Mandelkerne mit Vorsicht genießen
Ernährung
Aprikosen- und Mandelkerne mit bitterem Beigeschmack
„Denn Äpfel, Nuß und Mandelkern – Essen fromme Kinder gern.“ Was Theodor Storm in seinem Gedicht „Knecht Ruprecht“ so stimmungsvoll beschrieben hat, ist ernährungsphysiologisch nicht ganz ungefährlich.
Umstrittene Heilkraft
Aprikosen- und Mandelkerne werden oft mit „Vitalkraft aus der Natur“, als „Bioaktivstoff“ oder sogar als „Heilmittel“ beworben. Sehr oft im Internet, wo die Kerne direkt gekauft werden können. „Mir ist keine wissenschaftliche Studie bekannt, die eine therapeutische Wirkung von bitteren Aprikosenkernen oder bitteren Mandelkernen eindeutig belegt“, begründet Prof. Dr. Alexander Schiller von der Universität Jena seine Vorsicht. „Im Gegenteil: Bei übermäßigem Verzehr können Vergiftungserscheinungen von Erbrechen, starke Krämpfen bis hin zur Bewusstlosigkeit auftreten.“
Blausäurequelle
Das hat seinen Grund. Beide Kerne enthalten Amygdalin,
aus dem während der Verdauung Blausäure freigesetzt wird. Daher hält der
Chemiker die im Umlauf befindliche Bezeichnung „Vitamin B17“ für irreführend.
Als „Laetril“ soll der Stoff sogar gegen Krebs wirken.
Chemisch gesehen besteht Amygdalin aus zwei
Glukose-Einheiten verknüpft mit einer Cyanhydrin-Funktion eines Benzaldehyds.
Wasser und das Enzym Beta-Glucosidase, das natürlicherweise im menschlichen
Körper vorkommt, sorgen dafür, dass die stabile Verbindung aufbricht: Der
Zuckeranteil wird abgespalten und das freigewordene Cyanhydrin zerfällt spontan
in Benzaldehyd und das giftige Cyanid.
Prof. Dr. Alexander Schiller betrachtet in einem Labor Mandelkerne. Der Chemiker von der Uni Jena hat einen Biosensor entwickelt zum Nachweis von Amygdalin
Diesen Zerfall macht sich Prof. Schiller zu Nutze.
Bislang gab es nur aufwendige Analysemethoden, Amygdalin nachzuweisen. Doch der
Zerfall findet in einer wässrigen Lösung statt. Ein spezieller
Boronsäure-Rezeptor kann das giftige Cyanid-Ion binden und mit Hilfe eines
fluoreszierenden Farbstoffes sichtbar machen.
Mit diesem Schnelltest kann im Handel der Amygdalin-Gehalt
von Aprikosen- und Mandelkernen schnell ermittelt werden.
Sichere Prüfung
Der Sensor leuchtet erst, wenn das Cyanid frei gesetzt
ist und seine Giftigkeit umsetzen könnte.
Aprikosen- und Bittermandelkerne enthalten bis zu acht
Prozent Amygdalin, was rund fünf Milligramm Cyanid entspricht. Das reicht bei
Erwachsenen aus, Vergiftungserscheinungen hervorzurufen. Kinder sollen nach
Angaben des Bundesinstituts für Risikobewertung nicht mehr als zwei Kerne am
Tag essen. Oder ganz darauf verzichten. Schiller: „Für Kinde ist die
unbedenklich Tagesdosis noch geringer, denn für sie ist Amygdalin besonders
gefährlich.“
Für sichere Weihnachten reicht es, wenn Knecht Ruprecht
Äpfel und Nüsse bringt.
Lesestoff:
Jose, D. A., Elstner, M. und Schiller, A., Allosteric Indicator Displacement Enzyme Assay for a Cyanogenic Glycoside. Chemistry – European Journal (2013), Volume 19, Seiten 14451–14457, http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/chem.201302801/abstract(DOI: 10.1002/chem.201302801)
Roland Krieg