Glyphosat-Studie, die nicht polarisieren will
Ernährung
Eine Glyphosat-Studie, die wenig besagt
Heute und Morgen sitzt das Ständige Komitee für Pflanzen, Nahrungs- und Futtermittel (SC PAFF) der EU zusammen und diskutiert über die Wiederzulassung des Wirkstoffes Glyphosat bis zum 30. Juni 2031. Ursprünglich lief die Zulassung Ende 2015 aus, musste aber um sechs Monate verlängert werden, weil sich die EU nicht einigen konnte. Der Wirkstoff steht einmal als „wahrscheinlich krebserregend“ bei der Internationalen Krebsforschungsagentur der WHO (IARC) und als nicht krebserregend beim Bundesamt für Risikobewertung (BfR) auf der Liste. Die Verlängerung gab Kritikern Gelegenheit, weitere Warnungen auszusprechen.
Glyphosat im Urin
So kam das Umweltinstitut München vor kurzem mit der Messung von Glyphosat im Bier heraus [1]. Am Freitag veröffentlichte die Bürgerinitiative „Landwende“ eine Untersuchung über Glyphosat im Urin.
Insgesamt wurden 11.000 Röhrchen für Urinproben verteilt, sagte Johannes Heimrath, Sprecher der Bürgerinitiative. Die Initiative, die sich 2001 in Mecklenburg-Vorpommern nach einem Unfall mit Pflanzenschutzmitteln gegründet hat, nimmt das Thema Glyphosat in die eigene Hand. Sie seien keine „Schnellschießer“ oder „Panikmacher“, sie stellten als Bürger Fragen. 2011 der Urinproben wurden zurückgesendet, 2009 waren probentauglich. Defensiv leitet Heimrath die Untersuchungsergebnisse ein. „Wir wollen keine Fronten aufbauen. Die gibt es schon.“ Und: „Wer hat nun Recht? Niemand weiß es.“ Oder: „Wir wollen nur hinweisen.“
Hinweisen auf das, was die Politik nicht geliefert hat, hinweisen auf Versäumnisse. Der Lückenschluss ist gelungen, wie Prof. Dr. Monika Krüger, ehemalige Leiterin des Instituts für Bakteriologie und Mykologie der Universität Leipzig ausführt. Die Urinproben wurden auf Glyphosat-Funde hin untersucht und zeigten Rückstände bei 75 Prozent der Proben oberhalb von fünf Mikrogramm Glyphosat je Liter Trinkwasser. Nur 0,4 Prozent der Proben waren rückstandsfrei.
Die Ergebnisse hinter den Untersuchungen
Die Studie hat die Glyphosatfunde detailreich aufgeschlüsselt: Nach Alter, nach Ernährungsformen oder Postleitzahlen. Aber auch nicht mehr. Die Studie hat nachgewiesen, dass Glyphosat im Urin ist. Nach Studienleiterin Dr. Krüger wurden weltweit die meisten Urinproben dazu gesammelt und untersucht – aber die Streitfrage, ob Glyphosat wahrscheinlich oder nicht krebserregend ist, konnte nicht beantwortet werden. Es ist keine Studie zur Kanzerogenität, schränkt die Wissenschaftlerin ein. Die Aufschlüsselung nach Postleitzahlen könnte ein Hinweis auf die Landbewirtschaftungsform mit Glyphosat sein, bei der das Pflanzenschutzmittel die mechanische Unkrautbekämpfung ersetzt. Aber auf Nachfragen ergibt sich der Postleitzahlenschlüssel eher als zufällig, „nach Einsendung der Proben“, so Krüger. Die Untersuchung spiegelt keine repräsentative Studie wider.
„Fleischessende Studienteilnehmer, so genannte Mischköstler, weisen höhere Belastungen als Vegetarier und Veganer auf“, heißt ein weiteres Fazit. Das aber heiße nicht, dass die Menschen Glyphosat über Fleisch zu sich nehmen, korrigiert Dr. Krüger den Satz gegenüber Herd-und-Hof.de. Die Belastung komme über die konventionelle Beilage und sei kein Beleg, dass sich Glyphosat in der Nahrungskette anreichere. Dennoch wurden Rückstände in Nutztieren gefunden, unterstrich Krüger. Am Ende kommt die Beobachtung auf die gleiche Quelle wie die Bierstudie: Der Wirkstoff kommt über Futtermittel aus dem Ausland, wo er nicht sachgerecht eingesetzt wird. In Südamerika wird er um ein Mehrfaches der Zulassung auf die Felder gesprüht, während bei einer sachgemäßen Anwendung nach derzeitiger Datenlage keine Gefahr darstellt, wie es das BfR beschreibt. Das bestätigt die Untersuchung von „Landwende“ indirekt.
Auch Dr. Krüger weiß, dass es keinen eigenen Grenzwert für Glyphosat im Trinkwasser gibt. Die Funde werden jedoch mit dem allgemeinen Wert von 0,1 Mikrogramm verglichen.
Kritiker werfen dem BfR eine Verquickung von Interessen vor, was seinen Studien die Unabhängigkeit nehme. Das für die Urinproben zuständige Untersuchungslabor gehört Studienleiterin Dr. Krüger. Sie geht offen damit um – macht es damit aber nicht besser oder schlechter wie die Kritisierten.
Zur Pressekonferenz angekündigt war auch eine Vertreterin des Umweltinstituts München, die dann aber doch fehlte. Wie danach auch die Antworten auf die dann schriftlich eingereichten Nachfragen von Herd-und-Hof.de.
Was hat die Untersuchung gebracht?
Die Untersuchung hat eine ubiquitäre Belastung mit Glyphosat aufgezeigt. Wie mittlerweile mit fast jedem Stoff, den die Menschen in die Umwelt bringen. Pünktlich zur Entscheidung in Brüssel hat die Bürgerinitiative die bestehenden Fragen erneut aufgeworfen. Außer Schweden werden möglicherweise auch die Niederlande und Frankreich mit einem „Nein“ über Glyphosat abstimmen, ergänzt Grünen-Politiker Harald Ebner. In diesem Sinne wäre ein „Nicht-Ja“ der Bundesrepublik ein Gewinn. Da die Ressortabstimmung zu Glyphosat in Deutschland offenbar an einer fehlenden Einigung zwischen Bundesumwelt- und Bundeslandwirtschaftsministerium scheitert, wäre dieser Wunsch mit einer „Enthaltung“ erfüllt.
Der Ständige Ausschuss SC PAFF braucht für seine Entscheidung eine qualifizierte Mehrheit, die in drei Fällen erreicht wird: 73,86 Prozent der Stimmen, Mehrheit der Mitgliedsstaaten oder wenn die Summe der befürwortenden Mitgliedsstaaten mindestens 62 Prozent der EU-Bevölkerung repräsentiert. Kommt es nicht zu einer qualifizierten Mehrheit, entscheidet die Kommission, die sich bereits für eine Zulassung ausgesprochen hat.
Da die Zeit zwischen Beschlussfassung und Veröffentlichung des Beschlusses zeitversetzt ist, wurde der März für die Fristverlängerung ab Juni auserkoren. Für Harald Ebner dennoch eine unnötige Eile. Sowohl die Europäische Chemikalienagentur als auch die Gemeinsame Sitzung für Pestizidrückstände (JMPR) von WHO und FAO wollen noch im Mai ihre Einschätzungen zur Krebsgefährdung von Glyphosat veröffentlichen.
Wie geht es weiter?
Mehr als eine neuerliche Verschiebung der Zulassung wird heute oder morgen kaum zu erwarten sein. Ob die ausstehenden Bewertungen Klarheit schaffen, ist offen. Die europäische Falle des Vorsorgeprinzips schnappt vergeblich zu, wenn hinter einer Zulassung industrielle Interessen stehen. Nach Vorsorgeprinzip wird ein Mittel erst zugelassen, wenn es seine Ungefährlichkeit bewiesen hat, was der wissenschaftliche Streit nicht eindeutig hat darlegen können. „Es ist Auftrag der Bundesregierung, die Bundesbehörden zu kontrollieren“, sagte Harald Ebner. Es sind, auch durch diese Untersuchung aufgezeigt, einige Fragezeichen offen, weswegen es nicht „verwegen“ ist, eine Bundesbehörde zu kritisieren, „sondern politische Pflicht.“ Ebner fordert die Einleitung eines Human-Biomonitoring. Das ist ein Werkzeug der gesundheitsbezogenen Umweltbeobachtung, mit welcher Konzentration ein Schadstoff im menschlichen Gewebe vorhanden ist. Es ist keine Bewertung, aber, so definiert es das Umweltbundesamt, es spielt bei der Beurteilung der Schadstoffbelastung eine wesentliche Rolle. Unterschieden wird das Human-Biomonitoring zwischen einem Belastungs- und Effektmonitoring. Im ersten Falle wird die Konzentration eines Stoffes einmalig oder wiederholt in Blut, Urin oder Geweben ermittelt, im zweiten Falle wird ein Effekt ermittelt, der aber eine Belastung voraussetzt. Ob dann aber wie beim Bier, der Mensch am Glyphosat oder am Ethanol erkrankt, bleibt damit noch immer offen.
Lesestoff:
[1] Woher kommt das Glyphosat im Bier?
Roland Krieg