Klarheit und Wahrheit

Ernährung

Kongress zur Lebensmittelsicherheit

Aus technischen Gründen wird das Informationsportal „Lebensmittelklarheit.de“ erst Ende Mai oder Anfang Juni fertig sein. Eine Zwischenversion des Beschwerdebogens wird die federführende Verbraucherzentrale Hessen allerdings schon im April einstellen.
Noch weniger abgeschlossen ist die Annährung zwischen Wirtschaft und Verbraucherzentrale sowie dem ideell und finanziell fördernden Bundeslandwirtschaftsministerium (BMELV). Auf dem am Mittwoch gestarteten 3. Food Safety Kongress des Handelsblattes tauschten Industrie und Ministerium ihre Standpunkte noch einmal aus.

2011 bringt nichts Gutes

Für Dr. Markus Girnau, Geschäftsführer des Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL), bringt das Jahr 2011 nichts Gutes. Der Referentenentwurf zur Änderung des Verbraucherinformationsgesetzes (VIG) sei von „Aktionismus statt Sachpolitik“ geprägt und belaste die Ernährungsindustrie einseitig. Bislang habe das BMELV noch die Balance zwischen Verbraucherinteressen und Interessen der Wirtschaft gewahrt, lasse sie aber im Zuge des Dioxinfalls zunehmend außer acht.
So sei die Aufnahme des „Gesundheitsschutzes“ im VIG sachlich falsch. Der Gesundheitsschutz müsse greifen, wenn durch eine Gefährdung Produkte schnell aus den Regalen genommen werden müssen. Das VIG hingegen solle für Informationen ohne Handlungsdruck sorgen.
Das neue VIG will bereits bei „objektiver Normabweichung“ einen Rechtsverstoß ausmachen, doch gebe es keine Definition, was ein „unsicheres Lebensmittel“ überhaupt sei.
Kritisch für den BLL ist auch der Umfang der einzureichenden Daten. Mit chemischen, physikalischen und biologischen Eigenschaften müssten Firmen ihre Rezepturen offenlegen. Das neue VIG werde „Betriebsgeheimnisse“ nicht mehr als Ausschlussgrund für die Verweigerung von Informationen akzeptieren. Hier werden nach Girnau Schutzrechte der Wirtschaft eingeschränkt, während die Verwaltung keine Haftung für falsche Informationen übernehmen müsse.
Ebenfalls kritisch ist die Verschärfung des Paragraphen 40 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuches (LFBG), dass schon bei einer einzigen Höchstmengenüberschreitung Firmen- und Produktnamen veröffentlicht werden dürften.

Information als Druckmittel

Nach Dr. Girnau werden Informationen als „neues Instrument“ der Verwaltung eingeführt. Und Druck auf Unternehmen ausgeübt. Vor allem die Angst vor Fehlinformationen treibt die Ernährungsindustrie: „Fehlinformationen können durch Gegendarstellungen faktisch nicht mehr eingefangen werden“, so Dr. Girnau. Viel wirkungsvoller gegen schwarze Schafe sei ein effektiver Vollzug von Strafen als eine Anprangerung.
Das geplante Informationsportal ist demnach das gleiche Kind des Aktionismus. Die Industrie sei nicht gegen das Portal, so Girnau, aber der produktbezogene Teil schaffe Probleme. Hier können Verbraucher Produkte, die sie subjektiv als irreführend empfinden, als Täuschung reklamieren – obwohl das Produkt nach gültigen Gesetzen einwandfrei hergestellt ist1).
Nach Girnau könnte folgendes Szenarium eintreten. Nach LFGB müssen sämtliche Messdaten der Eigenkontrollen, also auch die von Produkten, die noch gar nicht in den Handel gebracht wurden, gemeldet werden und können über das VIG eingefordert werden.

Lernportal

Nach Bernhard Kühnle aus dem BMELV sei das Portal eine Initiative ein wichtiges Unterfangen für die Verbraucher“. Sie fühlen sich getäuscht und die Diskussionen werden bereits über das subjektive Empfinden geführt. Das Bekanntmachen von Täuschungen helfe sogar den redlichen Unternehmen, die gegenüber dem Täuscher einen Wettbewerbsnachteil erleiden. Nicht nur das LFGB mit seinem Paragraphen 11, sondern auch die Verordnung der EG 178/2002 sowie das Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb im Paragraphen 3 verbiete die Täuschung. Das neue Portal steht also in guter Tradition.
Nach Kühnle bietet das Portal mehr, als nur den produktbezogenen Teil. Genauso wichtig sind die allgemeinen Informationen über Kennzeichnungen und Produktangaben, die im Informationsteil den Verbrauchern erklärt werden. Zusätzlich runde ein Diskussionsforum das Portal ab.
Das Portal soll den Dialog zwischen Verbraucher und Unternehmer fördern und in der Wirtschaft einen Verhaltenskodex initiieren. Damit solle unterhalb von Gesetzen und Verordnungen über eine freiwillige Vereinbarung etwas bewegt werden. Kühnle gibt aber auch zu, dass das Portal den „notleidenden Vollzug“ unterstützen solle.
Die Verbraucher können keine Produkte online stellen, beschreibt Kühnle das Portal. Sie werden sie an den Portalbetreiber melden, der sich von der Rechtmäßigkeit überzeugt. Es wird eine standardisierte Eingabe geben und die Stellungnahme des Unternehmens wird beigefügt. Die Verbraucherzentrale Hessen wird als Portalbetreiber den Sachverhalt kommentieren und erläutern. Damit sei das Portal kein „e-Pranger“.
Zusätzlich wird es eine Begleitforschung zur Ermittlung der Repräsentativität und Aussagen im Portal geben. Zusammen mit der Wirtschaft gibt es im Herbst eine juristische Fachtagung zum Thema.
Aus dem Publikum wurde eingewendet, dass das Portal einen „Multiplikatoreneffekt“ haben könnte. Nachahmerportale und Foren würden die Sachverhalte unkommentiert und subjektiv aufnehmen und wiedergeben. Dem entgegnete Kühnle, dass das Portal eben genau diese Trends aufnehmen würde. Die Verbraucher führten bereits solche Diskussionen und das Portal könne sie auf eine sachliche Basis stellen.

Jeder Ära ihr Skandal

Einen kritischen Blick auf die Befindlichkeiten der Verbraucher warf Prof. Dr. Ulrich Nöhle von der Universität Braunschweig. So hat jede Ära ihren Skandal. Im Mittelalter wurden Bäcker, die zu kleine Brote buken mit der Bäckertaufe bestraft, dem Eintunken des Bäckers in einem Holzkäfig in Fluss oder Unrat. Im 18. Jahrhundert wurden Fleischer mit Kerker bestraft, wenn sie ihr Fleisch mit frischem Blut farblich „aufbesserten“. Ende des 19. Jahrhunderts wurde Mehl mit Gips und Milch mit Wasser gestreckt.
Die Industrialisierung der Nahrungsproduktion zum Überschuss brachte über den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln und Mineraldüngern chemische Rückstände in Lebensmittel ein. Diese Probleme sind zwar nahezu gelöst, doch importieren Globalisierung und Zollabbau die verschwunden geglaubten Probleme wieder nach Europa. Mit Zunahme der Qualitätsmanagementsysteme werden aber auch diese Probleme verschwinden.
Und dann tauche vermehrt auf, was Prof. Nöhle bereits heute schon ausmacht: Ethische Befindlichkeiten in der Überflussgesellschaft. Woher kommen die Rohstoffe, Umweltabdruck der Produkte, Kinderarbeit, gentechnisch veränderte Lebensmittel oder Patente. Diese „Skandale“ fokussieren die ethischen Befindlichkeiten der Verbraucher. Die neueste Hinterfragung: „Darf man Schwarmfische in der Aquakultur einsetzen?“
Auf diesen Trend müsse sich die Industrie einstellen. Die Menschen wollen eine Hightech-Gesellschaft, aber ausgerechnet bei den Lebensmitteln ein Idyll wie zu Omas Zeiten, so Prof. Nöhle. Die Menschen kaufen eine Hafermastgans, deren Verpackung eine Gänseschar am Bach vor einer Windmühle zeigt – und sind dann immer wieder über die Realität erschrocken. Das Werbebild ist die Marketingnische in einem gesättigten Markt. Daher müsse den Unternehmen klar werden, dass die größte Herausforderung in der Überflussgesellschaft die Kommunikation ist.

Lesestoff:
1) Auf der Grünen Woche hat der BLL gegenüber Herd-und-Hof.de Beispiele genannt, die von Verbrauchern und Industrie verschieden verstanden werden könnten.
Das BMELV hatte im letzten Jahr das VIG einer ersten Bewertung unterzogen. Mit 480 Anfragen in zwei Jahren hat es die Verbraucher noch nicht überzeugt.

Roland Krieg

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