Gesundes Essen will gelernt sein
Ernährung
Ernährung und Bewegung im Kleinkinderalter
Jetzt ist es komplett. Nach der Ernährung in der Schwangerschaft und Ernährung des Säuglings haben Wissenschaftler am Dienstag in Berlin die Empfehlungen für Kleinkinder im Alter zwischen einem und drei Jahren vorgestellt. Das ist zeitlich die Schnittstelle, wo der Säugling den Übergang zur Teilnahme am Familienessen vollzieht. Und daher auch der komplexen Situation Familienvorbilder, Arbeitsalltag, Kultur und soziale Familienbindungen unterliegt. „Essen lernen wir in der Gemeinschaft“, unterstreicht Prof. Ines Heindl von der Universität Flensburg. Essen ist ein „Totalphänomen“, das auf die Kinder einstürzt.
In Form
„Bundesweite Standards sind keine
Selbstverständlichkeit“, sagte Dr. Robert Kloos, Staatssekretär im
Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. Die Erarbeitung
war ein anspruchsvoller Prozess, der auf wissenschaftlicher Basis fußt. Jetzt
müssen die Empfehlungen leicht zugänglich aufbereitet werden, damit auch die
sozial benachteiligten Familien darauf zurückgreifen können. Dazu gibt es
Elternflyer, den Sonderdruck „Kinderheilkunde“ [1], Folienvorträge für
Multiplikatoren und Pressearbeit.
Der Nationale Aktionsplan „In Form“ bildet den Rahmen
für die Arbeit, der auch international eingebettet ist. Das Problem ist global
und wurde von der Weltgesundheitsorganisation schon vor zehn Jahren
thematisiert. In Deutschland sind nach Dr. Susanna Wiegand von der Berliner
Charité 15 Prozent der Kinder übergewichtig. Das sind 1,9 Millionen Kinder, die
auch im späteren Alter ihren Beinen mehr Pfunde als natürlich zu tragen
zumuten. 6,3 Prozent gelten als schwer übergewichtig, adipös, was etwa 800.000
Kinder umfasst. Die Folgen ernährungsbedingter Erkrankungen kosten jährlich
rund 70 Milliarden Euro, weswegen die Prävention nicht nur aus Sicht der Kinder
wichtig ist. Aufklärung geht aber auch an die Eltern, denn 80 Prozent der
übergewichtigen Kinder werden von ihren Eltern als „Normalgewichtig“
eingestuft.
Schmaler Grat zwischen dick und dünn
Mittlerweile gibt es viele Studien, die das
Essverhalten der Kinder überprüft haben. Zwar werde die Reihenfolge Obst,
Gemüse, Kartoffeln und Getreide vor Milch, Eier, Fisch und Fleisch und vor Öl,
Margarine und Butter eingehalten, aber gemessen an den Empfehlungen der
Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) ist die Aufnahme von pflanzlichen
Lebensmitteln noch zu niedrig und die von Fleisch und Eiern zu umfangreich. Deutlich
zu hoch ist mit dem Faktor acht der Verzehr von Süßigkeiten, fasst Prof.
Mathilde Kersting vom Forschungsinstitut für Kinderernährung die Studien
zusammen. Bei den Mineralstoffen und Vitaminen sind Folat und Eisen im Defizit.
Beide sind wichtig für die gesundheitliche Entwicklung.
Der Grad zwischen dick und dünn ist quantifizierbar.
Und er ist schmal. Die Präposition zu Übergewicht manifestiert sich im Alter um
das dritte Lebensjahr. Ein Kilo Fettgewebe entspricht dem Speichervolumen von
7.000 kcal. Das kommt durch tägliche kleine Mengenüberschreitungen zustande.
Ein tägliches „Zuviel“ von 46 bis 72 kcal entscheidet über die nächsten Jahre,
erläutert Dr. Wiegand. Das entspricht gerade einmal zwei Scheiben Knäckebrot.
Auch wenn eine genetische Disposition für Übergewicht
besteht, so lässt sich einiges über die Umwelt beeinflussen. Wo viele
elektronische Medien im Haushalt vorhanden sind, stehen ungesunde Lebensmittel
häufiger im Kühlschrank. Andererseits helfen Ernährungsregeln, die einige
Familien aufstellen, und natürlich Sport und Bewegung. In Berlin gibt es nach
Prof. Wiegand die positive statistische Korrelation zwischen Übergewicht im
Einschulungsalter und einem eigenen Fernseher im Kinderzimmer.
Was wird empfohlen?
„Essen lernen“ ist der erste wichtige Punkt auf der Präventionsliste. In der Gemeinschaft sollten drei Haupt- und zwei Zwischenmahlzeiten ohne Snacks für Zwischendurch angeboten werden. Kleine Portionen, die nicht zu einem Essenszwang führen, helfen den Kindern einen selbstregulatorischen Zugang zu ausgewogener Ernährung. Das bedeutet auch: Vielfalt anbieten.
Viel Obst und Gemüse und nur mäßig Fleisch und Eier sollten auf dem Speiseplan stehen. Vor allem sind für eine ausgewogene Ernährung keine speziellen Kinderprodukte notwendig. Wasser sollte das Kind unbeschränkt trinken dürfen und ist besser als gesüßte Limonaden und Obstsäfte. 820 ml sollten Kleinkinder am Tag zu sich nehmen. Wer seine Kinder vegetarisch ernährt, sollte auf eine zusätzliche Eisenzufuhr achten. Von einer veganen Ernährung raten die Experten ab.
Ein großes Thema sind Nahrungsmittelunverträglichkeiten. Hier liegt das Votum eindeutig auf einem Nachweis und keinem Ausschluss von Lebensmitteln aus Verdachtsgründen. Zudem muss zwischen Unverträglichkeit und einer Intoleranz unterschieden werden. Die Experten warnen vor ungeeigneten Methoden, die wie IgG, IgG4, Bioresonanz oder Haaranalysen angeboten werden. Konsultieren Sie den Arzt!
Und nicht zuletzt ist die Bewegung ein wichtiger Punkt für die Entwicklung des Kindes. Komplexe Bewegungsabläufe entwickeln die Motorik und Bewegung an der frischen Luft fördern die Gesundheit. Zu viel Aufenthalt im Buggy, Hochstuhl oder vor elektronischen Medien sollte vermieden werden.
Dann erfüllt sich der Satz, den Dr. Wiegand prägte: „Prävention ist allgemeine Entwicklungsförderung!“
Lesestoff:
[1] „Ernährung und Bewegung im Kleinkinderalter“, Sonderdruck der Monatszeitschrift Kinderheilkunde, Dezember 2013 www.MonatsschriftKinderheilkunde.de
Roland Krieg; Fotos: roRo