„Gärtnern verbessert die Welt“

Ernährung

„Mahalle sehir ile bulusuyor“

„Kiez trifft Region“, hieß am Sonntag das Motto in der Berlin-Kreuzberger Eisenbahnmarkthalle und die türkische Übersetzung ist nicht nur der Bevölkerung im Kreuzberger Kiez geschuldet – der Zugang zur Erde, der Respekt gegenüber der Natur ist universell, sagte Turgut Altug vom Türkisch-Deutschen Umweltzentrum, dass sich vor zwei Jahren gründete und im Görlitzer Park einen interkulturellen Garten unterhält. „Wir können die Stadt nicht ernähren“, so Altug. Aber der Garten mitten in der Stadt dient auch dem kulturellen Austausch und fördert das soziale Miteinander. Die gemeinsame Arbeit im Garten sei ein Naturerlebnis, ausgesäte Biodiversität und Respekt gegenüber der Natur.

Essen im Gesamtkonzept
Mit dem Markt der regionaler Produkte haben in Berlin die Geschmackstage 2010 begonnen, die einmal im Jahr und im dritten Jahr ihres Bestehens auch bundesweit, die Menschen näher an die Lebensmittel bringen will.
Das ganze Jahr über Geschmackstage bietet Slow Food, das zusammen mit Kreuzberger Verbänden die Veranstaltung „Kreuzberg schmeckt“ in der Eisenbahnmarkthalle organisiert hat.
Florian Niedermeier vom Verein „Markthalle 9“, der sich um den Erhalt der alten Bezirksmarkthalle aus dem Jahr 1891 kümmert, findet, dass es keinen besseren Ort gebe. 2006 hat sich der Berliner Senat entschieden die alten Markthallen zu verkaufern, da die Versorgung der Menschen sicher gestellt sei. Doch genau solche Markthallen bieten den Kunden noch Gelegenheit, regionale Produzenten zu treffen und frische und saisonale Ware einzukaufen.
Die „Geschmackstage“ bieten eine öffentliche Plattform, auf das Anliegen aufmerksam zu machen. Die heutigen Lebensmittel haben den Verbraucher von der Erzeugung zu weit entfremdet, Gammelfleisch und Methanol im Wein ereignen sich in der Anonymität der weitläufigen Wertschöpfungskette, die auf billige Ware ausgerichtet ist.

Der mobile Garten
Auch am Moritzplatz können die Nachbarn ihre Kräuter selbst anbauen. Im Prinzessinnengarten machen sich die Nachbarn wieder mit der Pflege der Kräuter vertraut, können selbst ernten und vor Ort auch gleich probieren. Nach Robert Shaw soll der Garten den Gegensatz zwischen Stadt und Land auflösen, das Café am Garten dient dem Meinungs- und Erfahrungsaustausch. Denn das Gärtnern muss erst wieder erlernt werden, Fehler sind eingeschlossen, so Shaw. Der Garten vom Moritzplatz kommt zum Überwintern in die Eisenbahnmarkthalle und nächstes Jahr wieder zurück auf das weitläufige Gelände. Dann aber soll er seinen Standort öfters wechseln, damit mehr Menschen in den Genuss des Prinzessinnengartens kommen.
Ganz nah an der Lebensmittelproduktion ist Sonja Moor, die im Modelldorf Hirschfelde zwischen Strausberg und Bernau Galloway und Wasserbüffel hält. Sonja Moor versteht sich nicht als Aus-, sondern als Einsteigerin. Derzeit baut sie eine Stammherde auf, deren tragende Muttertiere auch an Landwirte für die Erhaltung von Grenzstandorten vermietet werden können. Innerhalb der nächsten beiden Jahre will sie auch Mozzarella produzieren.
Sie versteht die Nachhaltigkeit als Prozess, sich selbst ernähren zu können und hat damit bereits in der Schweiz angefangen. Und weil sie weiß, was sie macht, sagt sie: „Ich kann nur Tiere essen, die ich kenne!“

Die Nähe zum Produzenten
Sonja Moor lädt Verarbeiter von Fellen, Fleisch und Ölmüller ein, in der Gemeinschaft mitzuwirken. Brandenburg leide zwar unter einem Fachkräftemagel, aber die, die herkommen, haben einen Plan. Brandenburg sei das klassische Multikultiland und brauche „Gravitätsprojekte“ um die herum sich ein neues Leben entwickelt.
Erzeuger und Verbraucher entwickeln neues Vertrauen, eine neue Wertschätzung in Lebensmittel und Lebensweisen. Beide Seiten müssten Vorurteile überwinden. Die Städter müssten wieder lernen, wie Lebensmittel hergestellt werden und die Bauern müssten lernen, dass Konsumenten nicht nur Konfektionsware wollten. Das erzähle nur die „Gaunerschaft in der Mitte“, die an den Geschäften zwischen Bauern und Konsumenten mitverdienen wollten. Sonja Moor kenne keinen armen Lebensmittelhandel, keinen armen Futtermittelproduzenten, sie kenne aber viele arme Erzeuger. Die Mitverdiener wolle sie aus der Wertschöpfungskette heraushaben.

„Gärtnern verbessert die Welt“
Das Leben ist zu schnell geworden. Die Menschen essen nur noch um satt zu werden. „To go“, wie es überall beworben wird. Doch irgendwo regt sich Widerstand. Zusammengebastelte Nahrungsmittel, mit Farbstoffen und Aromen auf traditionell gestylt, schmecken den Menschen nicht mehr.
Das Schweizer Duttweiler Institut hat kürzlich den Trend ausgerufen, die Menschen wollen mehr „Romance“, weniger „Science“ auf dem Teller. Die Lebensmittel haben sich von den Bedürfnissen der Menschen entfernt. Die „Frugalisten“ feiern „Tage des Nichtkonsums“, suchen neue Werte, empfinden „die neue Armut“ nicht als Verzicht.
Man muss nicht jeden Tag Fleisch essen, so Florian Niedermeier. Dafür kann man sich auf ein richtiges Stück Fleisch freuen, dass eine hohe Qualität aufweist zu einem fairen Preis für den Erzeuger gekauft wird. Und wenn man es nicht für den anderen macht, dann doch offenbar für sich selbst: „Es schmeckt anders“, sagt Robert Shaw. Das hat dann nichts mehr mit Verzicht zu tun, sondern mit Freude. So wie beim Spargel: Den gibt es nur einmal im Jahr und alle fiebern der neuen Saison entgegen. Sonja Moor: „Gärtnern verbessert die Welt!“.

Die guten Alternativen finden
Slow Food Berlin ist in diesem Jahr 18 Jahre alt geworden. In Italien gründete Carlo Petrini die Bewegung 1989 vor den Hintergründen des Methanolskandals im Wein und der Eröffnung eines Fast Food Restaurants in der römischen Altstadt. Von der Erkenntnis getrieben, dass die Menschen des Industriezeitalters ihr Leben nach den Maschinen ausrichten und die Beschleunigung der Zeit zu einer Fessel des Menschen wird, möchte Slow Food International nach seinem Pariser Manifest der „Verflachung durch Fast Food ... die geschmackliche Vielfalt der lokalen Gerichte“ entgegensetzen“. 1992 hat der Verleger Eberhard Spangenberg Slow Food nach Deutschland geholt.

Die Berliner Slow Food-Gemeinschaft, Convivium genannt, hat derzeit rund 600 Mitglieder, erzählt Lars Jäger, Leiter des Conviviums, Herd-und-Hof.de. Damit hat sich die Berliner Tafelrunde deutlich ausgedehnt und die Bekanntheit der Idee gesteigert. „Gut, sauber, fair“, die drei Lebensmittelkriterien Petrinis, weisen zwar in Richtung Ökolandbau ohne Gentechnik und Pflanzenschutzmittel, aber, so Lars Jäger, das ist nicht zwingend. Die Idee von Slow Food bezieht sich auch auf die Linsensuppe.
Die Beschäftigung mit dem Essen besitze in Deutschland etwas elitäres, stellt Jäger fest. Slow Food steht aber nicht für die Gourmetecke. Die „arme Küche“ in Italien zeige, wie aus einfachen Zutaten richtig gute Sachen gekocht werden können. Und wenn die Zutaten regional und ordentlich produziert werden, dann ist die Qualität gesichert.

Wie muss ich mich ernähren?
Die regionale Auswahl der Produkte bedeutet auch für Lars Jäger keinen Verzicht. Es ist eine Umstellung der Ernährungsgewohnheiten, ein langsamer Wandel des Bewusstseins. Der Kinderkochclub von Slow Food setzt dabei auf die frühe Geschmacksbildung.
Kinder werden heute geschmacklich mit so genannten Kinderlebensmitteln auf Fremdaromen und „süß“ konditioniert, klagt Jäger. Wie die Geschmackstage oder die Plattform Ernährung und Bewegung setzt auch Slow Food auf die kindliche Erlebniswelt. In der Eisenbahnhalle konnten sie Kräuter und Gewürze mahlen und schmecken.
Slow Food setzt dabei auf das Mittel der „positiven Beispiele“. Es gehe nicht darum, auf schlechte Erzeuger und Händler aufmerksam zu machen. Slow Food will undogmatisch auf die guten Beispiele aufmerksam machen. Für Berlin ist ein Genussführer in Arbeit. Dort kommen nur die Restaurants und Lebensmittelhändler hinein, die bestimmte Kriterien erfüllen. Der „Empfehlungsführer“ hat sein Vorbild im italienischen Osteria-Führer und ignoriert schlichtweg, was nicht gut ist. Auf diesem Wege unternimmt Slow Food viele kleine Schritte, die Welt zu bewegen.

Agrarpolitik
Mir mehr als 80.000 Mitgliedern ist Slow Food International eine große Bewegung. Die Convivien vernetzen sich und versuchen auch, Einfluss auf die Politik zu nehmen. Turgut Altug hatte es am frühen Morgen gesagt: Die Agrarpolitik müsse weg von der Überschusswirtschaft und vom subventionierten Export, der in anderen Ländern die Märkte zerstört. Auch Lars Jäger will die Agrarpolitik in eine andere Richtung lenken. Derzeit fördere die Agrarpolitik die intensive Landbewirtschaftung und vergesse dabei den Menschen.

Lesestoff:
www.modelldorf-hirschfelde.de
www.slowfood-berlin.de
www.geschmackstage.de

Im Vorfeld der Geschmackstage hat Herd-und-Hof.de den Besuch beim Schul- Umweltzentrum Mitte in Berlin per Video festgehalten.

Roland Krieg

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