Getäuscht, geändert, erlaubt

Ernährung

++14:15++ Verbraucherzentralen starten Klarheits-Portal

Diesen Mittwoch stellt die Koalition vor allem in den Dienst für Verbraucher. Am Morgen hat sich das Kabinett auf eine Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) geeinigt, und gleich danach fiel der Startschuss für das Online-Portal Lebensmittelklarheit.de. Beides hat Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner zusammen mit der hessischen Verbraucherzentrale und dem Bundesverband am Mittag ausführlich vorgestellt.

VIG

Beim Verbraucherinformationsgesetz wurde die Kontaktmöglichkeit auf E-Mail und Telefon ausgeweitet und der Marktbereich umfasst jetzt auch elektronische Hausgeräte und Handwerkszeug, so Aigner in Berlin. Sie bezeichnete das „neue“ VIG als „Bürgergesetz“, über das Konsumenten „einfach, zügig und klar“ Auskunft erhalten können. Hier gehe das Verbraucherrecht auch vor dem Recht auf Geschäftsgeheimnisse, „Hemmschwellen für einen Antrag auf Information“ wurden abgebaut. Es müssen künftig alle Messergebnisse er Unternehmen, die mit Grenzwerten und Höchstwerten zu tun haben, veröffentlicht werden.
Strittig war die Kostenfrage. Bislang kostete eine einfache Anfrage zwischen fünf und 25 Euro, für Auskünfte mit erheblichem Mehraufwand waren bis zu 250 Euro fällig. Nur Rechtsauskünfte waren kostenfrei. Die Novelle sieht vor, dass bundesweit alle Anfragen, die einen Verwaltungsaufwand bis zu 250 und Rechtsanfragen bis zu einem Aufwand von 1.000 Euro kostenfrei beantwortet. Liegen die Kosten darüber, bekommt der Antragssteller vorab einen Kostenvoranschlag.
Wie sich das VIG in der Praxis entwickelt, wird auch nach der Novellierung abzuwarten sein. Eine Zwischenbilanz im Jahr 2010 hat gezeigt, dass nach zwei Jahren lediglich 480 Anfragen gestellt wurden: Meist von Verbänden.
Die Ernährungsindustrie steht dem neuen VIG skeptisch gegenüber. Der Auskunftsumfang verlasse einen angemessenen Ausgleich zwischen Informationsinteresse der Verbraucher und Schutzinteresse der Unternehmer, klagt der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL).
Gerd Billen, Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv)
hingegen begrüßt die Novelle, das sie künftig einen einfachen und klaren Rechtsrahmen für die Auskunft vorgebe. Billen unterstützt die Idee er FDP, die im Rahmen der Auskunftspflicht auch auf Finanzprodukte zu erweitern.

Lebensmittelklarheit

Für März zunächst angekündet, mehrfach aus technischen Problemen verschoben, wurde heute Morgen endlich das Portal für Wahrheit und Klarheit im Lebensmittelbereich freigeschaltet. Für Aigner ist das ein wichtiger Schritt hin zur Transparenz im Lebensmittelmarkt, der nun nach Billen in ein „soziales Netz“ eigebunden wurde.
Verbraucher stehen im Geschäft vor rund 200.000 Produkten und jedes Jahr kommen etwa 7.000 neue Produkte hinzu. Verbraucher kaufen gerne ein, doch stehen sie nach Billen vor Produkten, die sie nicht verstehen und die Angst machten. Wenn man sieht, wo überall Vitamine hinzugegeben werden, könnte man meinen, Deutschland leide unter Vitaminmangel, so Billen. Das neue Portal erreiche eine neue Qualität und gehe neue schritte, wo der „König Kunde“ sich bemerkbar machen könne. Die federführende Verbraucherzentrale Hessen sorge für einen verantwortungsvollen Umgang mit den Anfragen. Alle Anfragen laufen über den Tisch der VZ Hessen. Zwar können hier auch Unternehmen als Kunde gegen Täuschungen bei Mitbewerbern vorgehen, doch ein Pranger, wie die Lebensmittelindustrie befürchtet sei ausgeschlossen. Auch Aigner will einen seriösen Dialog. Sie sieht in dem Portal eine Umsetzung von Verbraucherwünschen. Ein Drittel klage über nicht ausreichende und lückenhafte Kennzeichnung, ein Drittel ist mit der Kennzeichnungspflicht zufrieden und einem Drittel sind zu viele Angaben auf der Verpackung.

Lernfunktion

Eine aktuelle Umfrage des Landwirtschaftsministeriums zeigt, dass Verbraucher überwiegend nach Preis und Haltbarkeitsdatum einkaufen. So hat das neue Portal auch einen umfangreichen Informationsteil, wo nach Hartmut König von der Verbraucherzentrale Hessen, Verbraucher sich über Regelungen und Bedeutungen von Nährwertkennzeichen informieren können. Der „spannendste und interessanteste“ Teil sei aber der produktbezogene Teil. Hier werden die Waren den Kategorien „Getäuscht“, „Geändert“ und „Erlaubt“ zugeteilt.
In der Vorlaufphase konnten Verbraucher das Beschwerdeformular bereits ausfüllen. Rund 200 Anfragen hae es gegeben, die Hälfte ist nicht portalrelevant gewesen. 27 Anfragen wurden mit Stellungnahme der Unternehmen und der Verbraucherzentrale aufgearbeitet, 22 schon online gestellt.
Die beiden häufigsten Kategorien betrafen das Spannungsfeld Fruchtabbildungen und Produktinhalt sowie das Argument „Ohne Zusatzstoffe“ und Beigabe von beispielsweise Hefeextrakten.

Getäuscht: Iglo Country Chicken

Beim Produkt Iglo Country Chicken fühlen Verbraucher sich getäuscht, weil es nach Verpackungsangaben aus 100 Prozent Hähnchenbrust besteht, die Inhaltsangabe aber nur 76 Prozent Hähnchenbrust ausweist. Die Verbraucherzentrale unterstützt den Vorwurf der Täuschung, weil es auch kein gewachsenes Bruststück, sondern Formfleisch enthält. Iglo GmbH aus Hamburg merkte an, dass das Produkt in der Vergangenheit nie beanstandet wurde. Die Firma teilte aber auch mit, dass das Produkt „in Kürze“ aus dem Sortiment genommen wird.

Geändert: Önko klassisch

Über Onko „Der klassische Harmonische“ beschwerten sich Verbraucher, weil der Kaffee nur zu 88 Prozent aus Röstkaffee bestand. Der Rest stammt aus Maltodextrin und Karamell. Das stehe zwar auch auf der Verpackung drauf, doch nur auf der schmalen Seite, die im Regal verborgen wird. Die „klassische“ Aufmachung sorge bei Konsumenten für Verwechslung mit echtem reinen Röstkaffee. Die Verbraucherzentrale teilte die Kundenbeschwerde und Kraft Foods hat mitgeteilt, dass die Rezeptur geändert wurde. Es werden 100 Prozent Röstkaffee verwendet.

Erlaubt: Kalbswiener mit Schweinefleisch

Verbraucher beschweren sich, dass Kalbswiener nur 15 Prozent Kalbsfleisch enthält. Der Rest ist Schweinefleisch. Hier antwortet die Verbraucherzentrale dem Kunden, dass die Herstellung den Leitsätzen für Fleisch und Fleischerzeugnissen entspricht und damit erlaubt ist.

Rechtlich einwandfrei

Die Seite wird vom Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz zwei Jahr lang mit insgesamt 750.000 Euro gefördert. Betreiber ist aber die Verbraucherzentrale. Ob das Portal wirklich rechtssicher ist, da gehen die Meinungen auseinander. Vor allem wegen der öffentlichen Förderung. Ilse Aigner hat das Portal aber zusammen mit dem Justizministerium geprüft. Es sei rechtssicher. Auch Gerd Billen ist sich sicher. Die Mehrheit der Unternehmen sehe das Portal positiv und auch als Chance ihr Tun nach außen zu veröffentlichen. Klagedrohungen habe es in der jüngsten Vergangenheit öfter gegeben. Sollte jemand klagen wollen, dann würden letztlich Richter die einzelnen Portalteile unterstreichen.

Lesestoff:

www.lebensmittelklarheit.de

Roland Krieg (Text und Foto)

Zurück