Innovationen beim Essen - Teil II

Ernährung

Welche Lebensmittel brauchen wir?

Das Hamburger New Foods Magazin lud am vergangenen Freitag zum 25. Mal zu seiner Tagung über „Neue Nahrung“ in die Hamburger Handelskammer. Moderator Bernd Lehmann wollte von den vortragenden Wissenschaftlern die Frage geklärt haben, welche Lebensmittel der Handel braucht. Im ersten Teil wurden die wirtschaftlichen Grundlagen beschrieben, warum für Handel und Verbraucher neue Nahrungsmittel Sinn machen.

Vielfalt der Möglichkeiten
Die Menschen werden immer älter und Gesundheit ist der Megatrend schlechthin, den die Branchenkonferenz Gesundheitswirtschaft im letzten Jahr ausfindig gemacht hat. Diese Herausforderung für die Menschen bietet auch Notwendigkeiten und Chancen des Handels, der sich aber schnell in den Zielkonflikt begibt, Produkte herstellen zu können, deren Sinn sich dem Verbraucher nicht immer spontan erschließt.
Prof. Dr. Mechthild Busch-Stockfisch von der Hochschule für angewandte Wissenschaften Hamburg hatte es aber leicht, auf dem Kongress die Zusatzernährung für Senioren vorzustellen.
Senioren haben generell weniger Appetit, leiden an Dehydration, weil das Durstempfinden nachlässt, haben ein geringeres Geschmacksempfinden, weisen Stoffwechselstörungen auf und haben eine verminderte Sehleistung, weswegen Essen durchaus farbintensiver gestaltet sein kann, um ihnen ein vollwertiges Essvergnügen zu bereiten. Mit einem Gramm Protein je kg Körpergewicht und Tag brauchen die Senioren ein Viertel mehr Eiweiß als jüngere Menschen und bei Erkrankungen sogar viermal mehr. Dem höheren Eiweißbedarf steht ein geringerer Bedarf an Energie gegenüber – es sei denn, sie sind zusätzlich noch krank; dann brauchen sie mehr Kohlenhydrate. Insgesamt brauchen Senioren eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Ernährung, weswegen die Universität Hamburg mit „CuraPlus“ ein ganzes Ernährungssystem für mangelernährte Senioren in Krankenhäusern und Altenheimen aus Suppen, Desserts, Milchsuppen und -trunks sowie Getränken zusammen gestellt hat.
Menschen mit Zöliakie zeigen eine Autoimmunreaktion gegenüber Gluten in Weizen, Roggen und Gerste und konnten bis in die 1980er Jahre glutenfreie Gerichte nur in der Apotheke oder im Reformhaus kaufen. Mittlerweile weisen auch Supermärkte diese Produkte aus und Manuel Bertagnoli beschrieb auf der Tagung, wie die Firma „DS Pizza Points“ den Betroffenen mediterranes Flair mit Pizza aus Reis- und Maismehl zurückgibt. Zu dem einen Prozent der Betroffenen in Italien und Deutschland muss die gesamte Familie die Ernährungsumstellung mitmachen, denn für glutenhaltige und -freie Gerichte darf noch nicht einmal der gleiche Kochtopf genommen werden. Mit über 70 DS Pizza Stationen in Italien braucht der Betroffene sich nicht erklären und kann unbeschwert in der „l`Oasi del senza glutine“ schmausen.

Vielfalt der Zulassungen
Technische Möglichkeiten haben das Essen mittlerweile aber auch schwieriger gemacht, denn es gibt Verordnungen für Lebens-, Nahrungsergänzungs- und Arzneimittel. Durchaus zurecht, denn man solle dem Verbraucher nicht mehr verkaufen, als auch wirklich drinsteckt. So hat der aid infodienst bereits im März den Weg beschrieben, wie Rechtsanwälte aus einem Gänseblümchen ein Nahrungsergänzungsmittel machen würden.
Hinzu kommen auch persönliche Akzeptanzen, wie Steffen Fachinger von der Mainzer Cavis microcaps GmbH aufzeigen konnte. In Alginatkapseln verpackt können hochwertige Nahrungszusätze vor der Magensäure geschützt werden und die Inhaltsstoffe erst im Darm, am Ort der Resorption, freigeben. Das kann Docosahexaenoicsäure (DHA) sein, die gegen Alzheimer und Parkinson möglicherweise vorbeugen könnten. Das können aber auch simple Vitamine sein. So sind bunte Vitaminkapseln in der Wurst bei Kindern in Mexiko und Brasilianern sehr beliebt. Auch Polen haben keine Probleme mit weißen Vitaminkapseln in der Wurst, die man sehen, aber nicht spüren und schmecken kann. In Deutschland begänne möglicherweise erst mal eine Wertediskussion.
Noch schwieriger wird es, wenn gesundheitsbezogene Aussagen gemacht werden. Dr. Gabor Somlyai forscht seit 1990 in Ungarn über Wasser mit verringertem Deuteriumgehalt. Das ist „Wasserstoff“, der in seinem Atomkern neben einem Proton auch ein Neutron aufweist, also schwerer ist und natürlicherweise zu 0,015 Prozent in der Natur vorkommt. Auf dem New Foods Kongress stellte Dr. Somlyai sein Mineralwasser mit verringertem Deuteriumgehalt vor. Er selbst gab sich wissenschaftlich bescheiden: „Ich habe ein submolekulares System entdeckt und Deuterium spielt eine Rolle.“ Es wirke wohl auf das Cyclooxygenease 2, ein Schlüsselgen in der Krebsbehandlung. Seine Tierversuche weisen auf eine Antitumorwirkung hin, weswegen sein Deuteriumwasser als „krebsheilend“ angekündigt wurde. Aber ein Referenzsystem zu finden, dass diese Wirkung bestätigt, ist nicht so leicht. Herd-und-Hof.de hatte deshalb die Deutsche Krebsgesellschaft um eine Einordnung gebeten. Nach einem Tag Recherche teilte Pressesprecher André Frank das Ergebnis der Ernährungskommission mit: „Nonsens!“
In einer Konferenzpause bestätigte Dr. Somlyai, dass er nach den Jahren der Forschung, wohl noch einmal so lange braucht, um eine endgültige Zulassung zu bekommen. Zusammenhänge zwischen seinem Mineralwasser und einer Krebstherapie seien „wacklig“. Sie werden auch nicht leichter, denn die EU hatte im vergangenen Mai mit der zweiten Lesung über die so genannten Health Claims in der Abänderung 54 über die Verwendung von nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben festgeschrieben: „Die Angaben sollten wissenschaftlich abgesichert werden, wobei die gesamten verfügbaren Daten berücksichtigt und die entsprechenden Ergebnisse bewertet werden sollen.“ (A06-0122/2006)

Die Zukunft ist Nano
Ob Nanotechnologie „Hip oder Hype“ ist konnte Prof. Dr. Horst Weller vom Institut für Physikalische Technologie der Universität Hamburg auf der Tagung nicht festmachen. Nano ist der milliardste Teil eines Meters und bewegt sich in der Größenordnung der Breite des DNS-Strangs. Mit der Verkleinerung der Materie vergrößert sich die Reaktionsoberfläche fast unermesslich, was den Stoffen neue Eigenschaften bringt. Zum Beispiel verändern sich Schmelz- und Siedepunkt, die chemische Reaktivität nimmt zu und die katalytische Ausbeutung ist höher. Die Querschnittstechnologie vereint die Disziplinen Physik, Chemie, Pharmazie und Medizin. Da bleibt die Lebensmitteltechnologie nicht gerne außen vor. So wird Siliziumdioxid bereits als Verdickungsmittel für Ketchup eingesetzt, zählte Prof. Weller auf, der in diesem Jahr das Institut für Nanotechnologie in Hamburg (CAN) mitgegründet hat. Einige Nahrungsergänzungsmittel sollen auch Silizium, Calcium und Magnesium als Nanopartikel erhalten und mit Titandioxid wird Schokolade haltbarer gemacht. Diese Mineralien stellen aber kaum etwas anderes dar, als den Sand, den Kinder im Verlauf ihrer Kindheit von Strand oder Sandkasten zu sich nehmen. Allerdings warnte er durchaus, dass die visionären Vorstellungen über die neue Technik, die nichts anderes sei als die Kolloidchemie in neuen Kleiden, größer sind, als die erforschten Risiken. Auch das National Geographic schrieb in seiner Juniausgabe über toxische Vorfälle. Aber, so Prof. Weller: „So richtig wissen wir es noch nicht.“ Liposome aus Lecithin entsprechen auch der Nanotechnologie und sind als E322 für Lebensmittel zugelassen. Generell werde durch Nanotechnologie nichts ungiftig. Vorteile einer höheren Löslichkeit für den Eintritt in die Körperzellen nahm der Physiker den Wind aus den Segeln: Die Salzsäure im Magen des Menschen löst die aufgenommene Nahrung schließlich funktions- und aufnahmegerecht auf.
Das National Geographic verweist auf die Chemikerin Vicki Colvin von der Rice University, USA: „Für Risikoforschung ist es aber schwieriger Geld zu bekommen, als für profitverheißende Weiterentwicklung.“ Das Bundesforschungsministerium aber hat in diesem Frühjahr 7,6 Millionen Euro in das NanoCare-Projekt gesteckt – für Technikfolgen und Risikoabschätzung.

Der Kongress hat die Möglichkeiten zusammen gestellt, die auf Verbraucher im Bereich der „New Foods“ zukommen. Mit einem Blick auf die Diskussion um die Grüne Gentechnik sollten die Protagonisten den Verbraucher aber nicht vor vollendeten Tatsachen stellen und ihn über Sinn, Nutzen und Risiken ausführlich informieren. Der Handel hat mit seinen neuen Produkten nur Erfolg, wenn der Verbraucher sie an der Ladenkasse auch bezahlt. Das wird er nur, wenn er deren Sinn gegenüber Alternativen und für sich einen individuellen Nutzen nachvollziehen kann. Ohne Spekulation und ganz ökonomisch.

Innovationspreise
Der New Foods Verlag vergibt seit 1990 Innovationspreise, zu den alle „Nahrungsmittelerzeugnisse, Getränke und Lebensmittelinhaltsstoffe, die in einem gegebenen Zeitraum eingeführt wurden“ zugelassen sind. In diesem Jahr hat es 126 Bewerbungen aus 14 Ländern gegeben.
Platz 1: Wasser mit verringertem Deuteriumgehalt
Platz 2: CuraPlus für Senioren
Platz 3: Olivenblatt-Spezialextrakt aus der Schweiz

Lesestoff:
Nickel, C u. K. Becker-Brandenburg: Zur Biochemie des Alterns – ernährungswissenschaftliche Aspekte. Ernährungs-Umschau 48 (2001) S. 224 – 227
Menebröcker, C: Ernährungsprobleme von Senioren mit Demenz. Ernährungs-Umschau 51 (2004) S. B29 – B32
Auch das Deutsche Institut für Ernährungsforschung hat auf der Tagung seine neuesten Forschungsergebnisse vorgestellt. Herd-und-Hof.de hatte in den vergangenen Monaten diese bereits veröffentlicht: Süßwassergeschmack; Ballaststoffe und Blutzucker; Fettverbrennung durch Carob
Deuteriumwasser: www.hyd.hu und Krebsgesellschaft www.krebsgesellschaft.de
Centrum für angewandte Nanotechnologie (CAN) GmbH, Hamburg: info@can-hamburg.de (noch ohne Internetseite)
New Foods: www.newfoods-bl.com (Mit allen Preisträgern des jährlichen Innovationspreises)

Roland Krieg

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