Kaum Vegetarier in BB und MV

Ernährung

Gebeine lassen auf Ernährung und Umwelt schließen

„Die Ernährung beeinflusst die genaue chemische Zusammensetzung der Knochen“, weiß Anthropologin Dr. Diana Peitl vom Institut für Humanbiologie und Anthropologie der Freien Universität Berlin. „Mit Hilfe dieser Werte kann deshalb im günstigsten Fall auf die Nahrung rückgeschlossen werden, die der Mensch zu sich genommen hat.“ Besonders aussagekräftig sind dabei die Mengenverhältnisse der Elemente Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff. „Sie kommen in tierischen und pflanzlichen Produkten in unterschiedlichen Mengen vor. Werden sie aufgenommen, passen sich die Werte der Knochen an. Über den Vergleich mit den Daten rein pflanzenfressender und ausschließlich fleischfressender Tiere können dann auch menschliche Knochen entsprechend interpretiert werden.“

Gebeine aus BB und MV untersucht
So hat sich Dr. Peitl für ihre Dissertation auf den Weg gemacht, Gebeine aus der Ortschaft Tasdorf südöstlich von Berlin und den Städten Brandenburg/Havel und Anklam im Mecklenburg-Vorpommern zu untersuchen. Mittels Massenspektroskopie wurden die Isotopenverhältnisse von Kohlenstoff, Stickstoff und Sauerstoff ermittelt, mit Hilfe der Atomabsorptionsspektrometrie 15 Spurenelemente wie beispielsweise Calcium, Barium, Eisen, Arsen und Magnesium erfasst.
Interessant war für die Anthropologin die frühe Neuzeit zwischen 1500 und 1800 als Übergang zwischen dem Mittelalter und der „modernen“ Zeit. Das Mittelalter gilt als das Zeitalter des Fleischverzehrs und die anschließende frühe Neuzeit als Ära mit proteinärmerer und schlechterer Ernährung.
Der Dreißigjährige Krieg brachte dem ländlichen Räumen 40 Prozent Bevölkerungsverluste, in Brandenburg bis zu 50 Prozent und die Reformation hatte einen großen Einfluss auf die Ernährung der Menschen, indem sie den Fleischgenuss ganzjährig erlaubte. Zuvor untersagte die Kirche diesen an bis zu 160 Tagen im Jahr und während der Fastenzeiten wurde viel Fisch gegessen. Durch die Bevölkerungsexplosion der frühen Neuzeit standen weniger Weideflächen zur Verfügung und pflanzliche Kost gewann an Bedeutung. Trotzdem haben sich die Menschen in den dünn besiedelten Gebieten nicht schlechter ernährt als im Mittelalter. Die Städter aus Brandenburg und Anklam hatten trotzdem noch Fleisch auf dem Speiseplan – die Tasdorfer etwas weniger.
Bestätigt wird das paradoxerweise auch durch die Schadstoffbelastung der Knochen. So fanden sich etwa bei den Brandenburgern deutlich höhere Arsenspuren als bei den Tasdorfern. Das ist ein Zeichen für Wohlstand, denn Arsen wurde den meisten Medikamenten beigefügt und mit Arsen wurden Weinfässer gereinigt. Die Arsenspuren bei den Tasdorfer Männern lassen sich auf die damals übliche Getreidebeize des Saatgutes zurückführen. Die Knochen ihrer Frauen zeigen dafür höhere Calciumgehalte, was Dr. Peitl auf den Rauch der Herdfeuer zurückführt, denen sie am stärksten ausgesetzt waren.

Harte Kindheiten
Die Knochen der Tasdorfer Kinde berichten über eine Verschlechterung der Lebensumstände im alter von fünf bis sechs Jahren. Zu diesem Zeitpunkt wurden die Dorfkinder schon zu körperlicher Arbeit herangezogen. In der Stadt fand der Eintritt in das Erwachsenenalter erst mit sechs bis zehn Jahren statt. Die Kinder mussten dann im Haus des Lehrmeisters leben und waren schwerer Arbeit, Züchtigungen und mangelnder Kost ausgesetzt. Die Sterblichkeit von 50 Prozent lässt sich aber eher auf die in den Städten mangelnde Hygiene zurückführen, als auf schlechtere Ernährung.
Insgesamt, so das Resümee, war die Versorgungslage bei allen drei Populationen besser als für die frühe Neuzeit allgemein angenommen. Auch der Verzehr von Seefisch ließ sich nachweisen, wenn auch in Anklam wegen der größeren Nähe zur Ostsee mehr als in Brandenburg. Das die Menschen auch in dieser Zeit Fleisch gegessen haben, führt Dr. Peitl auf die dünne Besiedlung der Regionen zurück. Es standen ausreichende Weideflächen zur Verfügung.

Fleisch, Brot und Kartoffeln
In der lesenswerten Einleitung der Dissertation wird auch der Fleischverzehr genauer beziffert. Im späten Mittelalter lag der Fleischverzehr bei 50 bis 60, je nach Literaturquelle auch bis zu 100 kg pro Kopf im Jahr. In der frühen Neuzeit sank der Wert auf 10 bis 20 kg ab.
Für das Brot war die frühe Neuzeit ein Gewinn. Während im Mittelalter das Brot nur etwa 20 bis 60 Prozent das Gewichtes dessen betrug, was an Getreide aufgewendet worden war, wurde in der frühen Neuzeit das Getreidegewicht im Brot durch höhere Ausmahlungsgrade viel besser wiedergegeben. So ergaben Backproben von 1556 in Augsburg bei Weizenbrötchen einen Ertrag von 86 Prozent und bei Roggenbrot von 100 %.
Die Hungerjahre der frühen Neuzeit wurden dann in Brandenburg durch die Kartoffel überwunden, die allerdings erst ab dem 18. Jahrhundert auf den Feldern angebaut wurde. Die Kartoffel erbrachte damals auf der gleichen Feldfläche den dreifachen Nährwert von Getreide.

Lesestoff:
Die Dissertation von Dr. Diana Peitl ist online unter
http://www.diss.fu-berlin.de/2006/616/index.html einzusehen.

roRo

Zurück