Glucose: Wenn der Treibstoff giftig wird

Ernährung

Grundlagen der Zucker-Schädigung

Glucose ist Treibstoff für den Körper. Doch wenn es zu viel wird, entgleist der Stoffwechsel und bildet am Ende Diabetes aus. Ist Zucker zu einem Gift geworden, weil Jugendliche bereits an Altersdiabetes leiden? Wieso verfängt die Losung „Esst mehr Obst und Gemüse“ nicht und macht Deutschland neben Südosteuropa mit über 12 Prozent der Bevölkerung  zu einem Hotspot der Diabetiker in Europa und der Welt? „Warum ist Zucker schlecht“, fragt Prof. Dr. Andreas Pfeiffer von der Berliner Charité vor dem Diabetes Kongress, der nächste Woche in Berlin startet. „Es ist eine sehr hormonelle Frage“, gab er am Donnerstag gleich die Antwort. Ja – weder Glucose noch Fructose sind toxisch. Aber die Metaboliten nach einem Glucoseexzess sind es. Und damit rücken die Zucker doch in den Fokus der ernährungsbedingten Erkrankungen und sind nicht frei zu sprechen, wie Politik und Industrie es gerne hätten.

Glucose

Die negative Glucosewirkung verursacht das Hormon „glukoseinduziertes insulinotropes Peptid“ (GIP). Das wird im oberen Dünndarm freigesetzt. GIP erst bewirkt die Entstehung einer Fettleber und Insulinresistenz. Bei Mäusen macht Zucker in hohen Dosen ohne den GIP-Rezeptor nicht dick. Auf der anderen Seite kann Zucker so umgebaut werden, dass er nicht auf GIP wirkt. Durch Austausch der glykosidischen 1,2-Verbindung zwischen Glucose und Fructose durch eine 1,6-Verbindung  können die zuckerspaltenden Enzyme nicht mehr angreifen und zerlegen ihn erst später im unteren Bereich des Dünndarms. Da wirkt er nicht mehr negativ. Bei Menschen steigt der Blutzuckerspiegel sehr viel langsamer an und es wird weniger Insulin für die Verstoffwechselung benötigt.

Darüber hinaus setzt GIP im Gehirn das appetitanregende Hormon Neuropeptid Y frei, macht träge und vermindert dadurch die körperliche Aktivität. GIP wird auch epigenetisch über die Umwelt generationenübergreifend vererbt.

Fructose

Fructose wirkt ganz anders und setzt keine Darmhormone frei. Dieser Zucker gelangt zu 90 Prozent direkt in die Leber und wird dort durch Ketohexokinase umgesetzt. Dadurch werden viele Energiespeichermoleküle Adenosintriphosphat (ATP) verbraucht. Unterhalb eines Schwellenwertes signalisiert der Körper einen metabolischen Stress, der die Fettsynthese in der Leber erhöht, um Reserven aufzubauen. Eine kurzfristige Reduktion von Fructose konnte bei Kindern die Fettleber mindern. Fructose erhöht zudem die Synthese von Harnsäure, die zu Gicht führen kann und vermehrt in den Fokus für Bluthochdruck und Insulinresistenz gerät. Menschen und große Affen haben das Enzym für den Harnsäureabbau, Uricase, abgeschaltet. Der Genetiker Richard Johnson fand das auf der Suche nach einem „Fett-Gen“ heraus. Der Vorteil der Abschaltung liegt in der effektiveren Fettspeicherung in Zeiten des Nahrungsmangels.

Wird beispielsweise Zucker in Form von Isomaltulose verwendet, gelangt der im Dünndarm viel weiter nach hinten, weil er langsamer vom Körper aufgenommen wird. Dann verschwinden die meisten negativen Effekte wie Fettleber und Insulinsensitivität.

Wissen und Leitplanken

Die Wissenschaft schreitet voran. Aufklärung bleibt Aufgabe Nummer eins, betont Prof. Dr. Dirk Müller-Wieland, Präsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG). Das reicht aber für eine Strategie für die Volksgesundheit nicht aus. Eine Abgabe in Korrelation zur Energiedichte in Lebensmittel sollte die Menschen begleiten: „20 Cent mehr für eine Pizza, schließe niemanden von der Lebenslust aus!“ Ballaststoffreiches Obst und Gemüse von der Mehrwertsteuer zu befreien und energiedichte Fertignahrungsmittel mit einem hohen Steuersatz zu belegen entspreche dem „Nudging“ für den Stups in Richtung gesunder Ernährung.

Es gehe der DDG weder um eine „Verdammung“ einzelner Rohstoffe noch um spezielle Marktsegmente der Ernährungsindustrie. Glucose und Fructose, nach Dr. Pfeiffer auch Isoglucose aus Mais, sind nicht toxisch. Doch zu viel fördert negative Effekte. Und solange 100 Gramm Müsli mit 24 Gramm Zucker auf dem Markt sind, gebe es Handlungsbedarf, ergänzt Thomas Isenberg, gesundheitlicher Sprecher der SPD im Berliner Abgeordnetenhaus. Isenberg kann sich auf Nachfrage von Herd-und-Hof.de weitere Restriktionen für Werbung auf landeseigenen Flächen vorstellen. Sexistische und Tabak-Werbung sind dort bereits verbannt worden.

Lesestoff:

Pfeiffer A: High Glycemic Index Metabolic Damage – a Pivotal Role of GIP and GLP-1; in Trends in Endocrinology & Metabolism May 2018, Vol 29, No 5  https://doi.org/10.1016/J.tem.2018.03.003

Interview Scientific American mit Richard Johnson: The Hunt for the Fat Gen, 2015: https://www.scientificamerican.com/podcast/episode/the-hunt-for-the-fat-gene/

Roland Krieg

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