Klöckner zähmt Ernährungsindustrie

Ernährung

„Weiß war gestern“

Zucker ist kein Gift. Wer dennoch zu viel zu sich nimmt, bringt seinen Kalorienhaushalt durcheinander. Das liegt jedoch nicht nur am Input, es liegt auch am Output, wenn sich die Menschen zu wenig bewegen. Wissen Verbraucher das nicht alles? Sie sind jedoch nicht so bewusst, dass sie abends ein Bier nur noch deshalb genießen, um sich noch fehlende Mineralien zuzuführen. Also: Neben der Verbraucheraufklärung ist die Angebotsseite genauso verantwortlich. Das heißt, weniger Zucker, Fett und Salz in das Essen. Ja, gibt es alles im Lebensmitteleinzelhandel, doch das Werbe-Nudging verführt in die andere Richtung.

Der so genannte Zuckergipfel hatte in dieser Woche beim Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft die Reformulierung von Lebensmittelprodukten zum Thema. Ein heißes Eisen, wie die AOK schon im Mai dieses Jahres hat erfahren müssen. Reformulierungen sind für Ärzte und Krankenkassen ein Muss [1]. Die laute Begleitmusik kam vom Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde (BLL): „Wir als Ernährungsindustrie benötigen keine Belehrungen von Interessengruppen, weil wir seit Jahrhunderten handeln und beispielsweise stetig innovative Rezepturen entwickeln, bestehende optimiern und über Nährwerte und Inhaltsstoffe aufklären.“

Doch Ernährungsministerin Julia Klöckner ist das Einfangen der Ernährungsindustrie gelungen. Und das schon Anfang des Monats unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Im Ministerium hat die Lebensmittelwirtschaft eine Grundsatzerklärung unterzeichnet, die, auf freiwilliger Basis, „messbare Reduktionen“ von Zucker, Salz und Fett umzusetzen. Medien- und Öffentlichkeitsbewusst erbat sich die Ministerin, den gelungenen Coup selbst zu verbreiten und verpflichtete die Industrie zur Verschwiegenheit.

In dieser Woche teilte sie dann mit: „Mein Ziel ist es, die Häufigkeit von krankmachendem Übergewicht und ernährungsbedingten Krankheiten in Deutschland zu senken.“ Die Branche muss jetzt in den kommenden Monaten produktbezogene Prozess- und Zielvereinbarungen verfolgen. Ab 2019 sinken die Mengen an Zucker, Fett und Salz in Fertiggerichten. Das kann auch über eine verkleinerte Portionspackung erfolgen. Das Ministerium wird den Prozess beobachten.

Regulatorisch will Klöckner auch tätig werden. Bei der Ernährung von Kleinkindern und Säuglingen wird der Zusatz von Zucker und süßenden Zutaten wie Stevia, Maltulose, Isomaltulose und Dextrose verboten. Dazu ist eine Änderung der Diätverordnung notwendig.

„Weiß war gestern“ hieß es auf dem Zuckerreduktionsgipfel der AOK, den Klöckner zum Anlass ihrer Veröffentlichung nahm. AOK-Vorstand Martin Litsch sieht in der mit dem Bundesernährungsministerium gemeinsamen Förderung der Ernährungskompetenz ebenfalls ein wichtiges Handlungsfeld. Litsch unterstrich jedoch, dass nur eine breit angelegte Strategie zu einem dauerhaften und spürbaren Rückgang des Zuckerkonsums führt: „Der Erfolg hängt auch entscheidend davon ab, wie ernst die Lebensmittelindustrie ihre jetzt geschlossene Vereinbarung nimmt. Eines der Kernprobleme ist das so genannte adipöse Umfeld, die „ausgewogene und gesunde Ernährung immer schwieriger macht.“ 80 Prozent der Fertiggerichte im Supermarkt enthalten zugesetzten Zucker und können von Kunden nicht vollständig erkannt werden.

Vor so viel Auftritt ist der BLL sanft geworden. BLL-Präsident Stephan Nießner erläuterte: „Die deutsche Lebensmittelwirtschaft übernimmt Mitverantwortung an der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe im Kampf gegen nichtübertragbare Krankheiten und für eine Stärkung der Gesundheitsvorsorge der Menschen zusammen mit anderen Stakeholdern. Die Lebensmittelwirtschaft ist dabei nicht nur dialog-, sondern auch handlungsbereit.“

Der BLL bittet sich eine Übergangslösung aus. Eine Reduktion von Nährstoffen, die nicht nur Geschmacksträger sind, sondern auch technologische Funnktionen haben, gehe nicht von heute auf morgen, so Nießner. Ziel ist: „Damit auch Qualität, Sicherheit und Geschmack des Lebensmitel wie in gewohnter und gewünschter Weise erhalten bleiben.“

Die fordernde Seite geht gleich einen Schritt weiter. Zusammen mit der AOK und foodwatch hat die Deutsche Allianz Nichtübertragbare Krankheiten (DANK) die „Aktion Weniger Zucker“ gegründet. Mit im Boot sitzen die Deutsche Diabetes Gesellschaft und das Ethno-Medizinische Zentrum. Die Aktion orientiert sich am britischen Vorbild „Consensus Action on Sugar“ und am Tabakrahmenübereinkommen der Weltgesundheitsorganisation WHO. Die Aktion stellt vier Forderungen auf: Verbot von an Kindern gerichtete Werbung für zuckerreiche oder andere hochkalorische Lebensmittel. Dabei gilt das Nährwertprofil der WHO. Die Lebensmittelkennzeichnung müsse für alle Bevölkerungsgruppen verständlich sein. Steuerliche Anreize zur Entwicklung von gesünderen Rezepturen können in der Lebensmittelindustrie den Weg beschleunigen. Für die Kita- und Schulverpflegung sollen Standards verbindlich werden.

Lesestoff:

[1] Übergewicht: Klöckner muss liefern: https://herd-und-hof.de/ernaehrung-/uebergewicht-kloeckner-muss-liefern.html

Roland Krieg

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