Gesundheitsland zwischen Reha und Ökolandbau

Ernährung

MeLa-Kongress über gesunde Lebensmittel

Der mittlerweile zum vierten Mal vor Beginn der MeLa stattfindende Kongress von Bauernverband und Landwirtschaftsministerium in Mecklenburg-Vorpommern (MV) traf auch gestern in Güstrow wieder die Aktualität der Verbraucherbefindlichkeiten. Politik, Marketing und Ernährungswissenschaftler setzten das Motto des nördlichen Küstenlandes „Gesundheitsland Nummer 1“ auf den Prüfstand: „Gesunde Land(wirt)schaft, gesunde Nahrung, gesunde Menschen“.

Alle Gesundheit geht vom Felde aus
So wie Cato einst die Zukunft Karthagos herbei beschwor, so wird Schwerins Agrarminister Dr. Till Backhaus nicht müde, MV als künftiges Gesundheitsland Nummer 1 zu preisen. Selbst zwischen Havel und Spree ist das Motto nicht mehr unbekannt. In der letzten Woche appellierte er damit an die Ernährungswissenschaft, Qualitätssysteme aufzustellen. In der eher bäuerlichen Umgebung des MeLa-Kongresses steht das „saftige Steak von den Salzwiesen“ als Gesundheitssymbol für die Landwirtschaft, gesunde Produkte zu produzieren.
Als einziges Bundesland stellt die Landwirtschaft in MV mit 34,5 Prozent den größten Anteil am handwerklichen Gewerbeumsatz. In den ersten Raps bei Sternbergsechs Monaten 2007 waren es mit 1,78 Milliarden Euro 15,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Umfangreiche Investitionen vor allem im Milchsektor und im Fleischmarkt haben manchen verarbeitenden Betrieb gerettet und angesiedelt. In den vergangenen 15 Jahren hat das Land Investitionen in Höhe von 2,7 Milliarden Euro mit 620 Millionen Euro unterstützt.
Der Ökolandbau präsentiert sich derzeit mit 720 Betrieben und 120.000 Hektar Fläche. Mit 8,9 Prozent ist der Flächenanteil rund doppelt so hoch wie der Bundesdurchschnitt. Innerhalb der wachsenden Nachfrage, wollen die Verbraucher immer mehr verarbeitete Bioprodukte. Unbestritten genüge der Ökolandbau den höchsten Ansprüchen an Umwelt, Natur und Gesundheit, weswegen hier auch die konventionellen Betriebe punkten können. MV bereitet gerade ein regionales Bio-Siegel vor.
So könne die Politik Rahmenbedingungen für Marktchancen der Betriebe stellen. MV hat nach Ansicht des Ministers keine Chancen auf dem Massenmarkt und muss alles daran setzen, die Kaufentscheidung des Konsumenten über Qualität für sich zu gewinnen. „Die Schlampereien“, so Dr. Backhaus mit Blick auf die aktuellen Gammelfleischskandale, „kommen aus dem Süden.“ Das Bundesland kann mit der Blauen Lupine, der „Sojabohne des Nordens“, oder trendigen Molkereiprodukten aus Altentreptow glänzen. Die Landwirtschaft trete in Vorleistung, das Ziel „Gesundheitsland Nummer 1“ gleich zu Beginn der Wertschöpfungskette zu erfüllen: Gesunde Produkte aus einer gesunden Natur aus einem lebendigen Land.

Alle Gesundheit geht vom Handel aus
Was Mecklenburg-Vorpommern vorhat, ist allerdings kein Selbstläufer. Dr. Christian Schmidt, Geschäftsführer der Marketinggesellschaft der niedersächsischen Land- und Ernährungswirtschaft verweist anhand einer Studie auf einige Besonderheiten für MV. Das Motto „MV tut gut“ ist ein klassisches Alleinstellungsmerkmal, das andere nicht kopieren können. Den Nordlichtern ist die Schönheit ihres Bundeslandes wichtiger als der Begriff Heimat. Das Bild des norddeutschen Küstenlandes kommt bei den Menschen an und entspricht ihrem Naturell. Die regionale Verbundenheit zwischen Warnow und Oder ist hoch, weswegen Konsumenten am liebsten Einheimisches kaufen. Und das ist per se bereits „gesünderes“ Einkaufen. Allein, es mangelt an Produktpräsenz, klagen sie. Möglicherweise, so Dr. Schmidt, „sind die Produkte nicht ausreichend ausgelobt“.

Herd-und-Hof.de wollte von Dr. Schmidt wissen, ob der aktuelle „Gammelfleischskandal“ nicht besonders die Lücke von Markenfleischprogrammen in der Gastronomie offenbart.
In der Tat könne das Marketing die vielen kleinen Imbissbuden nicht erreichen, antwortete Dr. Schmidt. Niedersachsen bietet Workshops und Informationsveranstaltungen an, die aber dann auch nicht von den schwarzen Schafen besucht werden. Es sei aber eine Frage der Zeit, denn in Niedersachsen schließen sich Dönerfirmen bereits zusammen, um Verbrauchervertrauen wieder zurück zu gewinnen.
[Der Präsident des deutschen Bauernverbandes, Gerd Sonnleitner rief gestern die Döner-Wirtschaft auf „Selbst-Verpflichtungen einzugehen und die Ware neutral prüfen zu lassen“.]

Das Modell MV ist aber nicht auf andere Länder übertragbar. So hat die Ernährungswirtschaft in Niedersachsen ein anderes Selbstverständnis. Die Märkte für Milch, Kartoffeln oder Getreide bleiben ohne gemeinsame Bindung. Konzerne wie Nordmilch oder Nordzucker haben als „global player“ andere strategische Ausrichtungen als der Mittelstand.
Wer seine Produkte vermarkten möchte, der braucht eine klare Zieldefinition. „Es gibt einen Wettbewerb der Wahrnehmungen“ und die Ökobranche hat ihre Produkte am besten mit Emotionen besetzt.

Landwirtschaftliche Betriebe und Verarbeiter schließen sich dem Q+S-System immer mehr an. Auf der anderen Seite sehen Kritiker darin kaum mehr als die Einhaltung von rechtlichen Mindeststandards. Verbraucher, so Herd-und-Hof.de zu Dr. Schmidt, kennen das System kaum.
Sicherungssysteme seien auch schwer zu kommunizieren, räumt Dr. Schmidt ein. Q+S für Verbraucher zu kommunizieren sei sogar ein Fehler. Viel eher und besser sind Marken an Konsumenten zu vermitteln.

Das fange jedoch in der Landwirtschaft an, denn der Handel wolle und könne nur fertige Konzepte in seinen Regalen listen: „Qualität kann nicht erprobt, sondern muss geplant und kommuniziert werden.“ So setze sich die Qualitätsdefinition aus der Summe von Forderungen von verschiedenen Verbänden und Verbrauchern zusammen. Für das Ziel „Gesundheitsland Nummer 1“ zählten dazu Nährwert, Gesundheitswert, Ökologie und Lebensmittelsicherheit, so Dr. Schmidt. Dazu zählt eine MaistankeLandwirtschaft, die flächendeckend ist, die Landschaft pflegt, Naturräume erhält und die Vitalität des ländlichen Raums präsentiert. Und das sind Elemente der so genannten zweiten Säule der Agrarförderung, zumal steigende Erzeugerpreise die Bedeutung der ersten Säule, der direkten Einkommensübertragung mindern werde. „Gesundheitsland“ muss über die zweite Säule vermarktet werden.
Nur kann das der Mittelstand nicht mehr alleine machen. Sowohl die kommenden Health Claims als auch die Regeln des Lebensmittel-, Bedarfsmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFGB) müssen in ihrer Umsetzung „erarbeitet“ werden. Bezeichnungen, was noch als kalorienarm erlaubt ist, müssen wissenschaftlich geprüft und technisch gemessen werden. Nur mit Hilfe von Netzwerken und Clustern können landwirtschaftliche Betriebe und Handwerk das Ziel „Gesundheitsland“ mit Leben erfüllen. Und ist daher ganz besonders auf die wirtschaftliche Hilfe der Politik angewiesen.

Alle Gesundheit geht vom Verbraucher aus
Der Salatstreit zwischen Lebensmittelchemiker Udo Pollmer und dem Verband der Oecotrophologen (VDOE) zu Jahresbeginn zeigte, wie wenig die beiden Seiten harmonisieren. Udo Pollmer hatte mit der „Salatlüge“ im TV-Magazin Stern den Kopfsalat als „Papiertaschentuch in einem Glas Wasser“ verglichen und ihm nachgesagt, dass er aufgrund des hohen Wassergehaltes Vitamine und Nährstoffe nur vortäuschen würde. In einer Gegenrede im WDR konnte der VDOE belegen, dass Ernährungsfachleute den Wassergehalt nie verleugnet haben und nicht fünf Portionen Kopfsalat, sondern Obst und Gemüse fordern. Kopfsalat sei „ein guter Magenfüller, ohne gleich die armen Dicken mit weiteren Kalorien zu belasten.“
Dr. Piehl, Hauptgeschäftsführer des Bauernverbandes MV hatte Udo Pollmer allerdings auch als Gesprächsteilnehmer eingeladen, um einmal „gegen den Strich zu bürsten“. Pollmer enttäuschte nicht. Hinter dem vorwärtsgerichteten Glanz der Gesundheit sieht er tiefschwarz.
Um welche Gesundheit gehe es? Gehe es um die Gesundung in den Kliniken MVs? Beinhalte die Diskussion um „gesunde Lebensmittel“ nicht drängend den unausgesprochenen Verdacht, dass die ursprünglichen Lebensmittel aus der Landwirtschaft nicht ausreichten, um gesund zu sein?
Der Verbraucher kann aber auch zwischen die Stühle geraten. Was eine Studie belegt, hebt eine andere wieder auf. Kalorientabellen sind unpraktisch beim Einkauf und: Wir trinken abends kein Bier, um primär unseren Mineralstoffbedarf zu decken. Dem „Selbstgespräch unter Wissenden“ können Konsumenten kaum noch folgen.
So versteht es der medienerfahrene Udo Pollmer mit einfachen Botschaften, das Publikum anzusprechen. Südfrüchte können kein Nahrungstrend für Mitteleuropäer werden, da sie hier nicht wachsen. Wer verdient an Nahrungsergänzungsmitteln und Vitaminpillen, die Verbraucher zu sich nehmen, weil ihnen eingeredet würde, das normale Essen reiche nicht aus? Der Handel macht es diesen Argumentationen aber auch zu leicht: Jetzt gibt es mit Sauerstoff angereichteres Wasser noch zusätzlich mit Vitaminen versetzt!
So ist der Appell Udo Pollmers nicht nur eingängig: Die Ernährung soll bekömmlich sein und satt machen. Das ist auch ein Appell an die Verbraucher, sich selbst ein Bild von den Bildern aus Politik und Wissenschaft zu machen. Und welches „Gesundheitsland“ sie wollen, denn...

MV: Binnen und Buten
Das „Gesundheitsland“ kommt nicht von allein. Bauernpräsident Rainer Tietböhl sieht nach Pollmers Vortrag durchaus Fallstricke, die es zu vermeiden gilt.
Sonnenaufgang Usedom„Gesundheit“ hat innerhalb des Reha-Bereiches einen anderen Stellenwert als für gesunde Konsumenten und Lilly Kühnle, Vorsitzende des Vereins „Landurlaub M-V“, öffnete noch eine weitere Dimension: Touristen haben von „Gesundheit“ in MV mit Wandern, Reiten und Radfahren noch ganz andere Ansprüche.
Innerhalb des Netzes „Gesundheitsland“ darf man die Landwirtschaft auch frei sprechen: Energiedichte Schokoriegel stammen nicht aus der landwirtschaftlichen Produktion. Was der Handel anbietet, muss der Konsument nicht verzehren. Es gibt viele „Gesundheitsländer“ in MV.

Roland Krieg; Fotos: roRo: Raps bei Sternberg, Sonnenaufgang auf Usedom, Maistanke

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