Mit "ohne Gentechnik"
Ernährung
Kennzeichnung folgt Marktrealität
Vor zehn Jahren versuchte die Opposition im Freistaat Bayern mit einem Volksbegehren, „Gentechnikfrei aus Bayern“ als Qualitätsmarke einzuführen. Damit jedoch zwischen den Ländern keine unterschiedlichen Regelungen entstehen, wurde im Bundesrat eine einheitliche Initiative schnell aufgenommen und umgesetzt: Die Neuartige Lebensmittel- und Lebensmittelzutaten-Verordnung, NLV. Federführend war das Bundesgesundheitsministerium unter Horst Seehofer, weswegen manche auch den Begriff „Seehofer Verordnung“ prägten.
Jetzt, zehn Jahre später, verändert Seehofer seine Erstfassung erneut. Als Landwirtschaftsminister. Obwohl die NLV rechtlich vom Gentechnikgesetz getrennt zu sehen ist, einigte sich die Koalition am Sonntag Abend auf eine gemeinsame Fassung, die in der kommenden Woche im Bundestag und bereits Mitte Februar im Bundesrat verabschiedet werden soll. Pünktlich zur Frühjahrsaussaat. Und an der für morgen terminierten Sitzung im Bundestagsausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorbei, bei der Experten zur NLV erst einmal gehört werden sollten.
Gentechnikgesetz
Bei den Abständen von 150 und 300 Meter zu konventionellen, bzw. ökologischen Nachbarn wird es im Bereich des Gentechnikgesetzes bleiben. Die Sicherheitsabstände können durch schriftliche Absprachen mit den Nachbarn unterschritten werden. Soll dann der Abstand eingehalten werden, muss der Nachbar dem Minimierungswunsch ausdrücklich widersprechen. Die Absprachen werden in das Standortregister eingetragen.
NLV
Mit dem Begriff „ohne Gentechnik“ durften bislang Produkte ausgezeichnet werden. Aber nur unter drei strengen Regeln: Das Produkt darf selbst nicht aus einem gentechnisch veränderten Produkt bestehen oder aus diesem hergestellt sein. Es dürfen keine Hilfsmittel wie Enzyme verwendet werden, zu deren Herstellung gentechnisch modifizierte Organismen eingesetzt wurden. Fleisch, Milch und Eier dürfen nur von Tieren stammen, deren Futtermittel in keinster Weise mit der Gentechnik in Berührung gekommen sind (§ 5,1 Nr. 1 bis 3).
Allerdings ist die Gentechnik viel weiter verbreitet, als Verbraucher glauben. Das Enzym Invertase erzeugt Invertzucker, der vor allem bei Süßwaren Verwendung findet und die Bildung von Zuckerkristallen unterbindet. Invertase kann feste Zuckermassen wieder flüssig machen, wie bei Pralinen mit flüssigem Inhalt. Invertase wird nach Auskunft von transgen in der Regel biotechnisch mit Hilfe von Hefen gewonnen.
Aminopeptidasen können das Aromaprofil von Proteinen durch Abspaltung von Aminosäuren verändern und die Käsereifung beschleunigen. Auch sie werden von gentechnisch veränderten Organismen hergestellt.
So ist er Lebensmittelmarkt in seiner Praxis bereits viel weiter als die Gesetzgebung und Verbraucher haben kaum eine Wahl ganz auf Gentechnik zu verzichten – wenn sie es wünschen. Und der Handel konnte kaum ohne den Vorwurf der Wettbewerbsverzerrung und Irreführung mit dem Slogan „ohne Gentechnik“ werben. Hersteller und Verarbeiter geben ihre Betriebsgeheimnisse, welche Zusatzstoffe sie verwenden, nicht unbedingt preis.
Jetzt sollen Fleisch oder Milch den Begriff tragen dürfen, wenn die Tiere Futtermittel zu fressen bekamen, die nicht aus gentechnisch veränderten Pflanzen hergestellt wurden. Allerdings auch, wenn bei der Herstellung gentechnisch veränderte Zusatzstoffe Verwendung fanden. Vorausgesetzt: Es gibt nicht ausreichend gentechnikfreie Alternativen, die Zusatzstoffe sind nach der EU-Ökoverordnung zugelassen und die Stoffe tauchen im Endprodukt nicht mehr auf.
Die Verbraucherzentrale begrüßte den Entwurf, denn damit würde die Etikettierung „ohne Gentechnik“ transparenter und praktikabel. Konsumenten hätten jetzt bei Fleisch, Milch und Eiern die Wahl.
Mehr Novel Food in die EU
Gestern hat die Europäische Kommission den Vorschlag angenommen, „neuartige Lebensmittel“ (Novel Food) leichter und sicherer zentral in der EU zuzulassen. Novel Food bezeichnet Lebensmittel, die vor Mai 1997 nicht oder kaum auf dem Markt gewesen sind. Zum Stichtag 01. Dezember 2007 gab es 22 Zulassungen teilte die Kommission mit. Gesundheitskommissar Markos Kyprianou: „Dieser Vorschlag bezweckt eine effizientere und praktischere Regelung für neuartige Lebensmittel, die den Verbrauchern in der EU die Möglichkeit gibt, die neuesten Lebensmittel auszuwählen, und für die Lebensmittelindustrie in Europa günstige Bedingungen schafft.“
Bis zu zehn Zulassungsanträge im Jahr erreichen die Kommission. Aktuell wird Baobab geprüft, ein getrockneter Früchtebrei aus Ostafrika. Auch das durch heißes Wasser herausgelöste Konzentrat der getrockneten, glatthäutigen Baby-Kiwi Actinidia arguta steht auf dem Prüfstand. Das Kiwikonzentrat wird in China, Japan, Korea und Sibirien genossen. Eine Sprecherin bestritt , dass mit der zentralen Zulassung, gentechnisch veränderte Lebensmittel leichter in die EU gelangten.
Lesestoff:
Die noch aktuelle Fassung des NLV finden Sie unter www.gesetze-im-internet.de/nlv/
Die Liste der in der EU zugelassenen Novel Foods finden Sie unter
http://ec.europa.eu/food/food/biotechnology/novelfood/authorisations_en.htm
roRo