Lebensmittelqualität in der Abwärtsspirale?

Ernährung

Verbraucherzentrale fordert aktive Verbraucherpolitik

Die Kartoffel ist eine Kartoffel ist eine … schon längst nicht mehr. In einer im Auftrag des Verbraucherzentrale Bundesverbandes erstellten Studie von Agrifood hat Dr. Anke Zühlsdorf am Mittwoch die Eigenschaften der Qualitätskommunikation aufgezeigt. So wird der Kartoffel zunächst eine Sucheigenschaft zugeordnet, die durch einen überprüfbaren Preis und Produktkenntnisse der Verbraucher noch gut bestimmbar ist. Dem Kauf der Kartoffel folgt jedoch auch Erfahrungseigenschaften wie Geschmack und Wissen über die Zubereitung oder dem Erfassen von möglichen Zusatzstoffen. Darüber hinaus besitzt die Kartoffel auch Vertrauenseigenschaften, wie Rückstandsgehalte, die zunächst noch verborgen sind, aber durch Tests und Medien kommuniziert werden. Noch größere Informationsasymmetrien gibt es bei den „Potemkinschen Eigenschaften“: Hier geht es um Prozessqualitäten, die vom Kunden nicht mehr kontrolliert werden können und wozu die Kartoffel ein Label braucht. Das wird dann durch einen unabhängigen Zertifizierer kontrolliert.
Hinzu kommt, dass verschiedene Verbraucher die unterschiedlichsten Trends für individuelle Lebensstile haben. Wer Produkte anbieten will, der kann sich an Mega-Trends wie Herkunft, Zeitknappheit oder Gesundheit orientieren, jedoch hat die Studie noch zahlreiche Sub-Trends bei der Produktauswahl festgestellt: Slow Food, Convenience Food, Selber Kochen, Female Shift, Vollkorn oder Animal Welfare …
Da alles strömt in dem Moment zusammen, wenn der Kunde vor dem Regal steht und aus einer Vielzahl ähnlicher Produkte „seines“ in den Einkaufswagen legt. Das Ergebnis: Beschönigende und widersprüchliche Angaben auf den Produkten führen zu falschen Qualitätserwartungen bei den Verbrauchern, die dann enttäuscht sind und sich getäuscht fühlen. So fasst es Hartmut König von der Verbraucherzentrale Hessen zusammen, der am Mittwoch in Berlin eine weitere Zwischenbilanz1) des Portals Lebensmittelklarheit.de zog. Die Unterschiede zwischen Werbung und Wirklichkeit sind nicht kleiner geworden, wie die Zusendungen und Fragen der Verbraucher an das Portal darlegen.

Abwärtsspirale

Vor Jahren hat die Konsumgüterindustrie2) schon den amerikanischen Ökonomen Georg Akerlof bemüht, um das Auseinanderdriften von Handel und Kunden zu beschreiben. Da die Kunden Produkte von schlechter Qualität kaum noch von denen in guter Qualität unterscheiden können, entscheidet er sich für das preiswertere Produkt. Da die Hersteller der hochwertigeren, aber teureren Produkte nicht lange mithalten können, scheiden sie früher oder später aus dem Markt aus.
So sieht die Studie mittlerweile auch den Lebensmittelmarkt. Beispiel: „Kühe auf der Weide“ entsprechen Verbrauchererwartungen von Natürlichkeit, Gesundheit, Tierwohl und handwerklicher Produktion. Deshalb wird das Bild gerne als „Kommunikationsmuster“ auf den Milchverpackungen eingesetzt, während die Wirklichkeit anders aussieht. Ein Anbieter wirbt mit Milch von Familienbetrieben, bei denen die Kühe von Frühjahr bis Herbst auf der Weide stehen, ein anderer mit dem Kriterium, dass die Kühe mindestens an 120 Tagen für jeweils sechs Stunden am Tag Weidegang hatten. Ein dritter begnügt sich damit, dass seine Weidemilch aus einer Grünlandregion komme.
Gerd Billen von der Verbraucherzentrale Bundesverband
sieht in dieser Form der Werbeversprechen, die immer wieder Anlass zur Kritik geben, eine grundlegende Schieflage, die in einer Abwärtsspirale der Lebensmittelqualität mündet. „Schönfärber und Trittbrettfahrer“ mit falschen Versprechen legen die Verbraucher und ernsthaften Mitbewerber herein, die vom Kunden kaum noch identifiziert werden könnten.

Positivbeispiele

Wenn auch Positivbeispiele nicht in der Form aufgelistet werden, wie die Negativbeispiele, so zeigen König und Billen dennoch den richtigen Weg auf. Es gibt den Schoko-Dessert-Anbieter, der seine Kunden mit sieben bis acht Prozent Kakao verwöhnt und es nicht nur bei einem Prozent belässt. Die Überprüfung der Health Claims von der EU3) seien ebenso der richtige Weg. Von etwa 4.000 gesundheitsbezogenen Aussagen sind derzeit rund 200 erlaubt. Einen präventiven Weg kennt Dr. Zühlsdorf: Die Unternehmen geben für die Markteinführung so viel Geld aus, dass sie auch die Angaben und Werbeversprechen auf Klarheit für die Verbraucher testen können. Sie sagt aber auch, dass eine generelle Lösung systemisch angelegt sein muss und nicht nur anhand einzelner Beispiele statt finden solle.

Forderungen

Gerd Billen fordert eine aktive Verbraucherpolitik von der Bundesregierung. Verbraucherministerin Ilse Aigner solle wie bei Finanzprodukten ein Produktionsinformationsblatt auch für die Produkte im Lebensmittelhandel verpflichtend einführen. Billen will auch neue Siegel, die aber wie das Bio-Siegel oder die Eier-Kennzeichnung keine neuen Label, aber übergreifende Kriterien kennzeichnen4). Vor allem will er den Einfluss der Verbraucherseite in der Kommission zum Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuch ändern. So könne beispielsweise die Sperrminderheit der Industrie durch ein einfaches Veto Rezepturänderungen verbieten. So darf in Wildwurst ein großer Teil einfaches Schweinefleisch vorhanden sein, kritisierte Billen. Die Interessenverbände für die Schweinehaltung ließen diesbezüglich nicht mit sich reden. Letztlich glaubt Billen nicht, dass der Markt diese Schieflage alleine richten kann.

Lesestoff:

Die Studie von Agrifood finden sie auf der Seite des Verbraucherverbands Bundeszentrale www.vzbv.de

1) Die 100-Tage-Bilanz des Portals

2) Versteht der Handel seine Kunden noch?

3) Die Industrie wartet auf die Health Claims

4) Wie viele Label braucht die Nachhaltigkeit?

Am gleichen Tag hielt der Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde seine Jahrestagung ab. Dort sprach Herd-und-Hof.de mit BLL-Hauptgeschäftsführer Prof. Dr. Matthias Horst unter anderem über die vzbv-Studie

Roland Krieg

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