Food Crash
Ernährung
Geht der Welt das Essen aus?
Die Zahl der Übergewichtigen nimmt in Europa und den
USA zu. Gleichzeitig sind 12 Millionen Menschen am Horn von Afrika vom
Hungertod bedroht. Wenn die Nahrungsversorgung in einer technisierten Welt bei
knapp sieben Milliarden Menschen nicht funktioniert, wie soll sie dann gesichert
sein, wenn es im Jahr 2050 fast zehn Milliarden Menschen gibt? Die Frage wird
immer drängender, denn die Ressourcen sind endlich. Das bis in die 1970er Jahre
scheinbar unerschöpfliche Erdöl geht zur Neige und die Agrarwissenschaftler
rechnen damit, dass Phosphor als essentieller Pflanzennährstoff noch vor dem
Erdöl zu Ende geht.
Vor diesem Hintergrund und zusätzlicher Verschärfung
durch den Klimawandel streiten Experten darüber, ob die konventionelle
Landwirtschaft oder die ökologische Wirtschaftsweise die Menschen ernähren
kann. Dr. Felix Prinz zu Löwenstein, Bio-Bauer und Vorstandsvorsitzender des
Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW) hat genau zu diesem Thema ein
Buch geschrieben, das er am Donnerstag in Berlin vorstellte. Titel: Food Crash.
These: Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht mehr.
Ökolandbau zwischen Utopie …
Rezensent Dirk Niebel, Bundesminister für
wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) hält die Idee für
„utopisch“. Der ökologische Landbau sei zu teuer und zu ineffizient, sagte
Niebel. Er teile die These Löwensteins „ausdrücklich“ nicht. In der Vergangenheit
sei die Förderung des ländlichen Raums vernachlässigt worden und weil die
Bauern kein Einkommen erzielen, können sie sich die vorhandenen Lebensmittel
nicht leisten. Der Hunger in der Welt sei weniger ein Mangel an Nahrungsmitteln,
sondern mehr ein Mangel an Kapital. Daher müssen die Rahmenbedingungen vor
allem mit privatwirtschaftlichem Engagement so gestaltet werden, dass Bauern
ein Einkommen erzielen können.
Zudem will Niebel keine Welt voller Subsistenzbauern.
Um zehn Milliarden Menschen künftig ernähren zu können, brauche man auch eine
industrielle Landwirtschaft. Das schließe moderne Methoden wie die grüne
Gentechnik mit ein. Niebel hat sie nicht eingefordert, besteht aber darauf,
dass diese Technik nicht von vornherein ausgeschlossen werden soll, um
notwendige Ertragssteigerungen zu erzielen.
… und Notwendigkeit
Für Felix zu Löwenstein spiegelt diese Diskussion zur
Vorstellung seines Buches genau die Argumentation wider, die weltweit geführt
werde und das Buch notwendig mache.
Löwenstein geht es nicht um eine romantisierte
Landwirtschaft, sondern um eine Inputarme Landwirtschaft, die maximal auf
externe Betriebsmittel verzichtet und mit natürlichen Kreisläufen innerhalb der
Ressourcenverfügbarkeit des Planeten bleibe. Löwenstein schreibt über die
„Ökologische Intensivierung“, die auch die traditionelle Landwirtschaft noch
vor sich hat.
MASIPAG ist das im Buch ausführlich beschriebene
Beispiel, wie „people-led-development“ und „farmer empowerment“ funktioniert.
Auf den Philippinen haben ursprünglich Bauern und Wissenschaftler gemeinsam
eine neue Reissorte züchten wollen, die gegenüber den importierten
Hochertragssorten, eine lokal angepasste und langfristige Ertragssteigerung
erzielen sollte. 1985 wurden nach einer Konferenz 47 traditionelle Reissorten
in ein bäuerliches Zuchtprogramm eingebracht. Mittlerweile verfügen drei
„Back-up farms“, zehn regionale Saatgutbanken und 272 Bauerngruppen in 40
Provinzen über mehr als 2.000 lokale Reissorten. 2007 und 2008 haben
Wissenschaftler zusammen mit Bauern eine Studie über die Auswirkungen der
Umstellung auf ökologischen Landbau durchgeführt. Bei 88 Prozent der Bauern
hatte sich die Ernährungssicherheit verbessert. Auf den Farmen werden zwischen
40 und 50 verschiedene Nahrungspflanzen angebaut und die ökonomischen
Ergebnisse liegen über dem Landesdurchschnitt. Die Art und Weise wie innerhalb
von MASIPAG gearbeitet wurde hat auch zu einem neuen Selbstverständnis geführt:
„Die Bauern sind politisch aktiver, haben Gemeinschaftsarbeit und gemeinschaftliche
Vermarktung besser organisiert und schätzen ihre Zukunftschancen deutlich
positiver ein als ihre konventionellen Nachbarn“ (Seite 191).
Neues Agrarsystem
Die Hinwendung zum ökologischen Landbau ist für Löwenstein nicht nur eine Frage der Ressourcenschonung. Das Agrarsystem müsse grundsätzlich umgestaltet werden. Derzeit müssen viele Bauern ihre Erzeugnisse noch während der ernte, wenn die Preise niedrig sind, verkaufen, um die vorher eingekauften externen Betriebsmittel wie Saatgut, Dünger oder Pflanzenschutzmittel zu bezahlen. Ihnen bleibe kaum eine Chance, Reserven für schlechte Zeiten aufzubauen.
Lesestoff:
Felix zu Löwenstein: Food Crash. Wir werden uns ökologisch ernähren oder gar nicht. 256 Seiten, ISBN: 978-3-629-02300-1; 19,90 Euro (D). Erscheinungsdatum: 12. September 2011
Herd-und-Hof.de hat ein Interview mit dem Autor geführt: U.a. Welches ist der lohnendste Entwicklungsansatz? Brauchen wir eine Konsumdebatte? Ist für umstellungswillige Bauern die Politik oder die Verbrauchernachfrage wichtiger? Das Interview hören Sie im Abo-Bereich „Marktplatz“ (linker Frame) Höhrwurm September 2011. Hier können Sie sich direkt anmelden.
Roland Krieg (Text und Fotos)