Gegen zweierlei Fleisch

Ernährung

Was drauf ist, muss drin sein

Grasende Kühe auf der Milchpackung sind vielen Milchtrinkern ein Gräuel. Oftmals stehen die Kühe ganzjährig im Stall. Kritiker der Stallhaltung fordern das wirklichkeitsgetreue Abbild eines Boxenlaufstalls oder einer Anbindehaltung, damit die Kunden gar nicht erst auf die Idee kommen, getäuscht zu sein, und die Milch genießen können, die ihrem Produktionsprozess entspricht. Anderes gilt als Einschränkung der Wahlfreiheit.

Im Jahr 2009 wurde medial der „Analog-Käse“ breit getrampelt. „Im Kühlregal liegt Käse, der gar keiner ist“, meckerte die Zeitschrift „test“ im Mai 2009. Und weiter: Im Lebensmittelangebot finden Verbracuherschützer immer wieder Produkte, die nicht sind, was sie auf den ersten Blick zu sein scheinen.“ Kunden sind ahnungslos, kaufen Analog-Käse, ohne es zu wissen.

Bis 2007 haben zahllose Kunden „Feta-Käse“ gekauft, der weder von Schaf oder Ziege noch aus Griechenland stammte. Bis eine Verordnung Klarheit schuf.

Die Welt ist für den Sekundenbruchteil der Warenauswahl im Supermarkt zu kompliziert geworden, als dass Kunden immer genau wissen, was sie da kaufen. Die Beispiele zeigen, dass erst das Ordnungsrecht für Klarheiten sorgt, wo vorher keine wissentliche Unklarheit herrschte. Das Wort „Sojamilch“ geht den meisten Verbrauchern noch heute sorglos über die Lippen. Sie finden sie allerdings nicht mehr im Kühlregal. Denn Die EU-Verordnung 1898/87 hat Milch und Milcherzeugnisse bei ihrer Vermarktung unter Schutz gestellt. Im Lebensmittelbereich gilt als Milch nur noch das Blutfiltrat aus der Milchdrüse von Rind, Schaf und Ziege, Esel oder Stute. Ja, auch beim Schwein; aber bei der Sau kommt zu wenig für eine Vermarktung zusammen. Die „vegetarische Milch“ aus der Sojabohne wird als Soja“drink“ vermarktet.

Die nächste Katgorie

Was ist das? Flach und unregelmäßig, goldgelb paniert bruzzelt es in der Pfanne und wird oft mit Kartoffelsalat serviert. Meist wird es zu Mittag oder am Abend gegessen und enthält im Wesentlichen Fett und Eiweiß in leicht faseriger Textur. Wer auf die Idee kommt, es handelt sich dabei um ein Schnitzel, hat das Lebensmittel noch gar nicht ansatzweise beschrieben. Stammt es vom Schwein oder ist es aus Tofu geformt? Der schnelle Blick auf die Verpackung zeigt: Es ist ein „veganes Schnitzel“. Bei der Currywurst sogar mit „Grillstreifen“ versehen.

In der Fleischindustrie mittlerweile ein Kalauer, der für ein Lebensmittel steht, dass durch ein möglichst genaues Imitat sein Original substituieren will [1]. In der Woche zwischen den Jahren hat die Tagespresse gekalauert, weil Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt die Begriffe vegan, vegetarisch und Fleisch eindeutig definieren lassen will. Doch beim Lachen und Schmunzeln muss man immer auf den Letzten blicken.

„Aus Sicht des Vebu [Vegetarierbund Deutschland e.V.; roRo] muss die Kennzeichnung von Lebensmitteln allen Konsumenten einfache, informative und selbstbestimmte Konsumentscheidung ermöglichen“, schreiben Till Strecker vom Vebu und Politikwissenschaftler Jan Felix Domke und bekennender Vebu-Unterstützer. Sie fordern eine „deutliche Kennzeichnung der vegetarischen Eigenschaften des Lebensmittels“, sind aber in einem Artikel in der „Fleischwirtschaft“ im September 2016 der Auffassung, dass alleine das Veggi-Label und die Andersartigkeit des vegetarischen Produktes ausreichend aufzeichnen würden. Damit die Kunden nicht „vom Fleische fallen“, soll der Fleischbegriff erhalten bleiben: Die Ernährungsgewohnheiten würden beibehalten und technische oder neue Begrifflichkeiten würden den Zugriff auf den lukrativen Markt mindern.

Darin liegt die Hauptursache für den Namensstreit: Wurst- und Fleischalternativen haben 2015 eine Umsatzsteigerung von 122 Prozent erfahren, Sojadrinks und Sojajoghurts um 15 und 43 Prozent und vegetarische Teilfertiggerichte (ohne Naturkosthandel) um 30 Prozent.

Raus aus dem eigenen Mustopf

Beim Analog-Käse, der ebenfalls durch einen Austausch tierischer durch pflanzlicher Proteine gekennzeichnet ist, meckerte die Industrie zurück: Es sei doch klar, dass bei den niedrigen Preisen kein „echter Käse“ verwendet werden könne. Jetzt meckern die Vegetarier zurück: Es sei doch klar, dass bei vegetarischer Wurst kein echtes Fleisch vorhanden sei. Doch was beim ersten Fall außerhalb der Industrie kaum jemand wusste, weiß im zweiten Fall die Mehrheit von 96 Prozent Nicht-Vegetariern eben auch nicht zwingend. „Der Prenzlauer Berg ist nicht Deutschland“, wie Christian Schmidt sein Vorsorgeprinzip am Freitag formulierte. Zur Vorstellung des Grünbuchs Landwirtschaft nahm er sich ausführlich Zeit, seinen Vorstoß noch einmal zu erklären.

Schließlich ist Wurst nicht gleich Wurst – außer für Vegetarier. Das Deutsche Lebensmittelbuch unterscheidet nach traditionellen Verfahren Roh-, Koch- und Brühwürste. Rohwürste werden durch einen natürlichen Fermentationsprozess haltbar gemacht. Kochwürste werden aus vorerhitztem Fleisch erzeugt. Die Brühwurst aus zerkleinertem Fleisch wird nach dem Abfüllen in den Natur- oder Kunstdarm in heißem Wasser haltbar gemacht und bleibt so schnittfest.

Schmidt will nicht vorschreiben, was die Hersteller auf ihre Verpackung schreiben müssen. Er hat in Brüssel vorgesprochen und wirbt für einen verbindlichen Bezeichnungsschutz für Fleisch und Wurst, wie er bei Milch und Käse bereits gegeben ist.

Lesestoff:

[1] Hier hilft der Blick in die Antike. Schon die Griechen wussten mit Theseus´ Schiff ein  kaum auflösbares Paradoxon zu beschreiben. Theseus hat im Zeitlauf alle Planken seines älter werdenden Schiffes originalgetreu ausgetauscht. Besitzt das neue Schiff am Schluss die gleiche Identität wie das alte? Würde aus den alten ausgetauschten Planken parallel ein „neues Schiff“ gebaut, existiert dann Theseus´ Schiff zweimal? So ist die Frage nicht nur philosophischer Natur, ob Fleisch seine Identität durch den Austausch seiner tierischen durch fremde pflanzliche Proteine verliert. Auf molekularer Ebene ist sie zwingend zu bejahen, denn tierische Zellen unterscheiden sich deutlich von pflanzlichen Zellen: So besitzen sie beispielsweise weder eine Zellwand noch Chlorophyll. Das Imitat wird das Original nie erreichen.

Roland Krieg

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