Gemeinsam gegen Lebensmitteltäuschung

Ernährung

Welche Aktionen der Pferdefleischskandal hervorgebracht hat?

Haben im Mittelalter die Bäcker zu kleine Brote gebacken, wurden sie in hölzernen Körben am Ende eines Drehkrans zur öffentlichen Bestrafung in den Löschteich oder Stadtfluss getaucht. Mit Gips wurde früher Mehl gestreckt und das Reinheitsgebot für Bier kann auch als Notverordnung gesehen werden, weil vor 499 Jahren die Menschen wegen des Geschmacks auch schon mal Frösche in den Braukessel stopften.

Pferdefleisch in der Lasagne ist also nichts Neues. Dennoch kann die Zeitrechnung der Lebensmittelsicherheit in die Zeit vor und nach dem Pferdefleischskandal im Jahr 2012 eingeteilt werden. Womit die Urheber nicht rechneten: Die Politik hat den Unwillen der Verbraucher ernst genommen und führt seit Jahren unter dem Begriff „Food Fraud“ Aktionen und Gesetzentwürfe durch, die den Betrügern das Handwerk legen sollen. Wohl wissend, dass gegen die kriminelle Energie eines willentlichen Betruges weder Kennzeichnung noch umfangreiche Kontrollen gewachsen sind. Doch die 7. Food Safety Konferenz in Berlin zeigte diese Woche, dass es künftig schwerer ist, Lebensmittel zu verfälschen. Schwarze Schafe aber wird es immer geben.

Vielfalt der Täuschungen

Dr. Andrea Niemann-Haberhausen, Sicherheitsexpertin für Lebensmittel aus Herne, gibt zu, dass nur „selber gärtnern“ die absolute Sicherheit bietet. Doch in der arbeitsteiligen Gesellschaft werden immer die anderen Lebensmittel für die einen produzieren und verarbeiten. In dieser Kette gibt es mannigfaltige Möglichkeiten, Lebensmittel und Verbraucher in die Bredouille zu bringen. Die Experten unterscheiden zwischen unwillentlichen und vorsätzlichen Täuschungen.

Unwillentlich kann beispielsweise das Trocknen von Getreide über offenem Feuer sein. Prof. Dr. Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR), sieht im Ausland noch diese Traditionen. Doch tragen sie polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe (PAK) als ungewollte Kontamination in das Getreide ein. Verpackung und Transport sind weitere Fehlerquellen, die oft nur schwer nachzuweisen sind.

Demgegenüber gibt es vorsätzlichen Täuschungen zur Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils (Food Fraud wie beim Pferdefleisch) und den neuen Begriff Produktschutz gegen Bioterrorismus. Vor allem aus den USA werden wegen letzterem Verschärfungen für den Import von Lebensmitteln erwartet. Das kann aber auch „etwas Kleines“ sein, wenn beispielsweise ein verärgerter Mitarbeiter dem Unternehmen eines „auswischen“ will. Der International Food Standard (IFS) hat in seinen neuesten Richtlinien bereits ein eigenes Kapitel aufgenommen und Zertifizierer halten Seminare für Lebensmittelunternehmer ab.

Den Tätern auf der Spur

Olivenöl, Fisch und Bio-Lebensmittel laufen am meisten Gefahr, gefälscht zu werden. Nach einem Bericht der EU ist dort das meiste Geld durch Panscherei und Umetikettierung zu holen, berichtete Bernhard Kühnle, Abteilungsleiter Lebensmittelsicherheit und Tiergesundheit im Bundeslandwirtschaftsministerium. Dieses Geschäft hat mittlerweile Ausmaße der organisierten Kriminalität angenommen und wird entsprechend bekämpft. Zuletzt haben Lebensmittelüberwachung und Europol in der Aktion „OPSON III“ in 33 Ländern 1.200 Tonnen Lebensmittel und 430.000 Liter gefälschter Getränke sicher gestellt [1].

Die neuen Partner müssen sich erst aufeinander einspielen. Vieles ist Neuland – nicht nur der Rechtsrahmen. Die Staatsanwaltschaft bevorzugt, die Täter in geschlossenen Ermittlungen herausfinden. Die Lebensmittelüberwachung hat dann keinen Zugang mehr zu den Unterlagen hat. Hat sie zuerst Kenntnis, möchte sie diese im Zuge des vorbeugenden Verbraucherschutzes veröffentlichen, was dann die Ermittler als Warnung an die Fälscher missverstehen. Staatsanwaltschaft und Polizei sind länderübergreifende Ermittlungen gewohnt. Die Lebensmittelüberwachung kommt mit ihren kleinteiligen Strukturen da kaum noch mit.

Schon 2011 hatte die damalige Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner von „Schwerpunktstaatsanwaltschaften“ gesprochen, die bei bundesländerübergreifenden Lebensmittelketten gezielt ermitteln können [2]. Aktuell wird in Oldenburg eine eingerichtet.

Die EU hat 2012 ein Food Fraud Network etabliert, dessen deutscher Kontaktpunkt beim Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in Braunschweig ist. DaS BVL hält Kontakt nach Brüssel und zu den Lebensmittelüberwachungen der Bundesländer. Parallel zum Schnellwarnsystem für Lebens- und Futtermittel RASFF soll eines für Lebensmittelbetrug aufgebaut werden.

Das BVL hat zusammen mit der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin die zurückliegenden Fälle von Lebensmittelbetrug analysiert und geprüft, ob sie hätten verhindert werden können. Das BVL kam der Forderung der Verbraucherschutzministerkonferenz aus dem Jahr 2013 nach, für solche Fälle ein Monitoring, eine Datenbank sowie eine anonyme Meldestelle einzurichten. Die Vergleiche haben nach Kühnle gezeigt, dass die Zusammenhänge alles andere als trivial sind und nur wenige Muster ergeben. So gab es beim Pferdefleischskandal die Vermutung, dass durch den Wegfall vieler Pferdefuhrwerke in Rumänien vermehrt Pferde geschlachtet wurden und das Fleisch in der Lebensmittelkette untergebracht würde. BVL und die Hochschule aber fanden heraus, das die Schlachtzahlen in diesem Zeitraum in Spanien und anderen Ländern viel höher lagen. Eine einfache Parameteranalyse birgt also die Gefahr, Korrelationen und Kausalitäten zu verwechseln und könnte Fahnder auf die falsche Fährte schicken.

In diesem Jahr wird es ein im Bundeslandwirtschaftsministerium noch ein Expertengespräch geben und ein „Sachverständigenrat für Lebensmittelbetrug“ gegründet, verriet Kühnle.

Wegen des Pferdefleisches hat es in innerhalb der EU zwei Schwerpunktkontrollen in den Jahren 2013 und 2014 gegeben. Aufwändige DNA-Analysen haben selbst im letzten Jahr trotz vorangegangener Medienöffentlichkeit einige wenige Fälle aufgedeckt. In diesem Jahr will die EU ebenfalls eine Schwerpunktuntersuchung in allen Mitgliedsstaaten durchführen. Der genaue Zeitpunkt und der Fahndungsgegenstand bleiben natürlich geheim, sagte Kühnle.

Betrug mit Ansage

Das Thema hat ganz Europa sensibilisiert und zeigt in der Praxis Wirkung. Fruchtfliegen haben in Italien und Spanien die Olivenölernte um 30 bis 50 Prozent zurückgehen lassen. Deshalb ist der Preis für das beliebte Speiseöl bereits angestiegen. Panschereien würden sich lohnen. So sollen gleich mehrere Lkw mit Olivenöl auf der Fähre „Norman Atlantic“ auf dem Weg von Griechenland nach Italien gewesen sein. Das berichteten schon Medien am ersten Tag, nachdem die Fähre im Dezember 2014 Feuer fing.

Die Tankwagen müssen den Brand nicht ausgelöst, könnten ihn aber besonders angeheizt haben. Indizien, die spanische, italienische Behörden und das BVL ernst nehmen. Die Experten haben bereits erste Informationen ausgetauscht. Olivenöl steht in diesem Jahr auf der Prüfliste ganz oben.

Lebensmittel-Integrität

Prof. Hensel gab einen Ausblick auf die künftige Lebensmittelkontrolle. Volumenbetrug wie kleine Brote oder „einfache Einmischungen“ wie Gips im Mehl werden seltener. Mit Zunahme regionaler Spezialitäten und deren höherer Wertstellung werden ausgetauschte Zutaten, Vorschriftsversprechen wie Halal oder falsche Herkunftsangaben in den Fokus rücken. Schon heute gibt es das so genannte Fingerprinting mit Stabilisotopen [3]. Damit kann ein spezifisches Muster stabiler Isotopen wie Wasserstoff oder Kohlenstoff die Herkunft eines Lebensmittels bis auf das Feld genau zurückverfolgt werden. Referenzmuster in einer Datenbank vorausgesetzt.

Entsprechend werden sich auch die Testmethoden weiter entwickeln müssen. Vor 100 Jahren gab es für jede Krankheit und für jeden Schaderreger eine spezifische Prüfmethode. Heute schon sind Tests in der Lage, gleichzeitig viele Parameter abzufragen. Das müsse sich, so Hensel künftig mit Hilfe europäischer Referenzlabore weiter entwickeln.

Lesestoff:

[1] Die erste OPSON-Aktion fand zum Jahreswechsel 2011/2012 statt

[2] Aigner ergreift die Initiative

[3] Stabilisotopen im Prüflabor

Schutz vor Lebensmitteltäuschung ist auhc bei kleinen Unternehmen wichtig und möglich. Die britische Food and Drink Federation (FDF) hat dazu einen fei zugänglichen Food Authenticity Guide herausgebracht: www.fdf.org.uk -> Publications -> The Industry

Roland Krieg

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