„Ich esse, also bin ich!“

Ernährung

Frugalisten bauen den Konsum um

Für Prof. Simonetta Carbonaro, Konsumpsychologin für humanitäres Marketing, stellt das Jahr 1986 einen Wendepunkt dar. Menschen starben durch den Genuss von mit Glykol gepanschten Wein und Tschernobyl zeigte die Endlichkeit der Technologie an. Die Medien begannen sich um die die ernsthaften Gefahren des Konsums zu kümmern, so Prof. Carbonaro auf der Eröffnungsfeier zur BioFach in Nürnberg.

Prof Simonetta Carbonaro„Bio hat sein Vertrauen verspielt“
Das produktive System der Wirtschaft sei auf niedrige Inputkosten, hohe Produktivität, dem günstigsten Produktivitätsstandort und hoher Nachfrage geprägt. Den Modellen der Industrie folgt mittlerweile die Agrarkultur, bei der Rohstoffe an der Börse gehandelt werden wie Eisen. Pflanzen und Tieren würden dem angepasst. Die Rationalisierung habe mittlerweile alle Lebensbereiche erfasst, die Menschen essen zwischendurch, kaum noch in Gemeinschaft und während der Arbeit. In der „Zuvielisation“ verfalle die Küche zu einem Ort der Agonie und wenn die Verbraucher zu viel Auswahl haben, orientieren sie sich am Preis als einzigem Unterscheidungsmerkmal.
Dieser Trend hat auch die Biobranche erfasst. Skandale wie Nitrofen, Umetikettierungen und Hühner, die mit konventionellem Futter gefüttert werden, seien deutliche Zeichen. Auch die Biobranche muss sich gegen „Billigst-Bio“ aus Übersee wehren und die Betriebe, die mit dem Preis dagegen konkurrieren wollen, hätten ihre Verdienstpotenziale mittlerweile auch verspielt.

Brückenschlag zu inneren Werten
Doch zeigen neue Konsumtrends, dass die Menschen andere Werte verfolgen. Sie durchschauten dass Lebensmittelproduktion, die unsichere Rente und Arbeitsplatzabbau einen gemeinsamen Nenner haben. Die so genannten Frugalisten, die neue Bescheidenheit, will weiger konsumieren – dann aber das Beste.
Hier könne Bio den Brückenschlag zu den inneren Werten der Menschen sein, den Konsum neu zu definieren. Gefragt ist Essen mit einer individuellen Bedeutung. Vom urigen zum Original. Was zunächst als Verzicht daherkommt, sei in Wirklichkeit Erfüllung. Und wenn die Warenwelt etwas erfüllt, dann finde Konsum statt.
Als Rückschlag empfindet Prof. Carbonaro es, wenn eine Großbäckerei sowohl den Discounter als auch den Bäcker an der Ecke beliefert. Das sei eine vorgetäuschte Warenwelt. Die Frugalisten hingegen wirken direkt auf den Markt. Sie fördern kurze Wertschöpfungsketten – also eigentlich, was die Biobewegung anfangs angetrieben hat. Ausdruck der neuen „Bescheidenheitskonsumenten“ sind die eigenen kleinen Stadtgärten, Gemüsekisten und unverpackte Lebensmittel.

Roland Krieg; Foto: Nuernbergmesse

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