Gutmensch Vegetarier?

Ernährung

Schweinsbraten-Liebhaber trifft Profi-Vegetarierin

Über Geschmack lässt sich herrlich streiten. Vor allem, wenn er vom Schweinsbraten oder aus der Gemüsesuppe kommt. Die Fronten sind verhärtet. Streitbare Veganer bekämpfen Bio-Tierhalter und ein Landwirt hat sein Kind aus der Schule nehmen müssen, weil es wegen einer Stallbauerweiterung der Eltern gemobbt wurde. Das sagt mehr über den Zustand der Gesellschaft, denn über einen Diskurs aus, der niemals einen Gewinner haben kann.

Talkshows finden ihr Publikum, sobald sie dieses Thema polarisieren. Ein ruhiger Vertreter der Branche ist Michael Steinbrecher, der für das nächste Nachtcafé des SWR die Frage stellt: „Fleischesser – die schlechteren Menschen?“. Auch die Gästeliste verspricht nicht nur eine gute Besetzung der Ringecken, sondern auch ein Ende, das dem Betrachter etwas Neues präsentieren konnte:

Waldemar Hartmann ist von einem deftigen Schweinerollbraten oder einer Weißwurst genauso entzückt wie von einem erstklassigen Bundesligaspiel. Für den langjährigen Sportreporter muss ein gutes Stück Fleisch kein Biosiegel tragen, er kauft gerne an der Metzgertheke im Supermarkt ein. Immer häufiger aber hat der Bayer das Gefühl, dass sich Vegetarier für Gutmenschen halten: „Ja wo sammer denn! Wer sich ernähren möchte wie die Karnickel, der kann das gerne, soll aber nicht auf die Idee kommen, mich zu missionieren.“

„Ich bin Idealist und möchte den Konsum und die Welt verändern.“ Dass Tiere für den Verzehr sterben müssen, bringt den Veganer Chris Moser so richtig auf die Barrikaden. Mit schrillen Aktionen geht der Österreicher als Radikalkünstler auf die Straße, deckt Missstände auf und will damit die Gesellschaft aufrütteln. Auch das Gefängnis scheut er nicht, wenn es um das Recht der Tiere und sein Gerechtigkeitsempfinden geht.

Was es heißt, ins Visier von Tierrechtlern zu geraten, hat Metzgereibesitzer Harald Kretschmer bitter erfahren. Mehrfach wurde sein Ladengeschäft zur Zielscheibe von Anschlägen. Der Leipziger fand Hetzbotschaften wie „Fleisch ist Mord“ und „Tötet den Fleischer“ sowie zerschlagene Schaufensterscheiben vor: „Ich hatte Angst um meine Familie und mich. Aber was sollte ich machen? Ich musste ja mein Geld verdienen.“ Vor einem Jahr schließlich gab er resigniert seine Metzgerei auf.

„In den Sechzigerjahren zählten Eisbein und Schweinshaxe noch zu den Lieblingsgerichten der Deutschen, das hat sich aber radikal gewandelt. Was früher noch Kulturgut war, finden junge Leute heute abstoßend.“ Food-Ethnologe Prof. Marin Trenk ist weltweit unterwegs, um Esskulturen zu erforschen. Dabei kennt er keine kulinarischen Tabus und überwindet auch gerne mal den eigenen inneren Schweinehund, denn Ratten-Curry, Ziegenauge, Kuheuter – alles hat er schon probiert.

Bestes Fleisch von besten Züchtern – das ist das Konzept von Edelfleischhändler Wolfgang Otto. Seine vorwiegend männliche Kundschaft hat Fleischgenuss in Perfektion als Lifestyle entdeckt und greift gerne zum Steak mit feinstem Schimmel-Flaum. Und schreckt dabei auch nicht davor zurück, für ein Kilo Exklusivfleisch 500 Euro zu bezahlen. „Bei uns kann man mit gutem Gewissen genießen, denn unsere Tiere sind glücklich bis zum Moment, in dem der Tod kommt“, so Otto, der auch die Top-Gastronomie mit Spitzenfleisch beliefert.

„Mir kommt kein Steak auf den Teller. Ich möchte, dass meine Enkelkinder in einer Welt leben können, in der man noch atmen kann“, sagt Marion Kracht. Seit 26 Jahren lebt die Schauspielerin aus ökologischen und ethischen Beweggründen vegetarisch. Auch ihre Familie konnte sie davon überzeugen. Mit dem erhobenen Zeigefinger will sie allerdings nicht durchs Leben gehen. Sie fordert auch ein Handeln seitens der Politik, damit sich durch Gesetzesänderungen langfristig ein gesellschaftliches Umdenken vollzieht.

„Wir werden sowieso schon in jeder Hinsicht reglementiert, bitte nicht auch noch beim Essen!“ Der Trendforscherin Judith Mair geht grassierender missionarische Eifer und überzogene Gängelei gehörig auf den Geist. Ganz klar zieht die Kunstdozentin ein saftiges Fleisch dem Sellerieschnitzel vor und plädiert für mehr Genuss und Ekstase in unserem oft normierten Leben. Der Trend zum fleischlosen Leben ist für sie ein Lifestyle-Hype der ökonomisch Privilegierten unserer Überflussgesellschaft.

Genuss gibt es für Sohra Behmanesh nur dann, wenn kein Tier dafür bluten musste. Da die junge Mutter dies auch nicht ihrem Kind zumuten möchte, wird ihr Sohn seit seiner Geburt vegan ernährt. Statt Würstchen, Pommes und Ketchup steht bei dem Fünfjährigen Rote-Beete-Räuchertofu-Quiche hoch im Kurs: „Vegan zu leben ist auch für ein Kind im Alltag total leicht umzusetzen. Mein Kind nimmt seine vegane Süssigkeitenbox mit in die Kita und zu Mittag bekommt er dort extra ein veganes Menü.“

Steak oder Liebe – dieser Gewissensfrage musste sich eines Tages Hannes Roß stellen. Denn als ihm seine Frau und seine Kinder eröffneten, künftig vegetarisch leben zu wollen, schieden sich am Esstisch die Geister. Biss für Biss fühlte sich der „Stern“-Journalist von seiner Familie kulinarisch entfremdet: „Ich hatte das Gefühl, alle um mich herum gehören auf einmal einer anderen Weltreligion an – ich fühlte mich wie der Katholik unter Moslems.“ Bis heute aber blieb der Burger-Fan standhaft und ließ sich nicht bekehren.

Lesestoff:

Dieses Nachtcafé sendet der SWR am Freitag, den 03.07.2015 um 22:00 Uhr aus. Die Sendung wird am 04.07.2015 um 11:15 Uhr wiederholt.

Die Evolution des Vegetarismus

roRo

Zurück