Marihn statt Bali

Ernährung

Marihn kleinste Gemeinde im Cittaslow-Netzwerk

Eigentlich sollte Mecklenburg-Vorpommerns Agrarminister Dr. Till Backhaus in Bali sein. Aber, so sagte er, er ist lieber nach Marihn gekommen.
Marihn? 250 Einwohner, an der Bundesstraße 192 zwischen Neubrandenburg und Möllenhagen zunächst mit einem zur Seite gebogenen grünen Ortsdurchfahrtsschild zu erkennen. Abbiegen. Kleine Allee entlang, kurvenreich und holprig durch den kleinen Ort und dann scharf links auf einer ordentlich geschniegelten Fläche das Auto hingestellt. Das Gutshaus war schon von der Landstraße her als solches zu erkennen und die Bäume geben den Blick auf eine unvermutete Parklandschaft frei. Ausstieg in eine andere Welt.

Cittaslow: Lebenswerte Städte
1999 gründeten vier Städte in im italienischen Orvieto die eigenständige Bewegung „Cittaslow – Slow City – Netzwerk der lebenswerten Städte“. 2001 wurde Hersbruck im Nürnberger Land erste deutsche Cittaslow. Am vergangenen Samstag wurde Marihn als siebte Gemeinde in Deutschland und kleinste überhaupt in das internationale Netzwerk von 90 Städten aufgenommen.
Marihn zeigt, dass es nicht auf die Größe ankommt. In fünf Bereichen muss eine Gemeinde beweisen, dass sie Bereitschaft zur Nachhaltigkeit nicht nur in Sonntagsreden präsentiert, sondern auch praktiziert, beschrieb Wolfgang Plattmeier, Bürgermeister von Hersbruck, die Aufnahmekriterien. Der Franke hatte eigens die norddeutsche Begrüßung „Moin moin“ für seine Reise in den hohen Norden gelernt. Infrastrukturpolitik, urbane Qualität, Aufwertung der autochthonen Erzeugnisse, Gastfreundschaft und Bewusstsein sind die fünf Bereiche, über die sich der Kriterienkatalog erstreckt. Die Landwirtschaft muss gentechnikfrei, der öffentliche Nahverkehr nachhaltig sein.
Vor allem aber wird auf das Gemeinwesen hingewiesen. Jens Kamin, Bürgermeister von Marihn, stellte seinen Bürgern ein gutes Zeugnis aus. 100 Einwohner umfasse der „harte Kern“ der Marihner, die anderen helfen sporadisch mit, sich um die Gemeinde und ihren Erfolg zu kümmern.
Das Gutshaus wurde 2005 an die Familie Forytta übergeben, die zunächst mit einem Abriss begann: Die mittlere Schule wurde mit der kleinen Fleischerei, mehreren Schuppen und kleinen Schrebergärten abgerissen. Dann aber wurde aufgebaut: Die Festveranstaltung für die Zertifikatsübergabe fand in der mittlerweile sanierten Scheune statt, das Kutscherhaus ist zu etwa zwei Drittel fertig und als nächstes wird das Verwaltungsgebäude in Angriff genommen, teilte Horst Forytta mit. Eine Kapelle, eine Scheune und vielleicht noch eine Orangerie kommen zukünftig noch hinzu.

Entschleunigte Entwicklung
Ist Slow Food das Zeichen für nachhaltigen genießerische Geschmack, so trägt die Schnecke für die Slow City einen Häuserkranz auf ihrem Haus. Die Verwandtschaft ist unübersehbar, doch spielt die Städtebewegung in einer anderen Dimension. Der Berliner Slow Food Vorsitzende Ulrich Rosenbaum beschrieb die Auswirkungen in den italienischen Gemeinden. Dort hätte sich in jedem Haus ein Handwerk etabliert und verkaufe seine Produkte und eine der Kirchen gilt mittlerweile den jungen Menschen als Ort der Wahl, zu heiraten. Das dürfe sich Marihn als Vision ausmalen.
Unrealistisch ist das nicht, denn kleine Gemeinden in ausgesuchten Touristenregionen haben Schaufenster, Gastronomie oder Historisches in jedem Haus. Und Kondensationspunkte hat Mecklenburg-Vorpommern reichlich. Das sind nicht nur Luft, Ostsee und Seen, sondern, wie Minister Backhaus hervorhob, mit über 1.000 Schlössern und Herrenhäusern kann das Bundesland glänzen. Die Gebäude herzurichten schaffe Wertschöpfung und regionale Entwicklung. Zwischen 2000 und 2006 wurde die Gemeinde Marihn mit 675.800 Euro unterstützt und hat Folgeinvestitionen in Höhe von 1,14 Millionen Euro hervorgerufen.

Gartennetzwerk und regionale Küche
Für Cittaslow reicht es aber nicht aus, dass die Gutsstruktur erhalten und ausgebaut wird.
Marihn wird mit weiteren Besonderheiten werben. Das französische Konzept des englischen Bed & Breakfast heißt Chambre & Table d´Hôte. Logiert wird in historischen Gemäuern und die Gäste können die Teilnahme an der abendlichen Tafel im Salon wählen. Hier führt Park von MarihnGastgeber Forytta in die saisonalen Genüsse der regionalen Küche ein.
Zu dem Gut gehören 30 Hektar Land, die neben einem Park auch gartenbaulich bearbeitet werden sollen. Im nächsten Jahr werden die ersten Themengärten angelegt, verrät Dr. Ursula Hudson-Wiedemann, stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Akademie für Kulinaristik. Essen strukturiere unseren Tagesablauf und unsere Entscheidungen. Wir bestimmen über 700.000 Mal in unserem Leben wo, was mit wem in welchem Zusammenhang gegessen wird. Die Entscheidung bestimmt maßgeblich über das persönliche Wohlergehen und die Gestaltung unserer Umwelt. Die „richtige Entscheidung“ kann nur auf der Basis kulinarischer Kompetenz fallen, weswegen der Garten von Marihn alles beherbergen wird, was essbar ist. In zwei Jahren laden die Gärten dann zum sinnlichen genießen ein. Dazu gehört ein angegliederter Schulgarten. Wenn die Infrastruktur steht, könnten beispielsweise Sternekoch Witzigmann oder die zahlreichen Spitzenköche der Akademie kulinarische Seminare abhalten.
Derzeit liegt Gartentourismus voll im Trend. Aktionen wie die „Offene Gartenpforte“ locken Besucher an, sich Anregungen für den eigenen Garten zu holen. So wird der Garten von Marihn in das Gartennetzwerk eingebunden, dass bereits über 22 Garteninitiativen verbindet. Er wird nicht nur Station der Gartenroute in Mecklenburg-Vorpommern sein, sondern auch Außenstation der Bundesgartenschau 2009.

Vielfalt des ländlichen Raums
MV begleitet seine ländliche Entwicklung wissenschaftlich, wie die zuletzt in Berlin vorgestellte Studie über die Daseinsvorsorge im ländlichen Raum. Entscheidend ist dabei immer, was die Menschen aus ihrem Zuhause machen. Minister Backhaus weist darauf hin, dass Marihn eine der zahlreichen Möglichkeiten ist, die Menschen auf dem Land und die Region lebendig zu halten.

Lesestoff:
Den Kriterienkatalog können Sie unter www.hersbruck.de einsehen
Das Gartennetz finden Sie bei der Deutsche Gartenbau-Gesellschaft unter www.dgg1822.de
Die Deutsche Akademie für Kulinaristik können Sie unter www.kulinaristik.de erreichen.
Einen Bericht von Herd-und-Hof.de über die letzte Studie zur Daseinsvorsorge im ländlichen Raum mit weiterführenden Links finden Sie hier.

Roland Krieg; Foto: Schloss Marihn

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