der Menschen fokussieren. Die Menschen sollen nicht
mehr Objekt, sondern Subjekt der Entwicklungshilfe werde. Sie müsse sich nach
dem Subsidiaritätsprinzip ausrichten, doch habe sie in den vergangenen
Jahrzehnten mehr Abhängigkeiten geschaffen. Die ethische Verantwortung sei
nicht nur eine der Welternährung und Landwirtschaft, sondern eigentlich eine
gegenüber der gesamten Wirtschaft. Prof. Dr. Bernhard Emunds, von der
Philosophisch-Theologischen Hochschule Sankt Georgen aus Frankfurt/M.
unterstreicht das. Es sei nicht allen klar, dass Rohstoffhandel und auch das
Finanzwesen wichtige Akteure sind, die zur gegenwärtigen Situation beitragen.
Cornelia Füllkrug-Weitzel von Brot für die Welt
verteidigt die kirchliche Entwicklungshilfe vor dem Vorwurf, Abhängigkeiten zu
schaffen. Sie sei jahrzehntelang notwendig, weil sich nicht wirklich etwas
verändert habe. Die Menschen vor Hunger schützen, heiße vor allem die Menschen
vor Rahmenbedingungen zu schützen, die den Hunger verursachen. Das ist die
Pflicht jeden einzelnen Staates. So sei mit dem Recht auf Nahrung ein Rahmen
vorgegeben, die unerträgliche Situation zu ändern.
Lesestoff:
Der Deutsche Ethikrat wird die Tagung vom Donnerstag
auf seiner Seite www.ethikrat.org
vollständig dokumentieren.
Den Weltagrarbericht finden Sie unter www.agassessment.org,
die Forderung nach einer Neuausrichtung der Entwicklungspolitik unter www.bonner-aufruf.de
Die OECD hat die Unternehmensleitsätze für einen fairen
Handel jüngst erneuert
Wer gegen Blattläuse vorbeugend vorgeht hat nachher
mehr Plagegeister
Die EU will mit einem neuen Aktionsplan gegen die
Flächenversiegelung vorgehen
Roland Krieg