Hunger im Überfluss
Ernährung
Positive Beispiele zur Verbesserung der Welt
Gerade Japan hat in der letzten Woche gezeigt, dass neben Ernährung auch die Energiefrage ganz oben auf der Zukunftsagenda steht. Tilman Santarius, Vorstandsmitglied bei Germanwatch, sagte in der letzten Woche bei der Vorstellung des Buches „Hunger im Überfluss – Neue Strategien gegen Unterernährung und Armut“, dass jetzt das Jahrhundert der Energiefrage und das Jahrhundert der Landwirtschaft angebrochen seien. Lösungen sind lokal, kleinräumig und ökologisch.
Positive Beispiele
70 Prozent mehr Nahrung werde die Welt brauchen und die steigenden
Erträge können nur aus einer Hightech-Landwirtschaft kommen. So ist die überwiegende
Meinung von Politik und Berufsstand. Möglicherweise fehlen nur Beispiele, wie
es auch anders geht.
Zu diesem Zweck ist Hauptautorin Danielle Nierenberg vom Worldwatch
Institut durch 25 Länder gereist und hat 300 Projekte besucht, die den lokalen
Ansatz zur Überwindung von Armut und Hunger eingeschlagen haben. Das Ergebnis
ist das 280-Seiten Buch „Zur Lage der Welt 2011“. Die Bauern haben mit ihren
Ideen gezeigt, wie sie Einkommen generieren, Treibhausgasemissionen reduzieren
und die Biodiversität steigern. Daher bildet das Buch nach Nierenberg eine
Sammlung von „Geschichten über Hoffnung und Erfolg“, die Probleme anders zu
lösen als die Hightech-Landwirtschaft.
Ernteschutz
So gehen bis zu 30 Prozent der Ernte beim Transport und der
Lagerung wieder verloren. Lebensmittelverschwendung gibt es auch in den reichen
Staaten, wenn beim Sandwich die Brotrinde weggeschnitten wird, unansehnliche
Produkte gar nicht erst in den Handel kommen.
In ärmeren Ländern hingegen sind die Verluste noch viel dramatischer
– und können leicht verhindert werden. So kann ein Stoff aus der Wurzel des
Wilden Veilchenbaums (Securidaca longepedunculata) Schadinsekten von gelagertem
Getreide fernhalten. Eine kostengünstige und effektive Methode zu den kaum zu
verwendenden üblichen Konservierungsstoffen wie Propion- oder Benzoesäure.
Werden Kuhbohnen in lokal produzierten Säcken und nicht im Freien
gelagert reduzieren sich die Lagerverluste erheblich. Nierenberg berichtet,
dass die Bauern dadurch 180 US-Dollar im Jahr mehr einnehmen können – viel
angesichts eines Durchschnittseinkommens von unter zwei US-Dollar am Tag.
Landwirtschaft in der Stadt
Der kaum rückgängig zu machende Prozess der Verstädterung stellt
die Metropolen vor großen Aufgaben. Alleine in Afrika wandern jährlich 14
Millionen Menschen in die Städte. In großen Slums wie Kibera in Nairobi kämpfen
die Menschen um ausreichend Wohnraum und Versorgungsleistungen. Bei armen
städtischen Haushalten machen die Ausgaben für Lebensmittel oft bis zu 80
Prozent des Einkommens aus. So entwickeln sich eigenständige
Versorgungsmethoden, die Prof. Judi Wakhungu, Generaldirektorin des African
Center for Technology Studies in Kenia, als urbane Landwirtschaft zusammenfasst. In
Nairobi wird Erde in Säcke gefüllt, die mit Löchern versehen sind, um Gemüse
und Obst anzubauen. In Kibera ernähren mehr als 1.000 Menschen, hauptsächlich
Frauen, mit diesen Gärten ihre Familien. Gibt es noch nicht einmal Erde, dann
werden halbierte Autoreifen als transportables Pflanzgefäß genutzt. Müll stützt
und stabilisiert die Pflanzenwurzeln. Für Prof. Wakhangu ist die Politik
gefordert, solche Ansätze zu unterstützen. Meist stehen dabei Frauen im
Mittelpunkt, die für die Versorgung der Familie verantwortlich sind.
Nach Prof. Wakhungu ist die Landwirtschaft multifunktional und
beinhaltet Themen wie Energie, Gesundheit, Wasser und soziale Entwicklung. Das
Buch mit seinen vielen Beispielen sollte mit Politikern diskutiert werden.
Vernachlässigte Themen
Die Entwicklungshilfe vernachlässigt auch noch in der Gegenwart relevante
Themen. Kleinbauern werden bei der Agrartechnologie oft außen vor gelassen.
Doch genau sie brauchen ebenfalls technischen Fortschritt. Angesichts des
Klimawandels stehen die Bauern vor der Aufgabe „more crop per drop“ zu ernten,
so Danielle Nierenberg. Das Thema Bewässerung, vor allem Tröpfchenbewässerung,
wird zu wenig auf den Kleinbetrieben vorangetrieben.
Ein zweites Problem ist die „Good Governance“. Lokale
Lösungsansätze brauchen eine lokale Regierung, die diese auch umsetzen will.
Doch zu weit verbreitet ist das Bild der Politik, sich eigene Vorteile zu
verschaffen, sagte Prof. Wakhungu zu Herd-und-Hof.de. Die Strategien liegen
alle vor, doch ist deren Umsetzung „für manche zu teuer“, sagte sie weiter.
Eine Hand wäscht die andere ist noch immer weit verbreitetes gängiges Prinzip.
Zur Überwindung dieses Problems muss die Öffentlichkeit gestärkt
werden. Die vielen Nichtregierungsorganisationen müssen in den politischen
Umsetzungsprozess eingebunden werden und können auf die Wahrung der richtigen Interessen
achten. Die Politik, so Wakhungu, müsse professioneller durchgeführt werden.
Lesestoff:
Worldwatch Institute (Hrsg.): Zur Lage der Welt. Hunger im
Überfluss. Oekom Verlag ISBN 978-3-86581-241-4; 19,95 Euro
Roland Krieg