Müde Mitochondrien, schlapper Stoffwechsel
Ernährung
Nicotinamid-Ribosid macht schlank und ausdauernd
Die Mitochondrien gelten als Organelle mit eigener Zellmembran als das Kraftwerk innerhalb der Zelle. Bis auf die roten Blutkörperchen sind Mitochondrien bei Pflanzen, Tiere und Pilzen zu finden. Mitochondrien können sich in der Zelle bewegen, ändern ihre Form und tauchen vor allem dort auf, wo Energie benötigt wird.
Wichtig für den Stoffwechsel
Die Hauptaufgabe der Mitochondrien liegt in der Umwandlung der in der Nahrung gebundenen Energie in Adenosintriphosphat (ATP). Die energiereichen Phosphatbindungen sind gleichsam die Batterie für den Betrieb zahlloser Stoffwechselvorgänge. Außerdem enthalten Mitochondrien Enzyme für den Abbau von Kohlenhydrate, Fette und Proteine1).
In diesem Wirkbereich ist Niacin der Sammelbegriff für Nicotinsäure und Nicotinamid.1867 erstmals isoliert wurde die Vitaminwirkung erst in den 1970er Jahren erkannt2). Niacin kommt in zahlreichen Lebensmitteln vor und wird im deutschsprachigen Raum in ausreichendem Maße mit der Nahrung aufgenommen. Ein Mangel kann zu Müdigkeit, körperliche Schwäche und Dermatitis führen.
Der versteckte Cousin
Carlos Cantó von der École Polytechnique Fédérale de Lausanne (EPFL) hat sich mit dem Cousin des Niacin beschäftigt: Dem Nicotinamid-Ribosid (NR), das sich ebenfalls in den Mitochondrien wiederfindet. Tests in Mäuseversuchen haben erstaunliche Ergebnisse zu Tage gefördert und versprechen große Gesundheitseffekte.
Körpergewicht: Mäuse, die auf eine fettreiche Diät gesetzt, aber auch mit NR gefüttert wurden, haben um 60 Prozent weniger zugelegt als die Kontrollgruppe ohne NR-Dessert. „Selbst in einer normalen Diät erhöht NR die Insulinreaktion“, sagte Cantó.
Muskeltätigkeit: NR-Mäuse bekamen über eine Fütterungsdauer von zehn Wochen einen definierteren Körper durch intensiveren Muskelaufbau. Unter dem Mikroskop waren mehr Muskelfasern für eine ausdauernde Arbeit zu finden.
Temperaturhaushalt: Mäuse, die acht Wochen lang eine NR-Ration extra erhielten, zeigten in Klimakammern eine viel effektivere Regelung der Körpertemperatur.
Die Ergebnisse sind nicht verwunderlich, denn NR beeinflusst indirekt die Aktivität der Mitochondrien und damit auch alle Schlüsselfunktionen der Zellorganellen.
In Milch und Bier
Die Hypothese der Ernährungswissenschaftler geht von einer verbesserten Mitochondrien-Funktion durch Stimulans des NR aus. Darüber hinaus verbessert NR Enzymaktivitäten, die für die Fettverbrennung zuständig sind.
Alterungsprozesse werden durch die Aktivität der Mitochondrien beeinflusst: Körperfunktionen verlangsamen sich in dem Maße, wie die Zellorganellen erschlaffen. Bei Fadenwürmern hat die NR-Zufuhr Hinweise auf ein längeres Leben gezeigt, ergänzt Cantó. Zumindest agiert NR in einem Wirkbereich, der viele zentrale Stoffwechselfunktionen beeinflusst.
Daher bezeichnet Cantó NR auch als „verstecktes Vitamin“. Es kommt in vielen Lebensmitteln wie Milch und Bier vor, doch in welcher Menge, konnte bislang nicht quantifiziert werden. So hat die Mutter schon recht, wenn sie ihre Kinder zum Milchtrinken auffordert - aber wie viel Milch für eine wirksame NR-Aufnahme getrunken werden soll, können die Experten nicht einschätzen.
Daher ist die Anreicherung von Lebensmitteln mit NR eine Alternative. Gegenüber dem „Cousin“ Niacin zeigt NR keine gegenteiligen Effekte. Bei einer NR-Überdosis verbraucht die Zelle nur, was sie benötigt und der Überschuss wird in keine schädigenden Abbauprodukte umgewandelt. Als Supplement rechnen sich die Schweizer Wissenschaftler für das Nicotinamid-Ribosid gute Marktchancen aus, denn da NR in vielen Lebensmitteln natürlicherweise vorkommt, seien keine Akzeptanzprobleme zu erwarten.
Lesestoff:
Cantó C. et al.: The NAD+ Precursor Nicotinamide Riboside Enhances Oxidative Metabolism and Protects against High-Fat Diet-Induced Obesity; Cell Metabolism, Vol 15, Issue 6, 838-847, 06.06.2012; 10.1016/j.cmet.2012.04.022
1) Konrad Mengel: Ernährung und Stoffwechsel der Pflanzen, Fischer Verlag, 1984
2) Niacin: Physiologie, Vorkommen, Analytik: Ernährungs-Umschau 12\08; S. 744
Roland Krieg