Hygienesmiley: Pranger oder Werbetitel?

Ernährung

LFGB: Es droht Flickschusterei statt ordentlicher Prozess

Der Agrar- und Ernährungsausschuss lud am Montag zu einer Anhörung zum Thema „Gesetzentwurf zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches“ (LFGB). Parallel ging es um einen Antrag von Die Linke zur öffentlichen Information bei Verstößen gegen das LFGB im Rahmen des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG). Bündnis 90/Die Grünen verlangten mehr Transparenz bei der Lebensmittelkontrolle und fordern einen „Hygiene-Smiley“.

Um was geht es?

Das sperrige Thema wurde mit acht Sachverständigen umfangreich behandelt. Hier also noch einmal die Einführung in das Thema:

Der § 40 des LFGB beschreibt die „Information der Öffentlichkeit“, wenn ein Betrieb gegen Hygieneregeln verstößt.  Der Satz reicht nicht. § 40.1 regelt im Detail, dass eine Information auch erfolgt, wenn nur ein „hinreichender Verdacht“ besteht, „dass ein Risiko für die menschliche Gesundheit“ vorhanden ist. Der Berliner Bezirk Pankow hat in diesem Bereich schon im Jahr 2010 Berühmtheit erlangt, weil Betriebe trotz Lebensmittelkontrollen immer wieder negativ auffielen. Als Maßnahme wurden „Schmuddelbilder“ ins Netz gestellt, Inhaber und Ladengeschäft öffentlich gemacht. Verbraucher  sollten auf diese Weise informiert werden, um selbst zu entscheiden, ob sie dort noch einmal Mittagessen wollen [1]. Das Thema Betriebshygiene ist seit Jahren auf konstantem und hohem Niveau, wie das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) in seinem jährlichen Bericht festhält [2]. Dennoch wurde das Pankower Beispiel als Negativliste bald als „Pranger“ bezeichnet und abgestellt. Wie Versuche aus anderen Bundesländern ebenfalls Niedersachsen hatte im Jahr 2013 eine Normenkontrollklage angestrengt. Das Bundesverfassungsgericht hat im März 2018 hat dazu das öffentliche Interesse auch bei einer fehlenden Gesundheitsgefährdung zugestanden, die Veröffentlichung aber nur zeitlich befristet zugelassen. Bis April 2019 hat die Bundesregierung Zeit, die Hausaufgabe umsetzen. Die Koalition schlägt eine Veröffentlichungsfrist von sechs Monaten vor. Mittlerweile gibt es Veröffentlichungsportale wieder in neun Bundesländern. Brandenburg, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen hatten zum Stand Dezember 2018 noch keine Einträge, Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, das Saarland und Sachsen sowie Schleswig-Holstein sind mit den Namen von Ross und Reitern bereits wieder aktiv.

Problem bleibt

Mit dem Koalitionsentwurf ist das Thema nicht vom Tisch. Die Aussagen der Experten zeigen, dass die Regierung eher eine Flickschusterei am LFGB betreiben wird, als einen ordentlichen Prozess auf die Beine zu stellen [3]. Lutz Zengerling vom Berliner Bezirk Pankow würde das Portal gerne wiederhaben. Dr. Kristian Kühn aus dem Ministerium für Landwirtschaft und Umwelt in Mecklenburg-Vorpommern verweist auf die Rechtsunsicherheit der betroffenen Behörden. Das Land hat wenigstens einen Leitfaden herausgegeben, damit die Bewertungen in allen Landkreisen einheitlich sind. Der Bund müsse das LFGB so ändern, dass die Behörden Informationen rechtssicher herausgeben. Vorbild ist Dänemark, das einen Hygiene-Smiley schon vor rund 15 Jahren eingeführt hat [4].

Die Vorsitzende Anja Tittes vom Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure (BVLK) berichtete aus einem aktuellen Gespräch mit ihren dänischen Kollegen und rief die Unterschiede hervor. Ein deutscher Kontrolleur muss rund 450 bis 800 Betriebe kontrollieren, in Dänemark sind es maximal 450. Zudem hat der dänische Berufskollege weniger Aufgaben: er muss keine Proben ziehen, während in Deutschland jährlich 370.000 Proben entnommen werden. Die Dänen sind auch nicht für Kosmetik oder Tabakprodukte zuständig. Nur für Stoffe, die mit Lebensmitteln in Berührung kommen. Der deutsche Kollege muss auch auf Wirkstoffe und Gegenstände mit möglichem Körperkontakt achten. Für die Mehraufgaben stehen derzeit nur 2.500 Kontrolleure zur Verfügung. Die haben 2017  immerhin 42 Prozent der 1,2 Millionen Betriebe in Deutschland kontrolliert. Allerdings ist der BVLK bereits froh, wenn Stellen, die altersbedingt frei werden, auch Nachfolger finden.

So geht es nicht

Ingrid Hartges will deutliche Kontrollen und scharfe Bußgelder. Die Vorsitzende des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (DEHOGA) fragt aber, wo bei 11,7 Milliarden Außer-Haus-Verpflegungen pro Jahr die großen Lebensmittelskandale blieben, die einen öffentlichen Pranger rechtfertigten? Der Verband halte Qualifizierungsmaßnahmen und Handbücher für Unternehmer und Mitarbeiter bereit. Die anglo-amerikanische Öffentlichkeitswirkung entspreche nicht der deutschen Rechtskultur. Die vorgesehene Einstiegsschwelle von 350 Euro Bußgeld für einen öffentlichen Eintrag hält sie für zu niedrig.

Für Björn Fromm vom Handelsverband Berlin-Brandenburg (HBB) komme die Veröffentlichung einer Doppelbestrafung gleich und sei vor allem viel zu undifferenziert. Gerade die Familienunternehmen haben lange Arbeitswochen, bei denen ein Fehler bei der Arbeitskleidung oder einem falschen Reiniger, auch ohne Vorsatz den Eintrag nach sich zieht, der im Internet nie vergessen wird. Fertigpackungen würden Frischwaren aus Sicherheitsgründen verdrängen.

Es bleibt aber wichtig

Die Veröffentlichungen sind für Martin Rückert allerdings nicht hoch genug einzuschätzen. „Es ist ein Grundrecht für Verbraucher“, sagte der Vertreter von foodwatch. Für ihn ist die Veröffentlichung nicht das „Hinhängen von schwarzen Schafen“, sondern wie im Fall Dänemark bei einer Öffentlichkeit für alle auch ein Werbemittel für die Betriebe mit gutem Ergebnis.

Das sieht Jutta Jaksche vom Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) genauso. Die bisherigen Konzepte Lebensmittelwarnung.de und das Lebensmittelrecht seien für das Informationsbedürfnis der Verbraucher nicht ausreichend. Sie fordert eine niedrigere Bußgeldschwelle, einen einheitlichen Bußgeldkatalog und eine Veröffentlichungsfrist von 12 Monaten.

Wo liegen die Spannungsfelder?

Für den freien Sachverständigen Dr. Kurt Rathke müssen bei der Veröffentlichung der Schutz der Unternehmer und die Würde des Einzelnen mehr Beachtung finden. Die Gerechtigkeit solle an der Verhältnismäßigkeit ausgerichtet werden. Bestraft werde nicht nur Mäusekot auf dem Herd. Offene Dübellöcher finden nach Ingrid Hartges ebenfalls Beanstandung wie die „berühmte“ Fliese mit Sprung. Da müsse differenziert werden. Außerdem werden die Bußgelder individuell verhängt. Die vom Amtsgericht verhängte Höhe orientiert sich nach dem Einkommen, dem Vorsatz, der Geständigkeit und ob es eine Wiederholung war. Nach Lutz Zengerling liegt das in Pankow verhängte Bußgeld zumeist zwischen 200 und 500 Euro. Im Bezirk gibt es eine Vielzahl an Kleinbetrieben.

Was wäre denn richtig?

Die Bundesregierung sollte für einen ordentlichen Kontrollprozess sorgen. Für Anja Tittes zählt die finanzielle und personelle Ausstattung der Kontrollaufgaben dazu. Der Kontrolleur hat einen Ermessensspielraum für die Anordnung einer Nachkontrolle, die je nach Risikobewertung des Betriebes auch mit der nächsten Routinekontrolle zusammenfallen kann. Der Mäusekot wird eher früher als später gegenüber dem Verschließen von Dübellöchern erneut kontrolliert. Vor allem sollten bundesweit einheitliche Kriterien für Sanktionen wie bei der Straßenverkehrsordnung her, wünscht sich nicht nur Björn Fromm. In Dänemark müssen die Betriebe die Kosten für eine notwendige Nachkontrolle selbst bezahlen. Das sei erfolgreich, wie die Veröffentlichung selbst. Denn, die Betriebe sorgen selbst für ein positives Zeugnis, wie Zengerling bestätigte. Die Einführung der „Schmudddelbilder“ zeigte plötzlich auch bei den Wiederholungstätern im Bereich der Betriebshygiene Wirkung. So  sinken Kontrollfrequenz und Bürokratie. Damit Sekundärveröffentlichungen im Internet aktualisiert werden, schlägt Sachverständiger Rathke einen zivilrechtlichen Rahmen vor. Nicht nur für das LFGB-Thema. Und, wie Jutta Jaksche betont: Wie in Dänemark können die Betriebe mit einer guten Bewertung diese als Werbung nutzen. Dazu sollte die Seite Lebensmittelwarnung ausgestaltet werden. Bislang sind die veröffentlichten Ergebnisse entweder leicht auf eigenen Seiten oder kaum in verschachtelten Internethierarchien zu finden. Gaststätten könnten dann einfach auf ihr Ergebnis verlinken. Das setzt einen Paradigmenwechsel voraus, was die Veröffentlichung denn eigentlich will: Strafen oder Informieren?

Vor allem aber hat das Expertengespräch gezeigt, dass die Bundesregierung wegen der Frist vom Bundesverfassungsgericht zunächst einmal nur an die Fristsetzung gebunden ist. Mehr Details für einen ordentlichen Kompromiss können in einem zweiten Schritt gefunden werden.

Lesestoff:

[1] Mangelnde Betriebshygiene: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/problemkind-betriebshygiene.html

Lebensmittelwarnung geht ans Netz: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/lebensmittelwarnung-de-alarmierung-oder-information.html

[2] Restrisiko kann kleiner werden: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/verbesserungsbedarf-bei-kantinen-im-pflegebereich.html

[3] Lebensmittelkontrolle 2030 https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/lebensmittelkontrolle-2030.html 

[4] Vorbild Dänemark: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/smileys-ersetzen-keine-kontrollen.html

Roland Krieg

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