Lebensmittelkontrolle 2030

Ernährung

Lebensmittelkontrollen in die Vorhand bringen

BSE, Glykol im Wein, EHEC und Noroviren: Sind Lebensmittel wirklich eine Gefahr für die Menschheit? Sägespäne im Hack, Gips im Mehl und zu kleines Brot? Darunter leiden die Menschen seit dem es Bäcker, Metzger und frühe industrielle Verarbeitung gibt. Das wird sich auch in Zukunft nicht ändern. Daher ist die Lebensmittelüberwachung ein Schlüsselelement für den Verbraucherschutz. Mit seinen eigenen Problemen. Der Bundesverband der Lebensmittelkontrolleure (BVLK) feierte am Donnerstag sein 40-jähriges Jubiläum in Berlin und die Vorsitzende Anja Tittes stellte noch immer die gleichen Forderungen nach mehr Personal und angemessener Besoldung. Nicht mehr als 2.800 Lebensmittelkontrolleure gibt es bundesweit und sie scheinen immer zu spät zu kommen. In den Schlagzeilen tauchen die schlimmsten Missetaten auf. Wie im Agrarbereich bleibt die Mehrheit der weißen Schafe unerkannt.

Im föderalen System gibt es noch immer zu wenig Vernetzung und Unklarheiten, sagte Tittes. Der  BVLK nach wie vor ein wichtiger Experte. Der Verband hat sich in den Hygieneleitlinien eingebracht, berät Bundestag und nimmt an den Sitzungen der Lebensmittelbuchkommission teil. Zur Unterstützung hat das Bundeslandwirtschaftsministerium mit Dr. Michael Winter einen Chefkoordinator für Lebensmittelsicherheit einberufen.

Winter bestätigt dem BVLK, ein wichtiger Ansprechpartner für die Politik zu sein. Sein Blick aus der Praxis helfe bei Rechtsvorhaben der Politik in Berlin und Brüssel. Neben mangelnder Hygiene gerät Food Fraud immer mehr in den Fokus der Kontrolleure. Gerade hochwertige Lebensmittel wie Bio und Olivenöle gehören zu den am meisten gefälschten Produktgruppen. Das in diesem Jahr wichtigste ist die Umsetzung der EU-Kontrollverordnung, bei der tierische Nebenprodukte und Pflanzenschutzmittel mit in das Tagesgeschäft aufgenommen wurden. Das Max-Rubner-Institut baut eine Isotopendatenbank als Referenzsystem gegen Lebensmittelfälschung auf. Wie die EU-Verordnung umgesetzt wird, erarbeitet eine Bund-Länder-Gruppe im September dieses Jahres.

Die Aufgaben werden nicht einfacher, weil sie aus immer mehr Zutaten bestehen. Neu sind Hygienefragen auf Dorf- und Vereinsfesten. Das Saarland veranstaltet in diesem Jahr bereits zum vierten Mal ein entsprechendes Symposium für Kontrolleure. Seit dem das Thema auf der Agenda steht, ist die Zahl der Verstöße, die überwiegend aus Unwissenheit begangen werden, rückläufig, sagt Jörg Klein aus dem Verbraucherschutzministerium des Saarlandes.

Doch wie geht es weiter? Die Verpackungen aus den 1950er Jahren waren sehr übersichtlich bedruckt. Heute passen kaum mehr alle Angaben auf das Produkt. Die Angaben beschreiben auch kaum mehr das Lebensmittel, sondern sein Produktionsumfeld. Es hat der Wandel von der Sachkennzeichnung hin zur Kommunikationskennzeichnung stattgefunden, erklärte Lebensmittelchemiker Prof. Dr. Ulrich Nöhle. Die Informationen passen sich dem Wandel der Gesellschaft an. In der Kommunikationsgesellschaft muss der Einzelne vernetzt sein, und Informationen schnell teilen. Egal, wie hoch der Wahrheitsgehalt ist. „Sonst sind sie gar nicht da.“

Da kommt für die Lebensmittelkontrolle eine neue Welle an Herausforderungen zu. Mit dem Aufstieg Chinas hat die Globalisierung gerade erst begonnen. Die meisten Non-Food-Artikel im Lebensmitteleinzelhandel stammen aus dem Reich der Mitte. Die Warenströme werden komplexer, die Menschen essen immer mehr Außer-Haus, der Internethandel wird auch den Lebensmittelmarkt dominieren und Verbraucher suchen nach individualisierten Lebensmitteln.

Was für die Industrie zu einem Wettbewerbsfaktor wird, ist für die amtliche Überwachung eine Herausforderung: Transparenz. Voraussetzung ist die Datenvernetzung mit der so genannten Block Chain. Vom Hersteller bis zum Verläufer werden dem Produkt vom Saatgut bis zur Verkaufsverpackung auf jeder einzelnen Stufe über dezentrale Computer die aktuellen Informationen auf einem digitalen Begleitpapier hinzugefügt. Dazu muss jeder Lkw, jede Verpackungsmaschine eine Betriebsnummer und eine Zulassung haben. Mit aktiven „Push“-Meldungen kann der Kontrolleur über mögliche Defizite informeirt werden. Der Kontrolleuer sieht auch, wie oft das Produkt bereits kontrolliert wurde und ob eine Nachkontrolle erforderlich sein.

Dazu müssen Kontrolleuer mit Zoll und Wirtschaftsprüfern sowie Veterinären zusammenarbeiten und im Team mit Schwerpunktstaatsanwaltschaften, die es beispielsweise in Mecklenburg-Vorpommern bereits gibt, gegen organisiertes Verbrechen vorgehen.

In der Praxis gebe es ein Defizit zwischen Geschäftsführer und Fachpersonal. Wie im Arzneimittelgesetz hinterlegt, fordert Nöhle die Festlegung einer „Qualified Person“, die im Betrieb für die Einhaltung der Regeln zuständig ist. Nöhle sieht in diesem Punkt die größte Schwachstelle. Kommen Zoll und Steuerfahndung auf den Betrieb, werden Geschäftsführer nervös. Kommt die Lebensmittelüberwachung, gibt es erst einmal einen Kaffee. Wie leichtfertig Firmen im Umgang mit Lebensmitteln sind, veranschaulicht Amazon. Ohne eine Verkehrsfähigkeitsbescheinigung darf niemand Lebensmittel über Amazon anbieten. Die meisten Online-Firmen haben das nicht. Sie kennen weder den Ursprung ihrer Waren, noch Sicherheitsanalysen. Da ist vor allem die Politik gefragt.

Anja Tittes ist skeptisch, ob die Block Chain die Arbeit der Kontrolleure einfacher macht und das Personaldefizit beseitigt, sagt sie zu Herd-und-Hof.de. Man brauche immer einen Kontrolleur vor Ort. Diese sind auch nur für die gesetzlichen Mindeststandards zuständig und nicht für die vielen sekundären Standards des Handels. Wie im Agrarbereich gibt es auch im LEH und in der Gastronomie schwarze Schafe. Die werden in Fernsehsendungen längst an den Pranger gestellt. Nöhle hält Kennzeichnungen wie das Hygienebarometer für unausweichlich. Anja Tittes will erst einmal die Sanktionen verschärfen. Da sei noch viel Luft nach oben.

Roland Krieg

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