Gesunde Ernährung: „Nein, Deine Suppe ess´ ich nicht!“

Ernährung

Baustein Reduktionsstrategie ist wirksam

Am Tisch hat immer jemand etwas zu meckern. Der eine pult die Kapern aus den Königsberger Klopsen, die andere schneidet dem Brot die Knusperkante ab und Gäste können sich spontan für eine Unverträglichkeit entscheiden, entdecken sie etwas, was ihnen nicht schmeckt.

In einem sind sich alle jedoch einig: Die Zivilisationsküche hat zu viel Salz, zu viel Zucker und zu viel Fett in die Fertiggerichte gepackt. Doch schon bei der Lösung sitzen wieder verschiedene Suppen-Kaspars am Tisch. So auch am Mittwoch, als Bundesernährungsministerin Julia Klöckner die aktuellen Ergebnisse der Nationalen Reduktions- und Innovationsstrategie (NRI) vorgestellt hat. Die wissenschaftliche Grundlage trägt das Max Rubner-Institut (MRI) in Karlsruhe zusammen [1].

Nicht alles gelingt

Salz, Zucker, Fett und Kalorien sind keine Gifte. Doch hohe Dosen dieses Quartetts sorgen für Übergewicht und Adipositas und sind vor allem im Zusammenhang mit mangelnder Bewegung Ursache von Folgekrankheiten falscher Ernährung wie Herz-Kreis-Lauf-Probleme und Diabetes. Der Blick auf die NRI im vergangenen Jahr zeigte Achtungserfolge, die aber gerade bei Lebensmitteln für Kinder noch ungenügend sind. Vor einem Jahr stellte Klöckner fest: „Es geht in die richtige Richtung.“

Ähnliches hat sie auch diesen Mittwoch mit Blick auf die Erfolge sagen müssen: „Gleichzeitig sind einige der Zahlen noch nicht zufriedenstellend. Hier müssen die Hersteller nachlegen.“

Im Fokus des aktuellen Monitoringberichtes standen Energie- und Nährstoffgehalte von verpacktem Brot und Kleingebäck, verpackten Wurstwaren und weiteren Fleischerzeugnissen, Riegeln, Quetschprodukten (also pürierten Lebensmitteln, die direkt aus einem Kunststoffbeutel gesaugt werden können) und Kinderfertigmahlzeiten. MRI-Präsident Dr. Pablo Steinberg ist zufrieden, weil immer mehr unterschiedliche Produkte in das Monitoring aufgenommen werden und aktuell rund 5.000 Produkte umfasst. „Denn entscheidend für eine gesunde Ernährung ist nicht der Verzehr einzelner Lebensmittel, sondern das Ernährungsmuster – also das, was wir insgesamt an Lebensmitteln im Alltag zu uns nehmen“, erklärte Steinberg.

Zentrale Ergebnisse

Verpacktes Brot und Kleingebäck wiesen durchschnittlich vier Prozent weniger Salz gegenüber der Basiserhebung aus dem Jahr 2016 auf. Bei Toastbrot wurde der Salzgehalt um 8,3 und bei Weizen- und Dinkelbrötchen um sechs Prozent reduziert: Bei Müsliriegeln gab es ebenfalls eine deutliche Reduktion von Zucker. Bei Nuss-/Kern-Riegel sank der Zuckergehalt um durchschnittlich 15,8 Prozent Zucker, bei Müsli-Riegeln mit Schokolade um 10,9 und bei Fruchtschnitten um 5,9 Prozent.

Bei Wurst- und Fleischwaren wurden wegen der großen Produktpalette erst einmal nur die verkaufsstarken Produkte untersucht. Die Reduzierungen sind nach Analyse des MRI weniger deutlich als bei den anderen Produkten ausgefallen.

Kinderfertigmahlzeiten sind unauffällig und entsprechen den gesetzlichen Vorgaben der Diätverordnung. Diese wurden zusammen mit Quetschprodukten und Produkten in Kinderoptik dieses Jahr schwerpunktmäßig untersucht. Quetschprodukte sind pürierte Lebensmittel in Kunststoffbeuteln, die über eine Saugtülle in den Mund gedrückt werden. Die Spannbreite der Zuckergehalte ist außerordentlich groß und reicht von 6,5 bis 16,7 Gramm Zucker je 100 Gramm Produkt. Bei den Produkten in Kinderoptik außerhalb der Quetschprodukte weisen überwiegend geringere Energie- und Nährstoffgehalte als vergleichbare Produkte auf oder sind maximal im gleichen Bereich.

Die Folgeerhebung 2020 zeigt die Fortschreibung des Trends im Markt zu geringeren Gehalten an Zucker, Fett, Salz und Energie. Gleichwohl sind weiterhin Produkte mit hohen Gehalten am Markt. Das kann nach Interpretation des MRI ein Hinweis sein, dass die Hersteller das Gesamtsortiment um Produkte mit niedrigeren Gehalten erweitert haben.

Suppen-Kaspare foodwatch und Künast

Für die Organisation foodwatch ist es einfach: „Die Lebensmittelindustrie trägt eine Mitverantwortung an der globalen Adipositas-Epidemie. Julia Klöckner muss die Branche mit verbindlichen Maßnahmen in die Pflicht nehmen anstatt nur höflich um ein paar  Gramm weniger Zucker in Fertigprodukten zu bitten.“ Die am gleichen Tag geäußerte Kritik bezieht sich unter anderem auf das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats für Agrarpolitik, Ernährung und gesundheitlichen Verbraucherschutzes (WBAE). Der aber sagte in seinem Gutachten „Politik für eine nachhaltigere Ernährung“ im Jahr 2020 aber auch: „Die Frage, was eine nachhaltigere Ernährung ausmacht, ist schwieriger zu beantworten, als in der Öffentlichkeit vielfach vermutet wird.“ Das Gutachten [2] empfiehlt gleichwohl die Ernährungsumgebung für eine nachhaltigere Ernährung zu gestalten. Dazu zählen Portionsgrößen, Werbeausgaben für ungesunde Lebensmittel reduzieren und eine transparente Kennzeichnung für die gesunde Produktwahl.

Der Lebensmittelverband Deutschland zeigt sich mit dem Monitoringbericht zufrieden, der die Anstrengungen der Hersteller bestätige, die Verantwortung für eine gesunde Ernährung durch Innovation Rechnung zu tragen. Für Renate Künast, die als ehemalige Landwirtschaftsministerin das Thema Ernährung und Verbraucherschutz auf die Berliner Politikbühne gebracht hat, bezeichnet die Geschwindigkeit der Fortschritte als  „Schneckentempo“: „Fakt ist, mit diesen Trippelschritten werden wie die Fehlernährung in Deutschland auf keinen Fall in den Griff bekommen.“

Baustein Werbung und Aufklärung

Die NRI ist ein Baustein. Einem zweiten widmete sich der Verbraucherzentrale Bundesverband: Der Werbung. Auf der Basis aktueller Verbraucherumfragen kommt der vzbv zu dem Ergebnis, dass Werbeaussagen über weniger Süße im Produkt, die Kaufbereitschaft erhöhen. „Süße-Werbebotschaften“ bei Kinderprodukten verringere die allgemeine Skepsis bei Konsumenten. Besonders problematisch sind Botschaften, die auf eine angebliche Natürlichkeit verweisen wie „Süße nur aus Früchten“ oder „nur fruchteigener Zucker“: Nur 4,7 Prozent der Verbraucher bezeichnen Haushaltszucker als „gesund“, während die natürlich klingende „Traubenfruchtsüße“ von 35,3 Prozent der Befragten als gesund eingeschätzt wird. Tatsächlich sind beide Zuckerarten ähnlich problematisch. „Die süßen Versprechen der Lebensmittelwirtschaft führen Verbraucher oft auf die falsche Fährte“, erklärte vzbv-Vorstand Klaus Müller.

Zudem gibt es seit zehn Jahren das Portal lebensmittelklarheit.de, über das Verbraucher Fragen stellen und Werbeaussagen überprüfen können [3]. Aktuell sind dort 1.423 Produkte gelistet, von denen 897 Produkte in der Rubrik „getäuscht“ gelistet sind. Bei 460 Produkten haben die Hersteller nach vorliegenden Verbraucherbeschwerden die Produkte verändert.

Baustein Nutri-Score

Hinter dem Nutri-Score verbirgt sich ein wissenschaftlicher Algorithmus der britischen Food Standard Agency, der aus dem fünfstufigen Farbmodell mehr als eine Lebensmittelampel macht. Mehrere EU-Länder setzen das Modell schon um. Auch Deutschland. Klöckner erinnerte an diesen zusätzlichen Anreiz für die Hersteller, Salz, Fett, Zucker und Kalorien für eine günstige Bewertung zu reduzieren.

Die Öko-Branche ist mit dem Nutri-Score unzufrieden. "Der Nutri-Score kann Verbraucher in die Irre führen“, sagte Hans Kaufmann vom Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) am Donnerstag. Der BNN startete damit eine Kampagne im Naturkostfachhandel in der unter anderem über den Score-Unterschied zwischen konventionellem und Bio-Fruchtjoghurt informiert wird.

Hintergrund ist, das Bio-Erzeuger im Naturkostfachhandel den Nutri-Score kaum verwenden, weil sie Bio-Produkte diskriminiert sehen. Im Bio-Supermarkt hingegen wird die erweiterte Nährwertkennzeichnung verwendet. Nutzt ein Hersteller sie, muss er innerhalb von zwei Jahren für alle seine Produkte nutzen. Für die Branche ist es ein Problem, dass wertgebende Inhaltsstoffe wie Kerne und Saaten, ungesättigte Fettsäuren Ballaststoffgehalte, Vitamine, Mineralstoffe und sekundäre Pflanzenstoffe nicht bewertet werden. Außerdem werden die „eigenständigen Qualitätsmerkmale“ der Branche wie Gentechnikfreiheit, der Verzicht auf synthetische Pestizide und Mineraldünger nicht honoriert.

Letzteres war auch nie Bestandteil der jahrzehntelangen Diskussion um eine Nährstoffkennzeichnung. Und die „Benachteiligung der wertgebenden Inhaltsstoffe ist auch kleine Sondernummer der Öko-Branche. Auch konventionelle Produkte werden mit der oben aufgeführten Liste an Zutaten aufgepeppt. Doch: Für Jurek Voelkel von den gleichnamigen Fruchtsäften stellt der Nutri-Score „eine geradezu absurden Benachteiligung für wertvolle Naturprodukte dar.“ Jochen Walz von Zwergenwiese ist einer der ersten, die den Nutri-Score nutzen. Dieser „ist uns einfach für die Transparenz wichtig, gerade bei den Kinderprodukten, damit Eltern richtig entscheiden können. Wir sehen ihn in seiner aktuellen Form aber durchaus kritisch.“

Das Kampagnenbeispiel Fruchtjoghurt zeichnet sich aus Sicht der Bio-Branche wie folgt ab: „Ein konventioneller aromatisierter und mit Zuckeraustauschstoffen gesüßter Erdbeerjoghurt schneidet also besser ab als ein Bio-Fruchtjoghurt, dessen Geschmack aus echten Früchten stammt, die aber von Natur aus eine bestimmte Menge Fruchtzucker enthalten.“

Die Sprecherin des MRI sagt dazu: „Da ist richtig, da der Nutri-Score den Nährwert und die Nährstoffzusammensetzung bewertet - und nicht, wie das Produktionsverfahren ist oder ob Zusatzstoffe verwendet wurden. Über die ernährungsphysiologische Wertigkeit des Produktes sagt der Nutri-Score nichts aus. Das sind andere Aspekte, die der Nutri-Score nicht adressieren kann. Der konventionelle Joghurt enthalt weniger Kalorien und weniger Zucker - und erhält dadurch in der Summe weniger Negativpunkte für diese Komponenten. Diese Aussagen trifft der Nutri-Score, keine weitere. Eine solche Einstufung ermöglicht auch die verpflichtende Nährwerttabelle auf der Rückseite. Der Unterschied von dieser zum Nutri-Score ist, dass diese auf bestimmten Inhaltsstoffen beruhende Einstufung nun schneller sichtbar und erkennbar wird für die Verbraucherinnen und Verbraucher.“

Wenn Hersteller ihre Produkte diskriminiert sehen, können sie im Binnenmarkt der EU und nach der Lebensmittelinformationsverordnung § 35 juristisch dagegen vorgehen. Da liegt ein Missverständnis vor. Denn der ökologische Fußabdruck oder die Gentechnikfreiheit haben ihre eigenen Siegel und sind im Nutri-Score nicht vorgesehen [4]. Der ist für eine schnelle Orientierung eines gesunden Produktes aufgrund seines Nährwertes geschaffen. Über eine Anhebung der Positivbewertung von Ballaststoffen wird im MRI schon nachgedacht.

Ernährungsbildung

Wie viele Suppen-Kaspare am Tisch sitzen ist egal. Dorothea Schmidt vom BNN fokussiert das Thema wie folgt: Ganz entscheidend ist doch praxisnahe Ernährungsbildung auf so vielen Ebenen, vom Kindergarten bis zur Erwachsenenbildung.

Lesestoff:

[1] Demuth I et al.: Produktmonitoring 2020 Ergebnisbericht. Max Rubner-Institut, Karlsruhe, 2021, doi: 10.25826/20210413-112556

[2] Politik für eine nachhaltigere Ernährung: https://www.bmel.de/DE/Ministerium/Organisation/Beiraete/_Texte/AgrVeroeffentlichungen.html

[3] www.lebensmittelklarheit.de

[4] Jetzt kommt der Eco-Score: https://herd-und-hof.de/handel-/jetzt-kommt-der-eco-score.html

Roland Krieg

Erratum: 23.04.: Die Herkunft des Nutri-Score Algorithmus wurde auf die britsche Food Standards Agency korrigiert.

Download: Die komplexen Ursachen von Übergewicht und Adipositas im MRI-Schaubild.

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Die komplexen Ursachen von Übergewicht und Adipositas im MRI-Schaubild

20150304200705ursachenfueradipositas.pdf (551,6 KiB)

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