Handelszertifizierung: „Less is more“
Ernährung
Fraunhofer-Institut untersucht Wegwerfverhalten
Frische Pfirsiche im Winter? Exotische Gewürze für das Thai-Curry? In einem gut sortierten Supermarkt bleiben in punkto Lebensmittelangebot kaum noch Wünsche offen. Vorteilhafte Beleuchtung, die Frischwaren besonders appetitlich aussehen lässt, ansprechende Verpackungen und Aktionsangebote sollen die Kauflaune des Kunden dabei zusätzlich stimulieren. Doch der konsumorientierte Umgang mit Lebensmitteln hat auch negative Aspekte: Viele Produkte landen im Müll, obwohl sie noch genießbar sind. Schätzungen gehen davon aus, dass weltweit ein Drittel der produzierten Lebensmittel entsorgt wird, ohne konsumiert zu werden – vor allem in den reichen Industrieländern.
Was landet am häufigsten im Müll?
Doch warum landen eigentlich so viele Lebensmittel im Müll? Forscher der Fraunhofer-Projektgruppe für Wertstoffkreisläufe und Ressourcenstrategie IWKS in Alzenau und der Universität Gießen haben sich mittels einer Restabfallsortierung auf Spurensuche begeben und stellen die Ergebnisse auf der Grünen Woche in Berlin vor. „In einer Studie haben wir insgesamt fünf Tonnen Restmüll auf seine biogenen – also tierischen oder pflanzlichen – Anteile untersucht, um herauszufinden, welche Produkte besonders häufig entsorgt werden. Die Ergebnisse sollen als Basis dienen, um mögliche Ursachen für diese Lebensmittelverschwendung ausfindig zu machen“, erläutert Projektleiterin Frances Vaak von der Projektgruppe IWKS, die zum Fraunhofer-Institut für Silicatforschung ISC gehört. Bei einer ersten Sortierung des Restmülls entfielen 30 Gewichtsprozent auf biogenes Material – dazu zählen jedoch nicht nur Lebensmittel, sondern auch Grünschnitt. Darüber hinaus gibt es auch bei Lebensmitteln unvermeidbare Abfälle, nicht essbare Bestandteile wie Knochen oder Schalen. Im Fokus der Studie standen vermeidbare Lebensmittelabfälle – also Nahrungsmittel, die zum Zeitpunkt der Entsorgung noch verzehrfähig waren. In diese Kategorie fielen 50 Prozent des gesamten biogenen Mülls. Mit einem Anteil von 28 Gewichtsprozent wird am häufigsten Obst- und Gemüse weggeworfen, gefolgt von Backwaren mit 20 Prozent. Eine mögliche Erklärung dafür ist die relativ kurze Haltbarkeit dieser Produktgruppen. Der Anteil von Fleisch und Wurstwaren sowie Milchprodukten im biogenen Abfall macht elf beziehungsweise zehn Gewichtsprozent aus. 14 Gewichtsprozent entfallen auf zubereitete Speisen und Tellerreste. Der übrige Anteil verteilt sich auf Süßwaren, Getränke und sonstige, nicht eindeutig klassifizierbare Bestandteile.
Wer schmeißt am meisten weg?
Die Forscher machten aber noch eine weitere interessante Entdeckung: Wie sich der Müll zusammensetzt, hängt stark von der Wohn- und Lebenssituation ab. So werden etwa in Einfamilienhäusern grundsätzlich weniger Lebensmittel über den Restmüll entsorgt als beispielsweise in Mehrfamilienhäusern oder Wohnblöcken. Dies lässt auf einen bewussteren Umgang mit Nahrungsmitteln sowie ein besseres Sortierungsverhalten schließen. Und während in Wohngegenden mit überwiegend gut situiertem Publikum eher teurere Fertigprodukte im Müll landen, ist in „ärmeren“ Haushalten der Anteil an Obst oder Gemüse höher. Nicht zuletzt die Lebensform beeinflusst das Wegwerf-Verhalten: Familien entsorgen tendenziell eher Obst und Gemüse, bei Single-Haushalten ist der Anteil an Fertiggerichten höher. Quer durch alle untersuchten Haushalte fanden sich auffällig viele noch geschlossene Produkte im Restmüll. Ansatzpunkte, um den Lebensmittelanteil im Müll einzudämmen, sehen die Forscher vor allem in einer besseren Verbraucherinformation zu richtiger Lagerung von Frischprodukten und zur Bedeutung des Mindesthaltbarkeitsdatums.
Wertstoff im Biomüll
Am Fraunhofer-Stand in der Halle 5.2 zeigt sich auch ein weiteres Dilemma. In einer Biotonne passen rund 200 Kilo Biomasse rein. Die Analyse ergab, dass darin etwa 350 Gramm Phosphor schlummern. Das ist der Stoff, der in endlichen Lagern abgebaut wird und für wichtige Körperfunktionen gebraucht wird. Phosphat ist ein negativ geladenes Ion, dass in einer Wechselwirkung mit Calcium für den Knochenstoffwechsel eine wichtige Rolle spielt. Ebenfalls im Energiestoffwechsel übernimmt es eine Schlüsselposition. Die 350 Gramm Phosphor in der Biotonne würden den Tagesbedarf von 500 Erwachsenen decken.
Zertifizierungssystem für Unternehmen
Auch Hersteller können einen wesentlichen Beitrag leisten, um Lebensmittelabfälle zu minimieren. Um die komplette Herstellungs- und Wertschöpfungskette in der Nahrungsmittelproduktion zu verbessern, hat die Fraunhofer-Projektgruppe IWKS speziell für Unternehmen das Zertifizierungssystem „s:Lim - say: Less is more“ entwickelt. Dabei werden unter dem Gesichtspunkt des nachhaltigen Umgangs mit Ressourcen alle Aspekte von der Herstellung bis zur Entsorgung unter die Lupe genommen. Die Forscher prüfen unter anderem, wie sich die Produktionsprozesse und Materialströme optimieren lassen, wie der Hersteller umweltschädliche Emissionen reduzieren, den Verbrauch von Energie und Wasser senken kann und an welcher Stelle im Produktionsprozess sich unnötiger Abfall vermeiden lässt. Unternehmen, die das System implementieren, erhalten ein Zertifikat für den ressourcenschonenden Umgang.
Britta Widmann (Fraunhofer Institut) / roRo; Fotos: roRo
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